3.5 Toul
Die alte Bischofsstadt liegt an der Mosel und am Rhein-Marne-Kanal, westlich von Nancy. In der Antike trug der Hauptort der gallischen Leuker den Namen Tullum Leucorum oder nur Tullum. An der Kreuzung zweier wichtiger Straßen (schon eine Römerstraße führte von Lyon nach Trier) entstand bereits im Jahr 365 mit dem Missionar Saint Mansuy ein Bischofssitz unter dem Erzbistum von Trier.
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Eine barbarische Zeit mit immer wieder kehrenden Invasionen schloss sich an. Die Stadt wurde mehrmals verwüstet, insbes. 451 von den Hunnen. Toul gehörte nacheinander zu den Königreichen Austrasien und dem der Karolinger. Schenkungen von Dagobert I. 622, Karl dem Großen 804 und Arnulf von Lothringen 894 stärkten Touls weltliche Macht. 925 fiel die Stadt mit Lotharingien an das ostfränkische, deutsche Reich.

Die Charta von Mainz 928 bekräftigte die Stellung der Bischöfe und räumte ihnen weit gehende Rechte ein. Das Bistum von Toul und die Bistümer von Metz und Verdun bildeten die berühmten "Drei Bistümer" oder "Trois-Évêches", die als eigenständige Länder auch mit weltlichem Recht durch ihre Bischöfe regiert wurden. Ein Bischof von Toul wurde im 10. Jh. als Leon IX. sogar Papst. Noch bis zur Mitte des 10. Jh. herrschten hier die Bischöfe. Jedoch wurden die Bürger mit der klerikalen Verwaltung immer unzufriedener. Die abstrusen und blutigen Streitigkeiten dauerten drei Jahrhunderte an und führten schließlich zur Gewährung kommunaler Freiheiten. Durch den Weinhandel reich geworden, wurde der auf deutsch Tull genannte Ort schon im 13. Jh. Reichsstadt. 23

Der französische König Henri II. ließ Toul, Metz und Verdun 1552 besetzen und richtete Garnisonen ein. Im Westfälischen Frieden wurde Frankreich der Besitz der Stadt bestätigt. Der bekannte Festungsbaumeister Sébastien le Prestre de Vauban, der u.a. auch in Metz und Straßburg wirkte, ließ die Altstadt ab 1699 mit einem Festungsgürtel ummauern. Die Arbeiten wurden 1712 abgebrochen, lediglich ein Ravelin war fertig gestellt. Die ersten Kasernen innerhalb der Festungsmauern boten der Garnison 1747 bzw. 1784 Schutz.

1777 wurden die Diözesen Nancy und Saint-Dié ausgegliedert, 1802 wurde das Bistum aufgehoben. Die französische Revolution, in der zahlreiche Kirchen und Klöster zerstört wurden, läutete den Abstieg der alternden Stadt zu Gunsten des jungen und dynamischen Nancy ein. 14 Jahrhunderte bischöfliche Geschichte waren beendet. Heute zählt der Hauptort eines Arrondissements rund 17.000 Einwohner. 24

Im Deutsch-Französischen Krieg 1870 wurde Toul von der deutschen Armee umgangen. 1914 und 1940 jedoch erlitt die Stadt schwere Zerstörungen, rund 40 % der Altstadt war vernichtet.
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Auch heute noch wird das Antlitz der Stadt Toul von zweierlei geprägt: Schon von ferne ragt die hohe Kathedrale mit ihren stumpfen Türmen auf, und darunter erstrecken sich die schweren Festungsmauern. Durch eines der vier Tore, die Porte de Metz (vormals Porte Royal, im Osten, die wir benutzten), Porte de la Moselle (Süden), Porte Jeanne d'Arc und Porte de France (beide im Westen), kann in die Altstadt eingefahren werden. Das Metzer Tor mit seiner einfallsreichen Fallbrücke ist als einziges noch im ursprünglichen Zustand. Die Wandpfeiler, der Giebel und der schmale Durchgang sind Beispiele für Vaubans Bauweise. Die in das Verteidigungssystem eingebundene "porte d'eau" und der Schieber zur Flutung des Wallgrabens sind gut erhalten. Im Verlauf des 19. Jh. kamen zahlreiche Kasematten zum Schutz jeweils einer Garnison Infanterie oder Kavallerie hinzu. Diese Bauten waren wegen der Weiterentwicklung der Artillerie unverzichtbar geworden.
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Im Zentrum, südlich der Kathedrale, steht der barocke Bischofspalast, heute Rathaus oder Hôtel de Ville. Das Gebäude, im Dezember 1939 komplett ausgebrannt, stand bis in die 70er Jahre als Ruine, bekam eine Zwischendecke und ist Sitz der Verwaltung. Die Freifläche wird von einem mächtigen, uns in der Mittagshitze Schatten spendenden Baum beherrscht.

