3.3 Nancy
Die Großstadt mit rund 105.000 Einwohnern (einschließlich der Agglomeration 330.000 Einwohner) an der Meurthe ist Sitz (Präfektur) des Départements Meurthe-et-Moselle. Auf Deutsch wurde die Stadt im wilhelminischen Kaiserreich auch Nanzig genannt; dieser Name ist nur noch in Luxemburg gebräuchlich. Die Diestel im Stadtwappen bedeutet: "Wer sich an mir reibt, wird gestochen".

Um die Burg des Grafen Gérard, Herzog von Lothringen, entstand im 11. Jh. die Stadt als Castrum Nanceium; sie erhielt 1265 Stadtrechte. Nach dem Brand im 13. Jh. wurde die Stadt mit einer Mauer umgeben. 18
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Karl der Kühne von Burgund wollte am 5. Januar 1477 seine Besitzungen - Burgund, Luxemburg und Flandern - miteinander verbinden. Er trachtete danach, Nancy an sich bringen. In der berühmten Schlacht von Nancy stürzte er in einen Teich, wo er anfror und zum Teil von Wölfen gefressen wurde, wie uns die Führerin Frau Wolloit erzählte. Die Schlacht gewannen die verbündeten schweizerischen Eidgenossen.

Ihre größte Blüte erlebte Nancy unter den Herzögen Anton (1489 - 1544) und Karl III. (1543 - 1608). Im Süden der Altstadt wurde ab 1588 die Neustadt (Ville-Neuve) mit ihren planmäßig rechtwinklig sich kreuzenden Straßen angelegt.

Im Dreißigjährigen Krieg wurde Nancy schwer verwüstet. Immer wieder wurde die Stadt von französischen Truppen besetzt und kam 1697 nach dem Frieden von Rijswijk mit dem Herzogtum Lothringen an Frankreich. König Ludwig XV. gab das Herzogtum an den abgesetzten polnischen König Stanislaus Leszczynski, der es von hier und ab 1702 von Lunéville aus regierte. 19  Nancy wurde 1790 Hauptstadt des Départements Meurthe, 1871 des Départements Meurthe-et-Moselle.

Von 1871 bis 1918 gehörten das Elsass und der Nordteil Lothringens zum Deutschen Reich. Nancy blieb anders als das 30 Kilometer nördlich gelegene Metz bei Frankreich. Wer nicht deutsch werden wollte, wanderte von Metz nach Nancy, dessen Einwohnerzahl sich verdoppelte, wie uns die Führerin Frau Hübler erklärte.

In das Weltkulturerbe der UNESCO wurde 1983 das Ensemble aus Place Stanislas, Place de la Carrière und Place d'Alliance (auch Place de l'Hémicycle) in Nancy aufgenommen als eines der bedeutendsten Beispiele aufgeklärt-absolutistischen Städtebaus. Die drei Plätze wurden vom Architekten Emmanuel Héré von 1752 bis 1760 angelegt. Zuvor trennte ein großer, freier Platz die Alt- von der Neustadt.

Die Place Stanislas, vormals Place Royale, begründet als erster den Typus französischer Königsplätze mit einheitlichen Fassaden um ein zentrales Herrscherbild. Das Denkmal war ursprünglich König Ludwig XV. von Frankreich gewidmet, verschwand aber in der Französischen Revolution. Erst 1831 wurde die neue Statue, nun Herzog Stanislaus verkörpernd, von Jaquot eingeweiht.
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Die Figur zeigt zum Triumph-Bogen, ihre Trompete, die im Januar gestohlen und jetzt ersetzt wurde, soll dem König huldigen (links). Rings um den Platz ließ Héré in der selben klassischen Form durch Risalite gegliederte Pavillons errichten. Im Süden steht das Hôtel de Ville (Rathaus), dessen Fassade mit den Wappen von Stanislaus und der Stadt geschmückt ist. Im Osten stehen das Grand Hôtel, vormals Pavillon des Gutsverwalters Alliot, und die Oper, vormals Sitz des Steuereinnehmers.

Gegenüber im Westen stehen der Pavillon Jacquet und das Musée des Beaux-Arts (Museum der Schönen Künste), in dem zuerst das Collège de Médicine untergebracht war. Im Norden durften wegen der militärischen Sicherheit der Altstadt nur einstöckige Pavillons, die "basses faces", entstehen. An den Ecken werden die Bauten durch Schmuckgitter aus Schmiedeeisen locker miteinander verknüpft, vor denen der Amphitrite- und der Neptun-Brunnen im Rokokostil gestaltet sind (Bild oben rechts).

