4.4 Kalkar
Mehr als jede andere Stadt am Niederrhein bietet Kalkar Städtebau, Architektur, Kunst und Kultur des Spätmittelalters als Einheit. Kalkar wurde in der Nähe eines gleichnamigen Römer-Kastells als "Reißbrett-Stadt" 1230 von Graf Dietrich V. von Kleve und dem Kölner Erzbischof Heinrich auf der Kalkar-Ward, innerhalb der Strom-Aue gelegen, gegründet und erhielt wie Kleve schon 1242 Stadtrechte. Bereits im 11./12. Jh. gab es unmittelbar nördlich des Monreberges, im Schutze der dort gelegenen Burg, ein Dorf namens Kalker bzw. Kalkar. Der Name Kalker oder Kalkar geht möglicherweise auf Fluss-Kehre (Fluss-Biegung/Fluss-Krümmung) zurück. Der Grundriss bestand zunächst aus einem halben Oval mit zwei parallel von Norden nach Süden verlaufenden Straßen. Der wirtschaftliche Aufstieg durch Tuchweberei und Braugewerbe ließ das Stadtgebiet verdoppeln, indem an der Ostseite die zweite Hälfte des Ovals angefügt wurde, vom älteren Teil durch den Mittelgraben getrennt.
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Der historische Stadtkern von Kalkar wird geprägt von der spätgotischen St.-Nicolai-Kirche (Foto unten links) und ihren weltberühmten Schnitzaltären, dem größten erhaltenen gotischen Rathaus (Foto rechts) des Rheinlandes von 1446 mit der Gerichtslinde auf dem Markt, dem Städtischen Museum und den zahlreichen Bürgerhäusern aus der Spätgotik, der Renaissance, dem Klassizismus und dem Historismus.
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Das einzige gemeinsame Mittagessen der Reise war vorbestellt im Restaurant "De Gildenkamer". Dies ist eines der ältesten Bürgerhäuser, welches um 1350 in Backsteingotik erbaut und urkundlich erstmals 1388 erwähnt wurde. Bei der Restaurierung von 1982 - 85 wurden bedeutende Wandmalereien entdeckt. In der Halle, dem sogenannten "Vorhuis", befindet sich ein gotisches Fresko aus dem Jahr 1480 mit der Darstellung des Salomonischen Urteils. Es zeigt den alttestamentarischen König auf dem Löwenthron, vor sich die zerstrittenen Mütter mit ihren Kindern. Unmittelbar daneben ist ein junges Paar dargestellt. Wahrscheinlich zeigt die Gesamtszene dieses zweiten Freskoteils den Gang Mariens zur Base Elisabeth. Die "Opkamer" schmückt eine gotisch bemalte Holzdecke. So lassen sich Hansetradition und moderne Gastronomie harmonisch verquicken. 17

1580, als blühendes Handelszentrum und Hansestadt, hatte Kalkar etwa 5.000 Einwohner; nach mehren Pestausbrüchen und den Dreißigjährigen Krieg waren es 1730 - wie heute - nur noch 2.000. Mit seinen 13 Stadtteilen verwaltet Kalkar 14.300 Bürger. Bundesweit bekannt ist Kalkar durch seinen "Schnellen Brüter", ein Kernkraftwerk, das 1973 begonnen wurde, aber 1991 nicht ans Stromnetz gegangen ist. Ein holländischer Privatmann machte daraus einen Freizeitpark.

Weite Teile des Stadtgebietes werden von der typisch niederrheinischen Landschaft mit dem Rhein, seinen Mäandern (Fluss-Schlingen), weitläufigem Grünland sowie Ackerflächen geprägt. Der Niederrheinische Höhenzug mit dem geschichtsträchtigen Monreberg hebt sich deutlich von der tiefer gelegenen Rheinniederung ab. 18

4.5 Xanten
An der Stelle der römischen Legionslager Vetera I und II steht das heutige Xanten. Es liegt nahe der "Colonia Ulpia Traiana", die sich zum zweitwichtigsten Handelsposten (nach Köln) in Niedergermanien entwickelte, und auf deren Areal nach der Zerstörung durch die Franken 275 eine neue Stadt namens "Tricensimae" entstand, die aber zu Beginn des 5. Jh. aufgegeben werden musste.

