3.12 Stonsdorf/Stanizów
Stonsdorf - der Name sagt Ihnen etwas, liegt Ihnen auf der Zunge? Sie kennen wohl den "Echt Stonsdorfer Kräuterlikör" aus der "Stonsdorferei". Der schlesische Laborant Christian Gottlieb Koerner begann 1810, den "Stonsdorfer" zu brennen. Das repräsentative "Gesellschaftshaus" mit dem Vier-Säulen-Portikus vom Beginn des 19. Jhs. steht noch in Ober-Stonsdorf, wenn es auch noch eine Dauerbaustelle ist. Aber nach dem Stonsdorfer Likör fragen Sie im Ort und auch im Schloss vergeblich - er darf in Polen nicht verkauft werden (rechts: alte Werbetafel, bei einem Nachbarn im Kuhstall gefunden).

Der Ort am Fuße des Prudelberges ist eine Gründung des 14. Jhs. Die Familie von Stange ist seit 1367 bis ins frühe 18. Jh. überliefert als Eigentümerin.
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Das heutige zweistöckige, spätbarocke Schloss weist noch Spuren eines Vorgängerbaus aus dem 16. Jh. auf, der wohl Anfang des 18. Jh. überformt und vergrößert wurde. Von damals stammen die Stuckdecken und offenen Kamine. Die Grafen von Schmettau erwarben die Anlage 1726, bis 1784 die ostthüringischen Prinzen von Reuß folgten. Der königlich-preußische Rittmeister Prinz Heinrich XXXVIII. Reuß heiratete ein. Sie wundern sich über die 38? Alle erstgeborenen Reußen-Söhne bekamen den Namen Heinrich - und mit jedem Jahrhundert wurde wieder mit I. begonnen.

Prinz Heinrich ließ 1787 die Gebäude erweitern und brachte eine Gemäldesammlung ein. Auch den waldreichen Landschaftspark mit seinen malerischen Felsformationen ließ er anlegen - und öffentlich zugänglich machen. Schloss, Park und die Likörfabrik ließen Stonsdorf zu einem "der besuchtesten und vorzüglichsten Ergötzungsorte für die Bewohner Hirschbergs und die Warmbrunner Badegäste" werden. Das Reuß-Schloss galt es ausgesprochen gastfreundlich.

Anfang des 19. Jhs. wurde der gartenseitige Flügel mit dem Portal im "Palladio-Motiv" mit dem Wappen der Familie angebaut (rechts). Darin befindet sich der Gartensaal mit Landschaftsmalereien.
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Parallel am Hang entstand 1818 ein lang gestrecktes Wirtschaftsgebäude, das "Kavalierhaus", mit achteckigem Glocken- und Uhr-Turm. 1878 wurde das Schloss um einen Seitenflügel beträchtlich erweitert. Die Prinzen von Reuß behielten das 194 Hektar große Anwesen Stonsdorf bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 50

1947 wurde das Schloss Kinderheim, dann Sanatorium. Zwischen 1981 und 85 ließ es die Feuerwehr, der es ab den 70er Jahren als Schulungsheim diente, umfassend sichern. Das Schiefer- wurde in ein Kupferdach umgedeckt - und die Innenwände wurden mit brauner Ölfarbe übermalt. Nach der "Wende" stand das Haus zehn Jahre leer. Es war - inzwischen ganz ohne sein Mobiliar - zu teuer.

Die Familie Agata Rome-Dzida und Waclaw Dzida kaufte das Schlossgrundstück im Herbst 2001. 51  Er stammt aus Oberschlesien und hat hier innerhalb weniger Jahre ein Schlosshotel eingerichtet. Wie Dzida sagt, "schlug schon die letzte Glocke", um noch etwas zu retten. Dabei baute er von unten nach oben die Zimmer aus - und vermietete sie 2002 schon, als noch die Handwerker darin arbeiteten. Auf die Frage eines Fernseh-Teams, ob er da noch ruhig schlafen könne, antwortete er sehr gelassen, ja, man schlafe hier sehr gut. Inzwischen sind 24 individuelle Doppelzimmer und ein Festsaal nutzbar. Auch in das "Kavalierhaus" kommen weitere Hotelzimmer. Die Scheunen werden ebenfalls renoviert, ein Felssteinstall hat nach dem Einsturz gerade ein neues Dach bekommen. Der polnische Staat unterstützt den Unternehmer leider nicht, obwohl er eigentlich 23 % der Investitionen zurück erstattet bekommen soll. Die Europäische Union gab nur einen Zuschuss für die Telekommunikation. Mit anderen Schlosshotel-Betreibern möchte Waclaw Dzida einen neuen Verein zur Tourismus-Werbung gründen.
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Wir ließen uns mit Kaffee oder Tee und einem Stück Kuchen bewirten, während der Chef zu uns ein kurzes Statement sprach. Das zweite Stück Kuchen, ein Mohnkuchen, musste übrigens wie der Wodka (kein Stonsdorfer) extra bezahlt werden. Auch ein Wirt, der sich freut, in den ruinierten Mauern einen magischen Platz geschaffen zu haben, muss schließlich von etwas leben. Wir gönnen es der jungen Familie mit ihrem kleinen Kind. Und wir freuen uns über die 20 neuen Arbeitsplätze in Gastronomie und Garten.

