4.3.5 St.-Nikolai-Kirche
Die Vorsteher der Kirche der Schiffer und Fahrensleute schlossen 1381 einen Vertrag mit dem Maurermeister Heinrich von Bremen, um den begonnenen Chor zu vollenden. Weitere Maurer- und Werkmeister waren Goslik von der Kuhlen, Peter Stolp, Hermann Münster und Hans Martens.

Chor und Hochaltar wurden 1403 von Bischof Detlef aus Ratzeburg geweiht. 1487 fanden die Turmbauarbeiten wegen einer Pestepidemie ein vorläufiges Ende. Schon 1508 wurden am 60 m hohen Helm des 120 m hohen Turmes Reparaturen nötig. 1524 stürzten durch Setzungserscheinungen des Turmes wegen "Wandausweichens" die Gewölbe der Seitenschiffe ein, die zwanzig Jahre später erneuert wurden. Eine Explosion von drei Pulvertürmen ruinierte 1699 Stadt und Kirchen.

Nachdem Wismar 1648 schwedisch geworden war, wurde hier nicht mehr viel investiert. So wurde bis 1703 das Turmdach wohl undicht, so dass bei einem Orkan um den Nikolaustag die 60 m hohe Turmhaube in das Mittelschiff stürzte und Dach und Gewölbe durchschlug. Das Dach wurde innerhalb von drei Jahren repariert, der Turmhelm fehlt noch heute.
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Die Ausstattung der Kirche ist jetzt barock. Erst 1803, als die Stadt wieder selbständig wurde, war wieder Geld da. Dennoch dauerte es bis 1867, als die Gewölbe neu eingezogen wurden. 49 Der Zustand des Innenraums ist seit der Restaurierung von 1880 so, die Kirche wirkt außerordentlich einheitlich.

Die St.-Nikolai-Kirche ist eine monumentale, querhauslose, dreischiffige Backstein-Basilika. Sie hat eine Lange von sieben Jochen mit einem 5/8-Chorabschluss. An ihn fügen sich fünf sechseckige Kapellen zu einem Umgangs-Chor an. Über die Außennischen der eingezogenen Strebepfeiler der Chorkapellen sind Segmentbögen über die Einzugswinkel gespannt, um einen einheitlichen halbrunden Dachgrundriss zu ermöglichen, eine Lösung wie vormals an St. Marien sowie der Klosterkirche in Dargun und heute noch am Schweriner Dom (siehe Kapitel 4.2.2) und St. Nikolai in Lüneburg zu sehen. - Im Westen ist ein quadratischer Turm vorgelagert, an dem die Seitenschiffe vorbei laufen. An den Seitenschiffen sind durchgängig Einsatzkapellen ausgebildet, die am dritten und vierten Joch von Westen im Norden und Süden zu quadratischen, vierjochigen Vorhallen mit einem Mittelpfeiler erweitert sind. Unmittelbares Vorbild war die Wismarer Marienkirche. 50
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Überreich dekoriert ist der Schaugiebel der Südvorhalle von 1438/39, der mit Rosetten, Friesen und Blenden aus Formsteinen und Reihen von sich wiederholenden figürlichen Reliefs der Maria, einer Bischofsfigur - vielleicht des Heiligen Nikolaus - sowie mit Baldachinen und Fialen, Masken, Löwen, Greifen und Skorpionen ein hoch bedeutendes Beispiel der Kunstfertigkeit in der Herstellung modelgepresster, glasierter Backsteine gibt.