Durch den Arc de Triomphe, den Triumph-Bogen (Foto links), von 1757 zu Ehren Ludwigs XV. gelangt man zur Place de la Carrière. Der Bogen erinnert an römische Vorbilder, insbes. den von Septimus Severus in Rom. Die Fassade ist von einem Mitteldurchgang durchbrochen, der einen Risalit bildet. Die Attika zieren drei große Flachreliefs, und Statuen verlängern die Säulen. Dieser Schmuck hat Krieg und Frieden zum Thema und erinnert an den Sieg von Moritz von Sachsen 1745 und den Friedensvertrag von Aachen 1748.

Die Place de la Carrière entstand schon Mitte des 16. Jh., als die mittelalterlichen Stadtmauern versetzt wurden. Ihr Name kommt von der Funktion als Reitplatz der Turniere und anderer Wettkämpfe.

Im Norden wird der Platz durch den von einer halbkreisförmigen Säulenhalle eingefassten Palais de l'Intendance (heute Palais du Gouverneur) begrenzt. Am Südende steht das Hôtel de la Bourse (Börse).

Der dritte Platz, die Place d'Alliance, wurde vormals Place Saint Stanislas genannt, gehört ebenfalls zum Architektur-Ensemble. Hier war vorher der herzogliche Gemüsegarten. In der Mitte steht ein barocker Brunnen, der die "Heilige Allianz" zwischen Österreich-Ungarn und Frankreich symbolisierte.

Die Porte de la Craffe erinnert als monumentales Stadttor noch an den Schutzwall, der Ende des 14. Jh. anlässlich der Stadterweiterung gebaut wurde. Ihre beiden mächtigen Rundtürme rahmen einen befestigten Mittelbau ein. Zeitweilig umgebaut erhielt der Torbau seine gotische Form im 19. Jh. zurück. Das Lothringer Kreuz auf der Fassade erinnert daran, dass dieses Emblem nach dem Sieg in der Schlacht bei Nancy übernommen wurde. (Foto rechts)
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Die Place Saint-Epvre (tatsächlich mit v statt u geschrieben) ist der bedeutendste Platz in der Altstadt. Schon im 12. und 13. Jh. angelegt und im 15. Jh. umgestaltet blieb dieser Platz mit seinem Markt und seinen Hallen der aktivste aller Plätze in Nancy bis zum 19. Jh. Damals wurde die Basilika Saint-Epvre im neugotischen Stil innerhalb von nur sieben Jahren errichtet. Zu den Stiftern gehörten die Kaiser Napoleon III. und Franz-Joseph.

Anheimelnd mit seinem Hof wirkt das Hôtel d'Haussonville aus dem 16. Jh. als eines der schönsten Häuser der Altstadt. Es setzt sich aus zwei rechtwinklig stehenden Flügeln zusammen. Bewundernswert sind die schönen Außengalerien aus durchbrochenem Stein, im ersten Stock im Stil der Gotik, im zweiten der Renaissance. Eine klassische Neptun-Statue ziert den Brunnen im Hof. Heute wird im Haus ein Hotel mit sieben Zimmern zu Preisen von 140 - 230 Euro betrieben.

Die Eglise Saint François des Cordeliers wurde zum Gedenken an den Sieg über Karl den Kühnen errichtet. Das Kloster wurde 1482 und die nüchterne Kirche 1487 von René II. gestiftet. Cordeliers, also "Kordelträger", sind die Franziskaner-Mönche. Heute ist hier kein Gotteshaus mehr, sondern seit 1939 ein Museum mit Gemälden, Skulpturen und Grabmälern, denn hier war die Grablege der lothringischen Herzöge, nicht aber von Stanislaus.

Das Palais Ducal, der Herzogspalast, wurde 1502 begonnen. Nur ein Trakt und der monumentale Eingang (Foto oben) blieben erhalten, welcher harmonisch den spätgotischen Flamboyant- und den Renaissance-Stil verbindet. In der Nische steht die Reiterstatue für Herzog Anton. Der Palast wurde später teilweise abgerissen, in der Regierungszeit von Leopold teilweise umgebaut und unter Stanislaus sogar als Stallung verwendet. Im 19. Jh. nutze das Gebäude die Gendarmerie teilweise, bis Ende des Jahrhunderts die Archäologen-Gesellschaft hier ihr Museum einrichtete, das heute offiziell das Lothringische Museum ist. Das hohe, mit Wasserspeiern verzierte, Dach wurde nach dem Brand von 1871 wieder aufgesetzt.

Die Kathedrale Notre Dame in der Neustadt wurde 1742 als Primatialkirche vollendet. Die Orgel steht unter Denkmalschutz. 20
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Richtung Bahnhof, der 1850 errichtet wurde, stehen noch viele Häuser im Stil des Art de Deco oder Art Nouveau, die in der Zeit von 1890 - 1914 erbaut wurden. Sehenswert ist das Café Excelsior, das 1910 mit den Namen l'Flo als Grand-Hotel mit 50 Zimmern erbaut wurde. Das Lokal mit fünf Gewölben und Glasrahmen von Tiffany wirkt anheimelnd. Auch einige von uns haben hier in einer lauten und hektischen Jugendstil-Atmosphäre gut zu Abend gespeist (oben links).