Der Nibelungensage nach ist Siegfried von Xanten nach Aufgabe der Colonia in den Ruinen der Stadt geboren worden. Der christliche Legionär Viktor von Xanten soll mit 360 Angehörigen der Thebäischen Legion 363 bei Birten hingerichtet worden sein, weil er sich weigerte, den römischen Göttern zu opfern. Viktor gilt seitdem als Märtyrer und wurde Schutzpatron des über seinem vermuteten Grab errichteten Doms.
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Im 5. Jh. siedelten sich Franken auf dem Gebiet des heutigen Xanten an, ohne eine Stadt zu gründen. In der 2. Hälfte des 8. Jh. wurde über dem Friedhof der Colonia ein Stift angelegt, das "Sanctos (super Rhenum)" oder kurz "ad Sanctos" genannt wurde. Dieser "Ort der Heiligen" wurde zum heutigen Stadtnamen. Erst nach der Stiftsgründung entwickelte sich südlich der heutige Stadtkern. Der weltliche Ort erschien 1122 als Teil eines kaufmännischen Netzwerkes am Niederrhein. 1228 verlieh der Kölner Erzbischof Xanten das Stadtrecht. Während der Südteil der Stadt bei Köln blieb, kam der Nordteil an den Herzog von Kleve, bis beide Teile 1444 wieder zusammen gelegt wurden.

Nach Beginn der kleveschen Herrschaft sank die Einwohnerzahl von 5.000 am Anfang des 16. Jh. bis Ende des 18. Jh. auf die Hälfte, wozu die Verlagerung des Rheins beitrug. - Im 2. Weltkrieg wurde Xanten zu 85 % zerstört. Der Wiederaufbau von Stadt und Dom dauerte bis 1966. 1969 wurden sechs Orte eingegliedert, wodurch sich die Einwohnerzahl auf heute etwa 23.000 erhöht hat. 19

Der Dom, das Klever Tor, die Kriemhildmühle, das "Gotische Haus" sowie das Karthaus und weitere historische Gebäude prägen das Bild des mittelalterlichen Stadtkerns. 20

4.6 Aachen
Aachen hat Namen in vielen großen Sprachen: auf Lateinisch Aquis Grani, auf Spanisch Aquisgrán, auf Polnisch Akwisgran, auf Französisch Aix-la-Chapelle, auf Holländisch Aken und im "Öcher Platt" einfach Oche. Diese Namen leiten sich ab vom altgermanischen "Ahha", sprich "Acha", das schlicht Wasser bedeutet. Der zweite Teil erinnert an den keltischrömischen Heilgott Granus. 21

Die Stadt ist kreisfrei und hat rund 250.000 Einwohner. Sie liegt im Dreiländereck mit den Niederlanden und Belgien im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen. Jeweils ein Viertel der Stadtgrenze ist zugleich Staatsgrenze. Aachen hat große Höhenunterschiede: Der tiefste Punkt im Norden liegt nur 125 m über NN, während der äußerste Südosten 410 m erreicht.
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Auf dem Lousberg wurde ein Feuerstein-Bergwerk von etwa 3.000 bis 2.500 v. Chr. gefunden. In der Bronze- und frühen Eisenzeit siedelten Kelten auf Aachener Gebiet. Nach ihnen richteten die Römer im 1. Jh. n. Chr. ein Militärbad an den warmen Quellen ein. Fränkische Gräber datieren aus dem 7. Jh. Der Frankenkönig Pippin d. J. baute hier einen Hof, der 765 erstmals mit "Aquis villa" erwähnt wurde. Sein Sohn Karl, später der Große genannt, nahm Aachen zu seiner Residenz und baute seine Pfalz an die Stelle des heutigen Rathauses (rechts Granusturm am Rathaus). Durch einen Gang verbunden war damals die ebenfalls von ihm errichtete Pfalzkapelle, aus der der heutige Dom wurde (links). Nach seinem Tod am 28. Januar 814 wurde Karl hier im Vorhof beigesetzt. Mit einem verbreiteten Irrtum räumte die Stadtführerin Frau Schindler auf: Karl wurde nicht in Aachen gekrönt; erst 936 ließ sich Otto I. in Aachen krönen. Diese Tradition hielt fast sechs Jahrhunderte bis 1531.
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1165 ließ Friedrich I, Barbarossa, Karl den Großen heilig sprechen; im Jahr darauf erhielt Aachen Stadt-, Markt- und Münzrechte. Als direkt dem Kaiser unterstellte, freie Reichsstadt darf es wie alle anderen den schwarzen Adler auf Goldgrund im Wappen führen. Die Tuchwalker waren seit 1258 über Jahrhunderte der wesentliche Wirtschaftsfaktor der Stadt. Das noch heute genutzte gotische Rathaus wurde von 1330 - 49 errichtet. Die 1349 begründete "Heiligtumsfahrt" bringt seitdem alle sieben Jahre Pilger in die Stadt. 1656 brannte fast das ganze gotische Aachen ab, wobei 4.664 Häuser zerstört, aber nur sieben Menschen getötet wurden.