Wohltuende Kühle empfängt uns auch in der hellen gotischen Kathedrale Saint Étienne. Ihre elegante Silhouette zeugt noch heute von der reichen geschichtlichen Vergangenheit (Fotos oben und links). Die heutige Kathedrale ist das neunte Sakralgebäude an dieser Stelle. Es steht auf den Fundamenten des romanischen Doms, den Bischof Gérard im 10. Jh. begann. Sie ist Teil einer Dreiergruppe von Basiliken, deren andere der Jungfrau Maria und Johannes dem Täufer geweiht waren. Das heutige Gebäude wurde 1221 unter Bischof Eudes von Sorcy mit dem Chor begonnen. Einflüsse aus der Champagne, von den Kathedralen in Reims und Chartres, sind unverkennbar. Die gotischen Buntglas-Fenster, einige Meter über dem Boden beginnend, ragen 25 Meter hoch bis ans Gewölbe.

Einer der wenigen bekannten Baumeister war Pierre Perrat, gestorben um 1400, der vom 4. bis 7. Wand- und Gewölbefeld arbeitete. Perrat wirkte auch am Dom von Metz. Das Querschiff, beinahe so lang wie das Hauptschiff, ist ohne Seitenschiffe 18 Meter breit und damit eines der größten gotischen Querschiffe.

Die Verelendung der Region in der ersten Hälfte des 15. Jhs, verursacht durch den Konflikt zwischen Lothringen und Burgund, bremste die Bauarbeiten. Ab 1460 gelang es den Domherren, das erforderliche Kapital für den Abschluss der Konstruktion zusammen zu bringen. Jetzt wurde die Westfassade von Tristan von Hattonchâtel unter Baumeister Jacquemin von Lenoncourt anvertraut. Die strahlend und lodernd wirkende Fassade in der sog. "Flamboyant-Spätgotik" wurde um 1500 fertig. Trotz der langen, oft unterbrochenen, Bauzeit ist das Gebäude sehr homogen und stiltreu gelungen. Im 16. Jh. kamen zwei Renaissance-Kapellen - eine ist die großartige Allerheiligen-Kapelle (Foto rechts) - und die beiden Glockentürme hinzu. Wegen des Einsturzes der obersten Etage des Südturms 1561 wurden die Pläne für die Turmspitzen aufgegeben, heute ragen sie 65 Meter hoch auf. Zwischen 1625 und 1725 wurde eine Zierwand innen entlang der Chorwand in reinstem Barock aufgerichtet. Die Malereien darin stellen Bischöfe, Ärzte und Apostel dar.
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In der Revolution hatte die Kathedrale schwer gelitten, die Verzierungen, das Chorgestühl der Domherren und der Domschatz verschwanden. Von den 120 Figuren aus der Westfassade blieben nur elf erhalten, die, bis auf zwei im Museum, alle in Privatbesitz sind. Im 19. Jh. fing die Ära der großen Restaurationen an. 1870 von preußischen Schüssen beschädigt, wurde die Nordseite von Architekt Boeswillwald ab 1874 restauriert. 25