Die Kirche ist außen 85 m lang, 58 m breit und 64 m hoch. Das Mittelschiffgewölbe hat 37 m Scheitelhöhe bei nur 10,50 m Breite und damit eine steile Proportion von 1 : 3,5. Damit hat St. Nikolai das zweithöchste Mittelschiff aller Backsteinkirchen. Auch die durch Dienste stark aufgelockerten Bündelpfeiler prägen den Raumeindruck. Die Kirche ist eine "rote" Kirche, wobei in der Gotik die Entwicklung vom Grundton rot immer mehr zu weiß überging. Backstein und Fugen wurden schon im Mittelalter geschlämmt und ein künstlich perfektes Fugennetz aufgemalt. Die Turmwände tragen als monumentale Wandgemälde im Norden Christophorus und Schmerzensmann.und im Süden die genealogische Darstellung der Wurzel Jesse (Foto). Aus dem liegenden Körper von Jesse, dem Vater König Davids, und Adam wachsen jeweils kreisförmige Weinranken mit den Brustbildern ihrer Nachkommen.

Für Kiesow ist St. Nikolai eine der großartigsten Kirchen an der Ostsee. Was die Gotik wollte, ist hier stark verwirklicht. Die Geschichte vom heiligen Nikolaus erzählt Kiesow so: Bischof Nikolaus von Myra hatte einen Kaufmann vor dem Konkurs gerettet, der wollte aus Not seine drei Töchter verkaufen. Der Bischof warf drei Goldkugeln ins offene Schlafzimmerfenster. Die konnte er bezahlen, weil die Getreideschiffe im Hafen 10 % ihrer Ladung abgeben mussten.

In den nördlichen Kapellen finden wir jeweils 12 Weihekreuze an die Wand gemalt. Die 12 ist die perfekte Zahl für die Tore des himmlischen Jerusalems, zugleich das Produkt aus der 3 für die Trinität und der 4 für die Evangelisten. Eine Kapelle enthält die Barocktaufe mit Engel von 1708, eine weitere die Bronze-Grabplatte der Herzogin Sophie von Mecklenburg des Holländers Bruidt, eine Qualitätsarbeit von 1504. Der Krämeraltar aus der Mitte des 15. Jhs. war wahrscheinlich einst Hauptaltar in St. Marien. Das Bronze-Taufbecken von 1335 aus St. Marien wird von Prof. Kiesow als "nicht so besonders" eingestuft, ganz anders aber das hundert Jahre jüngere umgebende Gitter aus Schmiedeeisen, bekannt als "Teufelsgitter", weil heute noch ein Rätsel ist, wie die Knoten gemacht wurden (rechts).
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Die Kirche, also ihre südlichen Seitenkapellen, ist Lager für viele Ausstattungsstücke von St. Marien und St. Georgen, aber auch der Franziskaner- und der Dominikaner-Kirche, von denen noch Schulen bestehen, und die ihre Ausstattung nach ihrem Abbruch im 19. Jh. nach St. Marien gegen hatten. Größtes Werk im "Zwischenlager" ist in der Südhalle der Hauptaltar von 1430 aus St. Georgen, der dorthin zurück soll, wohin genau, ist offen, weil das Gebäude jetzt als Kulturkirche auch zu anderen Zwecken dienen wird. Dem Klappaltar gegenüber hängt das Triumphkreuz aus St. Georgen. Eine Nordkapelle zeigt z.B. den Thomasaltar um 1500 aus der Dominikanerkirche mit den "3 Thomas": Apostel Thomas, Thomas von Aquin und Thomas Becket, Erzbischof von Canterbury, der in den Hansestädten besondere Verehrung genoss wegen seiner Treue zu den Richten der Kirche. Ihm gegenüber ist der Marienschrein.

Der Hauptaltar von 1772/74 war verhüllt, er trägt ein Kreuzabnahme-Gemälde von Benjamin Block als Rubens-Kopie von 1653 und ist nicht so bedeutend. Die barocke Kanzel ist von 1708. Das Triumphkreuz aus dem 15. Jh. mit den Figuren von Maria und Johannes stammt ehemals aus dem Dominikanerkloster. Die Orgel mit einem Renaissance-Prospekt stammt von Johann Gottlob Mende aus Freiberg in Sachsen und wurde hier 1985 eingebaut.