Rechts davon steht die Industrie- und Handelskammer von 1906/08. Die Fassade symbolisiert die Materialien Glas, Chemie und Metall, die für den Reichtum Lothringens stehen. Ein Eckhaus an einem von Platanen umgebenen Platz gehört der BNP, der Banque Nacional de Paris. Es wurde um 1910 angeblich im "Nürnberger Stil" mit viel Eisenbeton erbaut und war verpönt. Ein weiteres Bankhaus von 1901 gehört heute der Société Générale. Auch die Crédit Lyonnais ist mit einem Bankhaus von 1910 vertreten, sie ziert eine große Buntglasdecke (oben rechts). Nahe an der Place Stanislas finden wir noch die Crédit Agricole.

3.4 Lunéville
Die einstige Residenzstadt liegt an der Flussmündung der Vezouze in die Meurthe. Eine Viertelstunde von Nancy und eine halbe Stunde von den Vogesen und vom Elsass entfernt wohnen wie schon vor hundert Jahren rund 22.000 Menschen "im Herzen Europas".

Die Stadt hatte schon viele Namen: ursprünglich im Jahre 1034 dienatis-villa, ein Jahrhundert darauf Lunaris-Villa, Linenvilla, Lunivilla, außerdem Linel villa, Liniville, Linéville und schließlich heute Lunéville. Einige Historiker behaupten, der Name sei vom Mond (la lune) abgeleitet, da auf dem Hügel von Léomont ein gallo-romanischer Tempel stand, welcher Diana, der Göttin der Nacht, gewidmet war. Andere sagen, der Name stamme aus dem Keltischen: Llun oder Llon, was einen angenehmen oder gemütlichen Ort bezeichnete. Noch andere verweisen auf Lunae, was der ursprüngliche Name der Vezouze war. Deutsche nannten den Ort früher Lünenstadt. Jedenfalls führt die Stadt seit dem 15. Jh. drei Halbmonde im Wappen. 21

Ihre Bedeutung verdankt die Stadt einer wichtigen Flussbrücke, die von den Salzhändlern und Kaufleuten benutzt wurde, und für die ein Brückenzoll erhoben wurde. Lunéville gehörte zunächst mehreren deutschen Prinzen, bevor es an den Erzbischof Etienne von Toul überging, welcher der erste Graf von Lunéville wurde.
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Die Nachkommen besaßen es bis 1055. Ihnen folgten die Dagsburger, die Aremberger, die Hamburger (man staune!) und schließlich die Castres. 1243 wurde Lunéville an das Herzogtum Lothringen angegliedert. Um 1000 wurden ein Schloss und eine Abtei erbaut. Erst unter Fürst Raoul I. entwickelte sich die Stadt.
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Das alte Feudalschloss stand bis 1612, als Henri II., der Lunéville Nancy vorzog, es abreißen ließ. Das neue Schloss bestand nur kurz bis zum Dreißigjährigen Krieg. Das jetzige Barockschloss verdanken wir Herzog Leopold, einem Habsburger. Der Herzog heiratete Elisabeth Charlotte, eine Nichte des Sonnenkönigs Ludwig XIV., und hatte mit ihr 14 Kinder, von denen jedoch nur vier überlebten. Der Sonnenkönig ließ ihn ausspionieren, Leopold wollte aber keinen Krieg. Er kämpfte nicht, sondern wich aus dem französisch besetzten Nancy nach Lunéville aus. Der Herzog betrieb eine weise Politik und tat viel für die Bildung; 97 % seiner Dörfer hatten Schulen. Wegen des Reichtums an Bodenschätzen, insbes. Salz, Eisen- und Kupfererz, brauchte Leopold sein Volk nicht mit Steuern zu belasten, er schaffte sogar die Zollschranken ab, wie uns die kundige Führerin, Madame Jeanne-Marie Saint-Ramond erzählte.

Herzog Leopold beschloss bei seiner Ankunft 1702, einen modernen barocken Palast nach dem Vorbild von Versailles bauen zu lassen. Als Baumeister wurde Germain Boffrand, ein Schüler von Mansard, betraut. Die Bauarbeiten dauerten 25 Jahre lang. Mit dem Schloss wuchs die Stadt von 900 auf 12.000 Einwohner an. Nach Leopolds Tod wurde seine Witwe Regentin. Ihr Sohn Franz Stephan ging nach Wien und nahm alles Inventar und die Künstler mit nach Österreich.