Die Kathedrale von Toul ist als einzige in Frankreich im kommunalen Eigentum, was die Finanzierung der erforderlichen Baumaßnahmen enorm erschwert. Erst im letzten Jahr mussten die Bauarbeiten für ein Jahr unterbrochen werden, weil 20 % des Geldes fehlten. Im Krieg, am 20. Juni 1940, wurden der Südturm entthront, die Glocken, die großen Orgeln und das Dach zerstört. Mehr als vier Jahrzehnte schützte eine Zwischendecke die Gewölbe. 1978 bestand Einsturzgefahr, 1981 wurde der Dom geschlossen. Ein neuer Dachstuhl aus Metall wurde aufgesetzt. 1995 waren die wichtigsten Arbeiten vollendet. Aber das Blechdach auf dem Kreuzgang mit seinen 23 Wasserspeiern stammt noch aus den frühen Nachkriegsjahren. Dieser Kreuzgang mit 54 mal 42 Metern ist einer der größten gotischen Kreuzgänge in Frankreich.

Gottesdienste werden in der Kathedrale keine mehr abgehalten, weil eine Pfarrkirche - Saint-Gengoult aus dem 13. - 15. Jh. - in der Stadt genügt. Als Herr Dr. Budesheim vor einem halben Jahr hier war, war die Kirche verschlossen, der Kreuzgang aber offen. Dort knutschten Schüler, rauchten und pinkelten in die Ecken. Im Innenhof lag eine große Schutthalde.

3.6 Metz
Die Großstadt am Zufluss der Seille in die Mosel mit etwa 120.000 Einwohnern (etwa noch einmal die gleiche Zahl im Einzugsgebiet) ist Hauptstadt der Region Lothringen und Sitz der Verwaltung des Départements Moselle. Metz ist Standort einer internationalen Messe, Handelszentrum für Agrar-Erzeugnisse wie Wein u.a. sowie der lothringischen Eisen- und Stahlindustrie und seit einigen Jahrzehnten Universitätsstadt.
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Der Hügel nordöstlich der Kathedrale ist seit der Hallstattzeit besiedelt. In gallischer Zeit war Metz als Divodurum (keltisch für Götterburg) Hauptort der keltischen Mediomatriker. Unter den Römern hieß der, 52 v. Chr. eroberte, wichtige Straßenkreuzungspunkt zwischen Reims, Trier, Straßburg und Mainz daher auch Mediomatricum. Im 2. Jh. n. Chr. lebten hier bereits 40.000 Einwohner und damit mehr als in Lutetia (Paris). Im Jahr 280 kam St. Clement, der erste Bischof, und ließ sich vorsichtigerweise außerhalb der Stadt in den Ruinen des Amphitheaters nieder, das einst 25.000 Besucher fassen konnte.

Im 4. und 5. Jh. gründeten sich die ersten christlichen Gemeinden. 451 zerstörten Truppen des Hunnenkönigs Attila die Stadt, die 535 Bischofssitz unter dem Erzbistum von Trier wurde.

In merowingisch-fränkischer Zeit war Metz zeitweise Hauptstadt Austrasiens, also des fränkischen Ostreiches, und Stammsitz wie beliebter Aufenthaltsort der Karolinger. Die Stadt blühte auf kulturellen und religiösen Gebieten. Bereits 39 Kirchen und zahlreiche Klöster und Stifte beherbergte Metz. Die ehemalige römische Basilika Saint-Pierre aux Nonnains gilt als älteste Kirche Frankreichs.

Bei den karolingischen Teilungen kam Metz, hochmittelalterlich Mettis genannt, 843 an Lotharingien und mit diesem 870 an das Ostfränkische, später Heilige Römische Reich. Zwischen 1180 und 1210 wurde Metz deutsche Reichsstadt. Mit ihrem Umland, den Pays Messin, stieg sie im 13. Jh. zur flächengrößten Reichsstadt auf und wies alle Angriffe der Herzöge von Lothringen zurück.