Dr. Oetker wurde 75 und wollte spenden, wie Prof. Kiesow erzählte. Er fragte die Stiftung Denkmalschutz, wofür am besten. Ihm wurde St. Nikolai empfohlen, weil St. Georgen die Stiftung selbst baut. Oetker sagte 500.000 DM zu, um die Hälfte des Daches zu bezahlen; als dieses 1,2 Mio. DM kostete, zahlte Oetker auch davon die Hälfte, während die Stiftung den Rest dazu gab.

4.3.6 St.-Marien-Kirchturm
Der 80 m hohe Turm ist ein weithin sichtbares Wahrzeichen von Wismar. St. Marien zu Wismar galt einst als eine der schönsten Backsteinkirchen im norddeutschen Raum. Die ehemals hier aufragende Kirche bildete, mit der westlich vorgebauten Kapelle Maria zur Weiden, der südlich stehenden "Alten Schule", dem Pfarramt, dem wieder aufgebauten Archidiakonatshaus und vereint mit der so ungewöhnlich eng benachbarten Georgen-Kirche, ein mittelalterliches Architektur-Ensemble von beeindruckender Mächtigkeit, das in keiner anderen norddeutschen Hansestadt seinesgleichen hatte. Von der Westseite des Marktes bot sich ursprünglich die gewaltig aufstrebende Ostansicht der Kirche mit dem die Häuser mächtig überragenden Chor, seinem hohen Obergaden und den offenen Strebebögen.

St. Marien wurde als Ratskirche von 1250 bis 1370 erbaut. Über die bereits vorhandene Kirche wurde ab 1339 ein doppelt so großer und doppelt so hoher neuer Bau als dreischiffige Basilika ohne Querhaus mit sieben Jochen errichtet. Im Osten schloss sie in einen Umgangs-Chor mit fünf radialen Kapellen. Bild unten: Fenster, heute in Heilig-Geist-Kirche.
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Nach der Reformation gründete man die "Geistlichen Hebungen", aus deren Erlösen die Schulen bezahlt und unterhalten werden konnten.

"Am 14./15. April 1945 wurde die Kirche durch Luftminen stark zerstört, die zwischen Turm und Kapellenkranz liegenden Baukörper auseinander gerissen und weitgehend sein konstruktives Grundgerüst vernichtet. Damit waren zugleich sämtliche Gewölbe zum Einsturz verdammt. Mit dem Einsturz von Strebebögen gingen weiterhin umfangreiche Wandabschnitte der Seitenschiffe, insbesondere auf der Südseite, verloren. Des weiteren wurden die seitlichen Hallenanbauten bis auf geringfügige Reste völlig vernichtet. In den unmittelbaren Nachkriegsjahren verfiel die Ruine, die schließlich aus Sicherheitsgründen, mit Ausnahme des Turmes, beseitigt wurde." 52 So die offizielle Lesart von damals.
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Nach dem letzten Krieg sollte auf Kirchenland die Werft erweitert werden. Der Staat sollte jetzt als Gegenleistung die Kirchen unterhalten. Er hatte dazu aber "keine Lust", wie Kiesow wertet. Er ließ die Ruine von St. Marien, das Pfarrhaus, die "Alte Schule" und die Kapelle Marien zur Weiden sprengen und die Ruine von St. Georgen verfallen. Kiesow ordnet die Sprengungen in eine Linie von Orleans - DDR - Taliban ein.
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Nach einer Richtlinie der Parteileitung der SED und Sekretär Rohloff sollte die Kirche gesprengt werden; vorgeblich konnte das dabei zu gewinnende Material an Steinen zum Wiederaufbau an anderer Stelle verwendet werden. Die Direktiven kam vom Rat des Bezirkes Rostock, dessen Vorsitzender damals Harry Tisch war. Auf einem Vortragsabend über "Planung und Gestaltung Wismars" benutzte Stadtplaner Domhardt Skizzen, auf denen St. Marien schon abgerissen war. Das brachte die Wismarer in Harnisch. Wohnblöcke, Hochhäuser und Kulturpalast flogen vom Tisch. Ein angesehener sachverständiger Bürger belegte, wie man mit 20 Handwerkern, einem Turmdrehkran und 200.000 Ostmark Jahresetat St. Marien retten könne. Kommentare und Leserbriefe in der Ostsee-Zeitung führten zu einer öffentlichen Diskussion. Der Rat der Stadt unter Oberbürgermeister Fliegert wollte eine Forderung der Bürger nach einer Sprengung vortäuschen - wegen der Sicherheit der Anwohner und spielender Kinder. Eine SED-Kommission kraxelte eines Tages in St. Marien herum; die "Experten" hatten nichts zu prüfen, sondern die Begründung für die Sprengung zu liefern. 53