Eine glänzende Hofhaltung erlebte das Schloss von 1735 - 66 als Residenz von Herzog Stanislaus I. Leszynski, der als ehemaliger Polenkönig seinen Hofstaat mitbrachte. Auch Stanislaus baute viel, aber als nach dessen Tod Lunéville der französischen Krone angegliedert wurde, verkaufte der König alles oder ließ es zerstören, außer der Kirche und der Orgel.

Ein Schicksalsschlag traf das alte Schloss am 2. Januar 2003. Ein Brand brach auf dem Dachboden der Schlosskapelle aus. Heftige Windstöße verbreiteten das Feuer, das etwa ein Viertel der gesamten Schlossfläche zerstörte, nämlich die Kapelle, 70 % des Museums und den militärischen Flügel. So fanden wir die rechte Hälfte ganz eingehaust und verschlossen vor. Eine Innenbesichtigung ist zur Zeit ganz unmöglich. (Foto oben)

Auf der Mitte des großen gepflasterten Hofes steht das Reiterstandbild des Generals Lasalle von 1893. Es würdigt einen der kühnsten Reiter aller Zeiten, den General Lasalle aus der "Grande Armée" unter Napoleon. Berühmt wegen seiner legendären Tapferkeit wurde er auf seinem sich aufbäumenden Pferd dargestellt, was bedeutet, dass er im Kampf gefallen ist. Dies geschah am Abend der Schlacht von Wagram am 6. Juli 1809.

Hinter dem Schloss erstreckt sich der Park "Les Bosquets", zu deutsch etwa die Baumgruppen. Herzog Leopold ließ ihn ab 1711 "à la français" anlegen. Louis de Nesle, genannt Gervais, vervollständigte die Anlage ab 1724 im Sinne von Le Nôtre, dem berühmten Gestalter des Parks von Versailles. Damals war der Park noch zwei Kilometer länger als heute und an seinem Ende stand noch ein heute verschwundenes Schloss. Die lang gezogene Perspektive, mit dem Schloss im Hintergrund, die farbigen Blumenbeete, die gepflegten Rasenflächen, die Wasserbecken, Springbrunnen und schattigen Alleen zu beiden Seiten bilden im Sommer einen herrlichen, erholsamen und stark frequentierten Park. Auch wir genossen an diesem heißen Hochsommertag einen kühlen Spaziergang unter alten Bäumen am schnurgeraden "Quai des petits Bosquets".

Rechts vom Schloss schließt sich die streng geometrisch ausgerichtete Barockstadt an. Da steht zunächst das leicht wienerisch wirkende Theater von 1910, ein Nachbau von 1733.

Weiter Richtung Park steht das "Haus des Friedensvertrages" in der Rue de Lorraine Nr. 61. Am 9. Februar 1801 beendeten hier Frankreich und Österreich den Krieg der zweiten Koalition gegen Frankreich und bestätigten den Frieden von Campo Formio von 1797. Frankreich erlangte die Anerkennung der Batavischen, Helvetischen und Ligurischen Republik und erhielt das linke Rheinufer vom Reich. Die deutschen Fürsten wurden für die linksrheinischen Verluste im Reichsdeputationshauptschluss entschädigt. 22

Kehrt man nun dem Schloss den Rücken, geht man direkt auf das "Haus des Kaufmanns" zu. Erdgeschoss und drei Stockwerke der klar gegliederten Fassade sind aus dem roten Sandstein der Vogesen erbaut. Über den Fenstern und an seinen Eckpfeilern sind schöne Skulpturen zu bewundern (rechts).

Der Straße weiter folgend kommt man auf die Kirche St. Jakobus (St. Jaques) zu. Diese schöne Kirche im italienischen Barock wurde von 1731 - 50 durch É. Héré de Corny erbaut. Sie hat eine elegante Fassade mit zwei Türmen aus dem Sandstein der Vogesen, die in 50 Metern Höhe von barocken Kuppeln bekrönt werden. Mit ihrer Schönheit sollte die Kirche die Protestanten zum Katholizismus bekehren, der Glaube wurde inszeniert.
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Der Innenraum wurde kürzlich restauriert. Seine gelbe Farbe "à la Maria Theresia" vermittelt eine sonnendurchflutete Helligkeit (Foto rechts). Die Kirche besitzt ein schön geschnitztes eichenes Chorgestühl, interessante Gemälde von Girardet, das Zenotaph von König Stanislaus und eine seltene Orgel mit 3.880 Pfeifen, deren Ziersäulen sich beim Orgelspiel öffneten. Die Musik schien vom Himmel, nicht von der Erde zu kommen. Beim Verlassen der Kirche wurden wir von Madame Ramond auf eine unbeschriftete schwarze Grabplatte aufmerksam gemacht, die der Marquise du Châtelet, welche Newtons Schriften aus dem Latein übersetzte.

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