Wie in der benachbarten freien Reichsstadt Straßburg entwickelte sich eine Stadtrepublik, die von den reichsten Patrizierfamilien, den Paraiges (das kommt vom Wort Paar), geführt wurde. Sie bildeten ein Kollegium von 13 Vertretern, die man auch "les Treize" (die Dreizehn) nannte.
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Die Bewohnter nannten sich "Citains", was eindeutig auf das norditalienische Vorbild der autonomen "Città" weist. Metz unterhielt damals einen regen Kontakt mit den italienischen Handelsstädten und beherbergte zahlreiche sog. "lombardische Kontore", die das Geld- und Kreditgeschäft hierher brachten.

Die jüdisch-aschkenasische Gemeinschaft gehörte zu den ältesten Frankreichs und spielte eine entscheidende Rolle im Geldverkehr zwischen Obrigkeit und Volk.

Der Bischof blieb formal das Oberhaupt der freien Stadt, verlegte seine Residenz jedoch nach außerhalb. Bis zum 16. Jh. war Metz eine wahrhafte Klosterstadt. Ab dem 12. und 13. Jh. kamen die Ritter- und Bettelorden dazu, die aus Metz eine mehrheitlich geistliche Stadt machten.

Den Vereinbarungen von Chambord folgend, besetzte Heinrich II. von Frankreich 1552 nach achttägigem Widerstand Metz. Er nannte diesen Einzug "la chevauchée d'Austrasie" (der Ritt nach Austrasien), weil er diesen politischen Erfolg als Revanche dafür betrachtete, dass seine karolingischen und kapetingischen Vorfahren den lothringischen Teil seines Reiches verloren hatten. Alle Rückeroberungen durch Kaiser Karl V. scheiterten. Die Franzosen setzten der geistlichen Periode ein endgültiges Ende. Sie verwandelten die einst religiöse Stadt in ein militärisches Bollwerk gegen das Deutsche Reich.

Obwohl der Katholizismus französische Staatsreligion war, paktierten die Könige oft mit protestantischen deutschen Fürsten, um dem katholischen Habsburger "Erbfeind" die europäische Vormachtstellung streitig zu machen. Nur mit dem stillen Einvernehmen der protestantischen sog. "Fürstenverschwörung" konnte der Franzosenkönig in die freie Stadt Metz einziehen, die bekanntlich dem römisch-deutschen Kaiser zugetan war, um sie vermeintlich vor dem lothringischen Herzog zu schützen.

Die Franzosen blieben in Metz, bis der Westfälische Friede 1648 ihnen die Bistümer offiziell und endgültig zuerkannte. Metz wurde nun Hauptstadt der Provinz "Drei Bistümer" (Trois évêchés), die die ehemaligen Territorien von Metz, Toul und Verdun umfasste. Im 17. Jh. wurde die Stadt durch Sébastian Le Prestre de Vauban befestigt. Sie diente fortan als Drehscheibe für alle Feldzüge Ludwigs XIV. gegen Osten. 26

Im Deutsch-Französischen Krieg wurde in Metz das Gros der französischen Rheinarmee nach den Schlachten von Colombey-Nouilly, Vionville und Mars-la-Tour sowie Gravelotte-Saint-Privat von deutschen Truppen eingeschlossen. Ein Ausfall aus der damals zweitgrößten französischen Festung nach Paris scheiterte, so dass die Stadt zwei Monate später nach der Belagerung durch General Moltke kapitulieren musste; 173.000 französische Soldaten gerieten in Gefangenschaft. 27  Nach dem Übergang an Deutschland verließen 43 % der Einwohner ihre Stadt Metz.

Der Brockhaus von 1906 nennt Metz als "Festung ersten Ranges". Hier war das Generalkommando des 16. Armeekorps stationiert. Die Stadt war auf beiden Seiten der Mosel von einem Festungsgürtel eingeschlossen (links: Feste Friedrich Karl, Fort Manstein, Alvensleben, Kameke, Hindersin, rechts: Fort Manteuffel, Göben, Zastrow, Prinz August von Württemberg u.a.). Ihnen waren vielfach gepanzerte Befestigungsgruppen vorgelagert (Feste Graf Haeseler, Kronprinz, Kaiserin, Lothringen, Gentringer Höhen).