3.13 Kreisau/Krzyzowa
Das Dorf mit nur etwa 200 Einwohnern liegt 10 Kilometer östlich von Schweidnitz. In seiner Mitte befindet sich ein weitläufiger Gutshof mit einem Schloss aus dem späten 18. Jh. Am 12. November 1989 fand vor dem Herrenhaus eine polnisch-deutsche Versöhnungsmesse statt, an der Polens Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki und Deutschlands Kanzler Helmut Kohl teilnahmen. Wegen antideutscher Propaganda konnte der Gottesdienst nicht wie ursprünglich gewollt auf dem Annaberg statt finden, wie Prof. Matthée uns sagte.
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Kreisau gehörte der Familie von Moltke. Der preußische General-Feldmarschall Helmuth von Moltke, Sieger des preußisch-österreichischen Krieges von 1866 und des deutsch-französischen Krieges von 1870/71, erwarb Kreisau als Alterssitz (links Schlossportal mit den Wappen). Sein Urgroßneffe Helmuth James von Moltke war einer der beiden führenden Köpfe der bürgerlich-zivilen Widerstandsgruppe gegen den Nationalsozialismus.

Der "Kreisauer Kreis" bestand aus einem inneren Kreis von etwa 20 Personen und ungefähr ebenso vielen Mitwissern und Sympathisanten, die aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten stammten. Seine Mitglieder können in etwa in folgende Kategorien eingeordnet werden:
  • Die Gruppe der Adligen: Helmuth James Graf von Moltke (1907 - 1945), Peter Graf Yorck von Wartenburg (1904 - 1944), Hans Bernd von Haeften (1905 - 1944), Adam von Trott zu Solz (1909 - 1944), Horst von Einsiedel (1905 - 1948), Gablentz
  • Die sozialistische Gruppe: Adolf Reichwein (1898 - 1944), Carlo Mierendorf (1897 - 1943), Julius Leber (1891 - 1945), Theodor Haubach (1896 - 1945)
  • Die protestantische Gruppe: Harald Poelchau, Eugen Gerstenmaier (1906 - 1986), Theodor Steltzer (1880 - 1967)
  • Die katholische Gruppe: Alfred Delp (1907 - 1945), Augustin Rösch (1893 - 1961), Lothar König (1906 - 1946), Hans Lukaschek (1885 - 1960), van Husen, Peters.

Man kann auch eine eher soziologisch-wirtschaftlich interessierte Gruppe um Moltke und eine verwaltungstechnisch interessierte um Yorck unterscheiden (rechts im Bild: das sog. Berghaus, der Treffpunkt).

Von ihnen sollen nur die beiden wichtigsten Köpfe näher beschrieben werden. Helmuth James Graf von  Moltke hatte eine liberale Erziehung genossen. Beide Eltern waren Anhänger des "Christian Science". Über seine Mutter, Tochter des obersten südafrikanischen Richters, bestand eine emotionale Bindung an das britische Empire. Helmuths ausgeprägtes soziales Interesse hatte ihm den Spitznamen "der rote Graf" eingetragen. Nach der "Machtergreifung" Hitlers half er als Anwalt vom NS-Regime verfolgten Personen. Bei Beginn des Zweiten Weltkrieges war er "Kriegsverwaltungsrat der Abwehr", wo er sich als Sachverständiger für Kriegs- und Völkerrecht für dessen Einhaltung und die humane Behandlung von Gefangenen einsetzte.
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Peter Graf Yorck von Wartenburg, aus ebenso bedeutendem preußischen Adel, wurde christlich-humanistisch erzogen. Wie Moltke studierte er Rechtswissenschaften und hatte ein starkes politisches und soziales Verantwortungsgefühl auf der Basis einer konservativen Grundeinstellung entwickelt. Die Gewaltpolitik und Rechtlosigkeit im "Führerstaat" ließen ihn zu einem entschiedenen Gegner desselbigen werden.

Der Kreisauer Kreis bildete sich Anfang 1940, als Moltke und Yorck sich zur gemeinsamen Arbeit zusammen fanden. Systematisch wurden weitere vertrauenswürdige Personen hinzu gezogen. Die Themen der ersten beiden Schreiben von Moltke lauteten: "Welches ist die Manifestation der Gerechtigkeit im Staate!" und "Welches ist die Manifestation der Gerechtigkeit in der Wirtschaft?"