Foto: links Kapelle St. Maria zur Weiden, rechts Alte Schule.
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Auf die ersten Sprengarbeiten wurde am 6. August 1960 hingewiesen, nicht aber auf den Entschluss, die gesamte Kirche zu sprengen. Die Sprengung führte zu einer von Rat der Stadt und des Bezirks unvorhergesehenen Wirkung: Die Kirche verlangte Wiedergutmachung. Der Rat des Bezirks Rostock schloss mit dem Oberkirchenrat Schwerin am 3. Oktober 1961 den "Vertrag zur Auflösung der Geistlichen Hebungen in der Stadt Wismar". Er bildet noch heute die Grundlage für die Verpflichtung der Stadt, die Kirchen wieder aufzubauen bzw. in Stand zu setzen. Mit dem Vertrag gingen Grundflächen wie das Gelände der damals bereits bebauten Vorstadt Wendorf in das Eigentum der Stadt über.

Prof. Kiesow meint, die Stiftung wäre technisch in der Lage, die Kirche nachzubauen! Gern würde er ein Joch errichten und dessen Gewölbe zum Teil. Die Sockel der Stützen geben auf der Hälfte der Fläche schon einen ersten Eindruck vom Grundriss. Der ganze Parkplatz soll zurück gedrängt werden. Am Turm wurden die Ziegel gezählt, 10 kommen auf einen Meter. Nach den Fotos der Preußischen Messbildstelle kann man sich richten. Sein Sohn Christian sei ein sehr genauer Architekt, lobt Kiesow, dessen anderer Sohn Klaus das Castel de Cid in Cordoba untersucht hat. Es war seine Idee, danach die Landesausstellung in fünf Ostseestädten aufzubauen, die 165.000 Besucher angezogen hatte. Rechs im Bild: Modell der Marien-Kirche, ausgestellt im Turm.
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4.3.7 St.-Georgen-Kirche
Die St.-Georgen-Kirche zu Wismar gehört zu den größten Werken eines starken und selbstbewussten, auf Repräsentation zielenden Bauwillens, aber auch eines tiefen religiösen Empfindens, des reichen Bürgertums der Hansestadt. Kirchen ähnlichen Ausmaßes finden sich nur noch in den großen Handelsstädten Flanderns und Süddeutschlands. St. Georgen war einst das Gotteshaus der Handwerker und Gewerbetreibenden.