Die deutsche Annektion - oder die Rückgabe an das Deutsche Reich - wirkte sich besonders stark auf das Metzer Stadtbild aus, sie machte sich in der militärischen und zivilen Architektur bemerkbar. Noch heute kann man ohne Probleme das "französische" vom "deutschen" oder "preußischen" Metz unterscheiden.

Bei der Volkszählung 1900 gaben im Stadtkreis Metz 78 % Deutsch als Muttersprache an, wenngleich viele hier stationierte deutsche Beamte oder Soldaten waren. Im Landkreis sprachen noch 57 % Deutsch. Als Hauptstadt von Elsass-Lothringen gehörte Metz von 1871 - 1918 und von 1940 - 44 zum Deutschen Reich.
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Im Mittelpunkt der Stadt Metz ragt eine einzigartige Kathedrale auf: St. Etienne, dem Hl. Stephanus geweiht (Foto links). Sie hat mehrere Vorgänger, obwohl der Standort auf einer abrupt nach Norden und Osten abfallenden Kuppe für die Errichtung eines so ausladenden Bauwerks denkbar ungeeignet ist.

Im Jahr 415 wurden in Jerusalem die Reliquien des Hl. Stephanus, des ersten Märtyrers der Christenheit, wieder entdeckt. In der ganzen christlichen Welt begann seine glühende Anbetung. Noch im selben Jahr wurde im Herzen von Metz, zwischen Thermen und Mosel, das erste solide Oratorium, also Bethaus, am heutigen Platz von St. Etienne begonnen. Den Einfall der brandschatzenden und mordenden Hunnen am Ostersonntag 451 überlebten nur die Menschen, die im Oratorium Schutz gefunden hatten.

Im folgenden Jahrhundert entstand an dieser Stelle die erste Kathedrale. Zahlreiche sakrale Bauten umgaben sie. Die Regierungszeit der Ottonen und Kapetinger, die Reformen von Cluny und Gorze, brachten einen neuen Aufschwung für die Welt der Künste.

Metz ersetzte seine alte verfallene Kirche durch eine romanische Kathedrale im Stil der Kirchen der Maas- und Rheinebenen. Die unter Bischof Thierry I. († 984) begonnene Kirche weihte sein Nachfolger Thierry II. 1040. Der dreischiffige Bau verfügte über ein Querhaus und drei Apsiden. Dieser präromanische Bau stand zwei Jahrhunderte.

Schon entstand in der Ile de France und der Champagne ein neuer Stil, der in Kürze das gesamte Christentum erobern sollte: die Gotik. Unter Bischof Konrad von Scharfeneck wurde kurz nach 1200 mit dem Neubau begonnen. Wegen der Bodenverhältnisse konnte der Grundriss nur nach Westen erweitert werden.
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Hier jedoch erhob sich die Stiftskirche von sechs Domherren, die man wegen ihres runden Chorhauptes Notre-Dame-de-la-Rotonde nannte. Die 60 Domherren der Kathedrale waren gezwungen, sich mit ihnen unter einem Dach zu vereinen. Notre-Dame-la-Ronde bildete fortan die letzten drei Joche der neuen Kathedrale. Die vier runden Pfeiler von 1,64 Meter Durchmesser kennzeichnen sie noch heute, ebenso wie ihr nach Südosten weisender Chor, der wie eine Seitenkapelle wirkt. Das neue Langhaus schließt also im rechten Winkel an die alte Marienkirche an.

Den Kirchenbau flankieren zwei verschieden hohe Türme. Im Norden ragt der Kapitelturm 60 Meter auf, im Süden der sog. Mutte- oder Mütte-Turm sogar 90 Meter. In ihm hängt die Mutte-Glocke, welche etwa zehnmal eingeschmolzen wurde und etwa 11 Tonnen wiegt. Um 1350 ließ Bischof Adémar de Monteil die Kapelle der Bischöfe anfügen, die heutige Kapelle des Heiligen Sakramentes, die erst ein knappes Jahrhundert später fertig wurde.