Das früheste Treffen fand im August 1940 in Kreisau statt. Moltke, Yorck, Einsiedel und Waetjen besprachen Fragen der Erziehung, des Versagens der Lehrkörper vor der nationalsozialistischen Einflussnahme und der Gestaltung der Erziehung nach Hitler. Die erste Tagung lief über Pfingsten, vom 22. - 25. Mai, 1942 in Kreisau. Wie die beiden folgenden fand sie im abseits gelegenen Einfamilienhaus, dem sog. Berghaus (oben im Bild), statt. Die Teilnehmer hielten zunächst vorher ausgearbeitete Referate, die diskutiert wurden. Themen waren Schul- und Hochschulfragen und das Verhältnis von Kirche zu Staat. Die zweite Tagung vom 16. - 18. Oktober 1942 war mit Themen überfrachtet. Gegenstand waren der föderale Verfassungsaufbau und die Wirtschaftsordnung. Nach der Kapitulation der 6. Armee in Stalingrad im Februar 1943 war offensichtlich geworden, dass das Deutsche Reich den Krieg nicht mehr gewinnen könnte. Zu Pfingsten 1943, vom 12. bis 14. Juni, wurde die dritte Tagung abgehalten. Die Tagesordnung ging um die Fortsetzung der Diskussion um die Wirtschaftsordnung, die Außenpolitik und die "Bestrafung der Rechtsschänder", also der nationalsozialistischen Kriegsverbrecher.

Im Januar 1944 wurde Moltke von der Gestapo verhaftet. Im Führungsduo Moltke/Yorck war Moltke die treibende, Yorck die integrative Kraft gewesen. Einige Mitglieder schlossen sich dem Kreis um Stauffenberg an, der einen gewaltsamen Umsturz vorbereitete. Nach dem Scheitern des Attentats vom 20. Juli 1944 wurden mehrere Mitglieder des Kreisauer Kreises verhaftet und einige hingerichtet.   Die grundlegenden geistigen, gesellschaftlichen und politischen Reformen, die den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt stellen sollten, konnten so für das Deutsche Reich nicht mehr verwirklicht werden.
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In Kreisau wurde, nach ersten Ideen 1988, im Juli 1990 auf Initiative des "Klubs der katholischen Intelligenz Wroclaw" die Stiftung "Krzyzowa/ Kreisau für Europäische Verständigung" gegründet. 53

Die Stiftung arbeitete seitdem daran, in den wieder herzustellenden Gebäuden eine internationale Begegnungsstätte zu schaffen, die vorwiegend Jugendlichen offen steht.

Bei meinem ersten Besuch mit einer Gruppe um Prof. Matthée im heißen Sommer 1994 waren im "Pferdestall" bereits Bauarbeiten im vollen Gange, aber noch kein Gebäude benutzbar. Die Michaelskirche zeigte damals Fotos und Zeitungsartikel vom Treffen der Regierungschefs. Das Herrenhaus dämmerte vor sich hin. Jetzt, dreizehn Jahre später, ist alles fertig und geradezu perfekt - wie in Lomnitz.
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Das Ensemble mit seinen Steinbauten vom Beginn des 19. Jh. ist das einzige noch erhaltene große ostelbische Gut Niederschlesiens. Im Karree angeordnet sind das "Torhaus" mit der Rezeption (oben links), das "Waschhaus" mit einer Kunstwerkstatt, die "Remise" mit der Kindertagesstätte, das "Gärtnerhaus" mit Gästezimmern, der "Pferdestall" mit der Jugendherberge (rechts), der "Speicher" mit der Europäischen Akademie, die "Scheune" mit Konferenzraum und der "Kuhstall" mit Speisesaal und Café unten sowie Mehrbettzimmern oben. (Das Schloss steht oben rechts, grau im Plan.)


Wir betraten das Schloss über seine hohe Treppe durch sein reich verziertes Portal. Die Wappen sind die der Familien Burt und von Moltke. Der schlichte Barockbau entstand von 1712 - 26. Bauherr war vermutlich Sigismund von Zedlitz und Leipe. Ursprünglich war das Haus nur zwei Stockwerke hoch. Ende des 19. Jh. verlangte der Dachausbau den Anbau der beiden Treppenhaus-Seitenflügel. Neben der Eingangshalle befinden sich eine Bibliothek (verschlossen) und der eher kleine helle Ballsaal links vom Eingang mit seinem weißen Kachelofen (unten).
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Die Dauerausstellung in zwei Erdgeschossräumen widmet sich zum einen der Widerstandsgruppe um Helmuth James von Moltke mit vielen vertrauten Köpfen, zum anderen dem Widerstand gegen den Kommunismus in den europäischen Ländern des sowjetischen Blocks der Nachkriegszeit mit uns weitgehend unbekannten Namen. Im Treppenhaus sind zwei riesige Fresken an den Seitenwänden angebracht: links "Die Schande" mit dem Einmarsch der französischen Armee 1806 in Lübeck und rechts "Die Vergeltung" mit dem Einzug der siegreichen deutschen Truppen in Paris 1871. Auf ihm bekommt der Generalfeldmarschall auf einem grauen Pferd Meldung erstattet. 54

Vom Schloss aus gingen wir nach links etwa 10 Minuten zum Berghaus, über einen Graben, durch eine Allee und an einigen Wohnhäusern vorbei. Am Berghaus genoss die Hausmeisterfamilie ihren frühen Feierabend auf dem Rasen, wir drängten uns nicht auf. Statt dessen ließen wir uns auf dem stillen Gutsgelände Kaffee oder Eis servieren.

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