Die erste Kirche am heutigen Platz entstand etwa zwischen 1260 und 70, die eine dreischiffige Hallenkirche bereits mit geradem Chorabschluss gewesen sein dürfte. Um 1315 wurde für eine hochgotische Basilika der heutige Chor gebaut. Die Arbeiten kamen zum Erliegen. Der jetzige großartige Bau wurde 1404 begonnen. Die kreuzförmige Anlage mit weit ausladendem Querhaus ohne Seitenschiffe hatte vermutlich die Rostocker Marienkirche (siehe Kapitel 4.6.3) zum Vorbild. Diesmal begannen die Arbeiten am Westturm Richtung Chor, der aber aus wirtschaftlichen Gründen beibehalten wurde. Auch am Turm reichte das Geld nach dem Niedergang der Hanse nicht mehr, so erhielt er um 1544 nur eine bescheidene Kappe. Die bekanntesten Baumeister waren Hermann von Münster und Hans Martens.
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In der Nacht zum 15. April 1945 trafen zwei Bomben die Kirche. Die schweren Schäden hätten damals zu vergleichsweise geringen Kosten behoben werden können. Friedrich Lorenz schrieb 1952: "Die St.-Georgen-Kirche in Wismar ist trotz ihrer riesigen Dimensionen als ein besonders geeignetes Objekt für den Wiederaufbau anzusehen, weil sie bis auf das oberste Turmgeschoss in ihrem Mauerwerk trotz der Sprengwirkung der Luftminen nicht erschüttert ist und voraussichtlich keiner besonderen Sicherung in statischer Hinsicht bedarf. Die Gewölbe des Schiffes sind eingestürzt, der Dachstuhl steht teilweise noch, und der Chor ist mit seinen Anbauten zwar beschädigt, aber mit Gewölbe und Dach erhalten." 54

Dies änderte sich in den folgenden 45 Jahren nach und nach. Bibliothek und Sakristei wurden abgerissen, eine wichtige Stütze im Chor verlor immer mehr an Tragfähigkeit, so dass dieser Gebäudeteil nahe vor dem Zusammenbruch stand. Zu Deutschlands größter Kirchenruine geworden verfiel das Bauwerk immer weiter. Im Januar 1990 stürzte schließlich bei Sturm der Nordgiebel des Querhauses 35 Meter tief auf zwei gegenüber liegende Wohnhäuser und begrub unter den Trümmern ein Kind, das schwer verletzt mit einer Nierenquetschung geborgen wurde.

Um weitere Einstürze zu verhindern, machte die Deutsche Stiftung Denkmalschutz diese Kirche noch vor den 3. Oktober 1990 zu ihrem ersten Förderprojekt im östlichen Teil Deutschlands.

Seither wird an der Kirche unermüdlich gearbeitet. Die Handwerker beherrschen die mittelalterlichen Techniken inzwischen so gut, dass die Reparatur von St. Georgen schneller voran geht als zunächst erwartet und weniger kosten wird. 55 St. Georgen ist zur Zeit das umfangreichste denkmalpflegerische Vorhaben in Mecklenburg-Vorpommern.