Der Rohbau der Schiffe der Kathedrale dauerte ebenfalls etwa ein Jahrhundert. Das Gewölbe des Hauptschiffes wurde 1380 vollendet; jetzt riss man die Wand zu Notre-Dame-la-Ronde ein. 1503 wurde das alte Chorhaupt abgebrochen. Der neue Chor mit Querhaus konnte 1522 feierlich eingeweiht werden. Die gigantische Kathedrale, wie wir sie heute vorfinden, war nach drei Jahrhunderten vollendet.

1754 wurden trotz Proteste der südlich angrenzende Kreuzgang und die mit ihm verbundenen Kirchen abgebrochen, um einen Platz zu Ehren des Königs anzulegen, den heutigen Place d'Armes oder Paradeplatz. Während der Revolution war die Kathedrale einer wahren Zerstörungswut ausgesetzt; zwischen 1791 und 93 wurden fast alle Altäre und Grabstätten vernichtet. Man wollte sogar die Glasfenster beseitigen, doch die Kosten für ihre Abnahme erwiesen sich als zu hoch. Der letzte Weltkrieg hat 1944 nur einige Fenster minderen Wertes beschädigt. 28
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Die Höhe des Mittelschiffs beträgt stattliche 41,77 Meter - die dritthöchste in Frankreich. Zum Vergleich für Norddeutsche: St. Nikolai in Wismar 37 Meter (Breite zu Höhe 1 : 3,5), St. Marien in Lübeck 38 Meter (1 : 2,6), Dom St. Peter in Köln 43,35 Meter (1 : 3,5) und Beauvais 46,75 Meter (1 : 3) als das höchste Kirchengewölbe der Welt. 29  Die Breite des Hauptschiffes in Metz ist nur 15,60 Meter, das Verhältnis bei recht steilen 1 : 2,7. Der Eindruck der Höhe und Leichtigkeit verstärkt sich noch durch die recht niedrigen Seitenschiffe von nur 14 Metern, also 1/3 des Mittelschiffes.
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Von der trotz der revolutionären Bilderstürmer reichhaltigen Innenausstattung ist z.B. die wie ein Schwalbennest am Triforium hängende Renaissance-Orgel von 1537 erwähnenswert, die sogar noch immer spielbar ist.

Die Kathedrale St. Etienne beeindruckt vor allem durch ihre Fenster: Die verglaste Oberfläche ist mit 6.500 Quadratmeter die größte in ganz Europa! Sie lässt die Architektur erstrahlen und macht sie zu einer der am stärksten von Licht durchfluteten Kathedralen der Welt. Das nördliche Querhausfenster stammt von 1504, das südliche von 1521, die anderen Buntglasfenster dem 16. bis 20. Jh. Besonders bekannt sind vor allem die Werke von Valentin Bousch aus dem 16. Jh. und im nördlichen Chorseitenschiff von Marc Chagall aus dem 20. Jh. (Bild links). - Auch wir konnten kaum genug bekommen vom milden Abendsonnenlicht, das durch das farbige Glas tief in den weiten Kirchenraum floss und das Gotteshaus zu verzaubern schien.

Zum Verweilen lädt ein La Place Saint-Louis (Ludwigsplatz) mit seinen Arkaden, und zwar sowohl in der Mittagshitze wie der Abendkühle. Hier verlief die erste Stadtmauer. Im 13. - 14. Jh. hieß der Ort Place de Change bzw. Wechselplatz und war der große Handelsplatz von Metz. Unter den Arkaden konnten 60 lombardische und jüdische Geldwechsler Unterstand finden. Die italienische Bauweise ist unverkennbar: flache, zurückgesetzte Dächer, hohe Fassaden mit Schirmwänden, manche davon mit Zinnen versehen. Auf den Fassaden sieht man noch gotische Fenstereinfassungen der Bauzeit und Renaissance-Balkone.
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1708 wurde der Name des Platzes aus Versehen geändert: Eine Statue, die von Ludwig XIII. an einem Brunnen angebracht wurde, verwechselte man mit dem Hl. Ludwig IX. Napoleon ließ eine echte Statue errichten, die noch heute den Platz ziert. - Durch die weitläufige Stadt führte uns kundig und geduldig Madame Marie Laura Schuck, mit einem "Wir gehen jetzt ... Sind Sie einverstanden?"