Durch die bis auf den Turm fertige Georgen-Kirche führte uns Herr Beier. 1995 seien hier große Schuttberge gewesen, und kein Dach. Bis heute wurden vier Bauabschnitte fertig. Zuerst wurde das Chordach erneuert und die großen Löcher in dessen Gewölbe geflickt. Dann waren die Fenster an der Reihe, die Formsteine für das Maßwerk kamen von der dänischen Ziegelei Falkenlöwe, denn sie hat die beste Tongrube wie es keine deutsche gibt. Alljährlich flossen 1,5 Mio. DM von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz in dieses Objekt; fünfzehn Jahre nach Beginn des Wiederaufbaus schätzte Prof. Gottfried Kiesow den gesamten Finanzbedarf bis zur endgültigen Fertigstellung des Bauwerks auf rund 37 Millionen Euro. 56 Die Stadt Wismar hat die Hälfte aller bisherigen Kosten getragen. Die Spendenbereitschaft weit über Wismar hinaus war und ist noch immer beispielhaft.
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Im Quer- und Langhaus (Foto, Richtung Turm) mussten neue Gewölbe aufgemauert werden. Landeskonservator Zander wollte kein Gewölbe, um etwas den Ruinen-Charakter zu erhalten. Mit dem Gewölbebau hatte man kaum Erfahrungen, in Lübeck waren vor 30 Jahren die letzten gemauert worden. Im Mittelalter wurden Klosterformatziegel genommen, mit denen nur eine Schicht am Tag möglich war; mit dem neuen Mörtel können es fünf bis sechs sein. Eine Herausforderung war der achtstrahlige Stern in der Vierung. Man orientierte sich am Schweriner Dom, der die selbe Figuration hat. Die Gewölbe würden auch ohne Zuganker stehen, die Franzosen haben ihre im Mittelalter abgesägt. Die Wände und Pfeiler wurden hier massiv durchgemauert und nicht mit Schutt und Mörtel aufgefüllt.
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(Foto links: Altar der Georgen-Kirche, zur Zeit in St. Nikolai) Im Quer- und Langhaus (Foto, Richtung Turm) mussten neue Gewölbe aufgemauert werden. Landeskonservator Zander wollte kein Gewölbe, um etwas den Ruinen-Charakter zu erhalten. Mit dem Gewölbebau hatte man kaum Erfahrungen, in Lübeck waren vor 30 Jahren die letzten gemauert worden. Im Mittelalter wurden Klosterformatziegel genommen, mit denen nur eine Schicht am Tag möglich war; mit dem neuen Mörtel können es fünf bis sechs sein. Eine Herausforderung war der achtstrahlige Stern in der Vierung. Man orientierte sich am Schweriner Dom (siehe Kapitel 4.2.2), der die selbe Figuration hat. Die Gewölbe würden auch ohne Zuganker stehen, die Franzosen haben ihre im Mittelalter abgesägt. Die Wände und Pfeiler wurden hier massiv durchgemauert und nicht mit Schutt und Mörtel aufgefüllt.

4.3.8 Heilig-Geist-Hospital
Die Heilig-Geist-Spitäler wurden im Mittelalter für Arme, Sieche und Kranke eingerichtet von Bruderschaften, ähnlich den heutigen Rotary- und Lions-Clubs, wie Prof. Kiesow einleitete. Biblischer Quell der Hospitäler sind die "Sechs Werke der Barmherzigkeit" nach dem Matthäus-Evangelium (Kap. 25, Vers 31 ff.). Durch den Urteilsspruch beim Jüngsten Gericht wird konkrete Liebestätigkeit als Tun an dem dann richtenden Christus selbst bestätigt. Dessen Richterspruch für das dem Nächsten zugewandte Handeln, das den geringsten "Brüdern Christi" gilt, wird als Maßstab für den Weg in das ewige Leben genommen. Die Bezeichnung "Schwester" im Medizinwesen reflektiert dies bis heute. 57

Als Bürger wurde nur anerkannt, wer Kind eines Bürgers war oder sich mit Grundbesitz einkaufte - oder als Altgeselle die Meisterwitwe heiratete. Nach dem Satz "Stadtluft macht frei" hatten Landflüchtige zwar noch keine Bürgerrechte, brauchten aber keinen Kriegsdienst mehr zu leisten. Das Wort "anständig" heißt, wer aus einer ständischen Gesellschaft kommt.

An der Stelle des Heilig-Geist-Hospitals war die Stadtgrenze, wo man es wegen der Infektionsgefahr baute. Hier befand sich einst ein Tor in der Plankenbefestigung der Lübschen Straße, einem uralten Transitweg entlang der südlichen Ostseeküste. Überliefert ist nur das Jahr 1326, als Bischof Marquard von Ratzeburg den Hauptaltar weihte. Die Straßenseite bestimmen die wuchtigen Strebepfeiler vom Ende des 16. Jhs.

Der Saal ist, wie sein Vorbild in Lübeck, 40 m lang und 14 m breit. Die elf Balken halten in hanseatischem Gigantismus die Längsmauemrn zusammen, und das ohne ein sog. "Sprengwerk", das die Balken an den Dachstuhl hängt, damit sie nicht durchbiegen. Neben dem Keller diente auch der Dachboden als Lager für Vorräte.