Die Kirche St. Martin wurde Anfang des 13. Jh. auf römische Mauerreste gebaut, die man zu beiden Seiten des Portals sehen kann. Die Entwicklung der Stile verläuft harmonisch vom Eingang der Kirche bis zum Altar:

Man betritt die Kirche im romanischen Nartex, dessen Dämmerlicht und Schwere das Gewicht der irdischen Welt darstellt. Man gelangt weiter in das gotische Mittelschiff, dessen Helligkeit den Besucher unaufhaltsam nach Reinheit und Geistlichkeit streben lässt. Schließlich erreicht man den spätgotischen Chor, dessen Macht und Feinheit die Erhebung zu Gott verkörpert. Den Chor schmücken herrliche Fenster in weichen Farben, die das Leben des Hl. Martin erläutern. 30 (links: Marienrelief) -
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Für uns Reisende war die Martinskirche ein gern genutzter Zwischenhalt auf dem Weg vom Hotel in das Stadtzentrum und zurück, um uns einzustimmen auf das, was uns als nächstes erwarten könnte.

Das Museum für Kunst und Geschichte der Stadt Metz im "La Cour d'Or" lässt die glorreiche Vergangenheit weiterleben (Foto oben rechts). Dieses Gebäude-Ensemble bietet eine historische Kontinuität, die von den Römern über die Merowinger und Karolinger bis zu Mittelalter und Renaissance führt. Anstatt wie üblich ausgestellt zu sein, sind Kunstwerke und architektonische Elemente durch eine besondere Inszenierung hervor gehoben. Statt großer Säle wechseln sich kleine Räume und Passagen ab, die von den Thermen zum Kornspeicher, dem einzigartigen Grenier de Chèvremont aus dem 15. Jh., führen. Räume und Inhalte verschmelzen harmonisch miteinander. Die gallo-römische Sammlung findet man in den antiken Thermen, die an Ort und Stelle erhalten sind, das Mittelalter in entsprechenden Räumen. Licht und Farbeffekte, Material und Volumen wechseln ständig. Man versteht sofort, wozu die ausgestellten Gegenstände dienten, und wo sie sich in ihrer Umgebung befanden. Alle Themen des Lebens werden behandelt: Handwerk und Handel, Herstellungsverfahren, Architektur, tägliches Leben (ein großer Saal für die jüdische Alltagskultur!), Religionen und Mythologien.

Drei Sehenswürdigkeiten verdienen allein schon einen Besuch. Die erste ist der Altar des Mithras, dessen Kult die römischen Legionäre mitbrachten. Als Gott des Lichts und der vier Elemente wird er dargestellt, wie er einen Stier ersticht, dessen Blut in einer Schale aufgefangen wird, und aus dessen Schwanz Kornähren sprießen. Dies sind Vorzeichen der christlichen Eucharistie. Das Gesicht Mithras, mit einer besonderen Lieblichkeit, erleuchtet von einem mystischen Lächeln, ist ein Meisterwerk (unten links).
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Die Chorschranke (Chancel) von Saint Pierre aux Nonnains (St. Peter zu den Nonnen) gilt als bedeutendstes Bildhauerwerk der Zeit der Merowinger in Frankreich. Es wird allein in einem im kaiserlichen Purpur gehaltenen Saal hervor gehoben. Dies ist eine Ballustrade, die einen Raum, der für den Kirchenchor vorbehalten war, vom Rest der Kirche trennte. Die Flachreliefs sind von außergewöhnlichem Interesse und zeigen verschiedene Einflüsse wie: Gallisch, Germanisch, Römisch, Syrisch, Byzantinisch und Koptisch

Die herrlichen, gotischen, bunt bemalten Holzdecken aus dem 13. Jh. zeigen Monster - Wesen, die halb Mensch, halb Tier sind - sowie groteske Gesichter und Bestien, wie man sie im Mittelalter immer wieder darstellte. Aus dem folgenden Jahrhundert kann man eine Holzdecke mit Blumenranken bewundern. Das 15. Jh. wird besonders durch eine bunte Deckenmalerei mit heraldischem Dekor verschiedener Staaten und Städte Europas hervor gehoben.