Der Kirchenraum war gleichzeitig Gotteshaus und Klinik und Herberge für Pilger, Reisende und Obdachlose. Der eschatologische Festsaal galt als ein Palast göttlicher Liebe. Seelsorge und Leibsorge kommen im Hospital und seiner Anlage in eins. Der Kirchenraum bildete bereits den Vorraum zum erwarteten himmlischen Jerusalem.

Das 1411 erbaute Siechenhaus auf der Westseite des Hofes war bis zur Reformationszeit zum Kirchenfestsaal hin offen, so dass die Bewohner akustisch und teilweise auch optisch an der Messe teilhaben konnten. Nach der Reformation wurde die Krankenfürsorge in das frei gewordene Dominikaner-Kloster verlegt, das Wohnen in der Kirche damit aufgegeben.

An der Nordwand wurden Fresko-Malereien frei gelegt, wie die "Legende von den drei Lebenden und den drei Toten". Die Toten rufen den drei zur Jagd reitenden Königen zu: "Was ihr seid, waren wir. Was wir sind, werdet ihr sein." Dieses "Memento mori" liegt nahe in der Zeit der großen Pestepidemien.

Auf der Südseite finden wir ein Rechteck mit 11 mal 9, zusammen 99, gotischen Majuskeln, also Großbuchstaben. Da ab dem Ende des 14. Jhs. nur noch mit Minuskeln, also Kleinbuchstaben, geschrieben wurde, muss das magische Rechteck bereits zur Zeit der Erbauung angebracht worden sein. Das Geheimnis löst sich, wenn man die Mitte findet. Vom "D" aus beginnend, ergibt es den heiligen Spruch "DEO GRACIAS" - "Gott sei dank". Stets von innen nach außen, nach rechts oder links, nach oben oder unten, auch die Stufen hinauf und hinunter, gilt es. Alle kannten diese Worte, weil sie in den Schlussteil jeder Messe gehörten.

Feststimmung kommt auf beim aus St. Marien umgesetztes Glasfenster, das aus der Zeit um 1400 (bzw. der ersten Hälfte des 15. Jhs.) stammt. Das Kunstwerk aus Glas gilt als bedeutender Zyklus in Vitrailmalerei entlang der gesamten Ostseeküste. In 15 Feldern werden Szenen aus dem Leben Mariens und Jesu vorgestellt. Sieben Bilder zeigen Heilige, während die übrigen Architekturdetails bieten. Ein Feld zeigt z.B. "Die Flucht nach Ägypten" (Foto in Kapitel 4.3.6).
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An der Nordwand steht die Dreikönigsgruppe aus St. Georgen. Von dort stammen auch zwei Schnitzaltäre, der eine zeigt die Verkündigung an Maria, der andere Anna Selbdritt zwischen den Heiligen Georg und Martin. Der mit dem Drachen kämpfende Georg vertritt den Erzengel Michael, während der barmherzige Martin einem Krüppel Geldstücke zukommen lässt.

Die Renaissance prägte die Gestühlswangen von 1571 bis 89, die aus Eichenbohlen geschnitzt sind. Die verschiednen Berufe ("Ämter") zeigen ihre Symbole, also Innungszeichen. Dazu gehören Hammer und Zange der Schmiede, Barbiermesser und Operationsschere der Bader, Gebäck für die Bäcker und Biertonnen für die Brauer. Böttcher und Fassmacher waren sehr wichtig, in deren wasserdichten Behältern wurden sogar Tuche verschifft. - Die Kanzel von 1585 zählt zu den qualitätsvollsten in Mecklenburg.

Dem anrührend-nachdenklichen Dunkel des Altars antwortet die Ausmalung der gesamten Decke im neunfachen Wechsel Rot - Gelb - Weiß als Grund mit freundlich-optimistischer Barockmalerei. In 26 Bildern bietet sie die gewaltige Geschichtsauffassung anschaulich dar. Mit ihren biblischen Darstellungen spielen diese Medaillons auf die Sixtinische Kapelle von Michelangelo an.

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