Das Museum besitzt noch viele andere Schätze, wie die Statuen einer Siegesgöttin und der Isis, eine Jupitersäule, die Reiterstatue Karls des Großen, eine karolingische geschnitzte Elfenbeintafel oder Gemälde des 15. bis 20. Jhs. 31  - Wir durchstreiften die kühlen Räume in der Mittagshitze und bewunderten die Kunstwerke und Alltagsgegenstände. Doch das Gebäudegewirr vom Keller bis unters Dach ist so verschlungen, dass so mancher von uns nicht zurück ins Freie fand, ohne die Aufseher zu fragen.

Das Kaiserliche Viertel um den Bahnhof sollte nach der Planung fünf Ziele anstreben:
  • Kaiser Wilhelm II. wünschte in Metz eine neue Stadt im deutschen Stil zu gründen und Metz damit zu germanisieren
  • Die Armee wollte ein Stadtviertel, das sich um einen riesigen strategischen Bahnhof gliedert, um einen Konflikt mit Frankreich vorzubeugen
  • Die Stadtverwaltung wünschte eine moderne Stadt mit öffentlichen Einrichtungen
  • Die Bürgerschaft wollte ein schickes Wohnviertel
  • Die Architekten folgten der Absicht, eine von ihrem Stil und ihrer Bauweise her kunstvolle Stadt zu schaffen, und nahmen den mittelalterlichen Städtebau zum Vorbild.
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Die Neustadt unterscheidet sich also von der Altstadt dadurch, dass sie vollkommen durchdacht und geplant war, bevor sie gebaut wurde. Die Architekten betrachteten die Neustadt als ein Theater, wo Gebäude zu Schauspielern, Bewohner zu Zuschauern und Architekten zu Spielleitern werden.

Kaiser Wilhelm ordnete an, die öffentlichen Gebäude im Stil der Neoreanissance und der Neoromanik zu bauen. Der deutsche Kaiser dachte, dass durch die Germanisierung der Architektur ein deutsches Bewusstsein bei den Bewohnern entstehe und somit die Eingliederung ins Deutsche Reich erleichtert werde.

Das Ergebnis war genau das Gegenteil. Die Germanisierung schockte die Metzer, die mit noch mehr Widerstand die Erinnerung an Frankreich in der Architektur verteidigten. Die Avenue Foch zeigt deutlich diesen Stilkampf: Während die deutschen Immigranten im Stil der Romanik, Renaissance, des Barock oder Jugendstils bauten, verwendeten die Metzer den Stil Louis XV. oder XVI. Diese Avenue ist so zu einem Lexikon der Baustile geworden.

Den Mittelpunkt des Kaiserlichen Viertels bildet der Bahnhof. Von 1905 - 1908 gebaut, sollte er Drehscheibe für die Reichsarmee werden, die, nachdem sie Frankreich geschlagen hätte, sich nach Russland wenden sollte. 25.000 Soldaten mit Pferden und Kanonen sollten innerhalb von 24 Stunden verladen werden können!
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Rundbögen, Portale mit Löwen, Laubwerk, Bestien und Figurenkapitelle entwarf Architekt Kröger im neoromanischen Stil. Wilhelm II. wollte die Existenz des Zweiten Reiches rechtfertigen, das erst 30 Jahre alt war, und bezog die Themen des Bahnhofs deshalb auf die deutsche Geschichte. Er wollte die glorreiche Vergangenheit des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation wieder erwecken, das die geistliche und weltliche Macht vereinte.

Deshalb ist die erste Halle (Abfahrt) einer Kirche ähnlich - der Uhrturm ist der Glockenturm -, der rechte Teil (Ankunft) symbolisiert einen mittelalterlichen Kaiserpalast. Dass Metz vom Deutschen Reich beschützt wird, verkörpert die Rolandsstatue an der Ecke des Uhrturms. 32

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