Mit dem Motto "Was das Feuer zerstört hat, baut das Wasser wieder auf" machte sich der Badearzt Franciscus Blondel ans Werk und baute Aachen zu einem modernen Badeort aus. Der Badebetrieb mit den 60 Brunnen zog viel internationale Prominenz an, für deren Erinnerung im tempelartigen Haus Elisenbrunnen mehrere Plaketten befestigt wurden. Mit dem 56 ° warmen Was ser - im Ortsteil Burscheid sogar 74,5 ° -, das auf 32 ° abgekühlt wird, werden Bade- und Trinkkuren durchgeführt und Rheuma wie Hautkrankheiten behandelt.

Der Erste Aachener Friede beendete 1686 den Revolutionskrieg zwischen Spanien und Frankreich, während 80 Jahre später der Zweite Friede den österreichischen Erbfolgekrieg abschließt. 1794 drangen französische Revolutionsarmeen ein, verschleppten zahlreiche Kulturgüter nach Paris und gliederten die Stadt in Frankreich ein als Teil des Roer-Départements. Mit dem Wiener Kongress kam Aachen 1815 zum Königreich Preußen, und zwar in die Provinz Jülich-Kleve-Berg und wurde Sitz der Bezirksregierung. Ab 1824 ging dieses Gebiet in die Rheinprovinz auf.
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Der preußische Baumeister Karl Friedrich Schinkel plante das Theater (1822 bis 1825, links) und verbesserte die Zeichnungen Joh. Peter Cremers für den Elisenbrunnen (1827, nächste Seite). Nach dem Ersten Weltkrieg 1918 wurde Aachen elf Jahre von belgischen Truppen besetzt. Im Zweiten Weltkrieg wurden rund 65 % des Wohnraums zerstört. Mit der Gebietsreform von 1972 wurden sieben Orte eingemeindet und die Einwohnerzahl etwa  verdoppelt.

Zu Beginn des 14. Jahrhunderts wurde auf den Grundmauern der Pfalz das heutige gotische Rathaus erbaut. Angebaut ist der 22 m hohe "Granusturm" aus römischer Zeit. Zum Gerichtssaal führt eine Treppe mit 11 Stufen. Nach dieser Treppe entstand die Redensart "Do machs een 11-Treppen-Gesicht." Im Rathaus befindet sich der 1.000 m² große "Krönungssaal". Hier sind die Kopien der Reichskleinodien (Reichsapfel, Reichszepter, Reichsschwert, Reichskreuz, Zeremonieschwert, Heilige Lanze und Reichsevangeliar, Stephansburse, Säbel Karls des Großen - die Originale sind in der Schatzkammer der Hofburg zu Wien) zu sehen.
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Wirtschaftlich lebte Aachen vor allem von Tuchfabriken und -färbereien, die sich an allen Bächen entlang zogen. Mehrere hundert Nadelfabriken hatten sich hier angesiedelt. Mit dem abgespreizten kleinen Finger wurde gefühlt, ob die Nadel glatt war. Daraus entstand der "Oecher Gruß", der "Klenkes" (von ausklinken). - Außer einer Färberei blieb von dieser Industrie nichts übrig. 22

Und was bringt man aus Aachen mit? Natürlich die Printe, ein Honigkuchen-Gebäck mit vielen aromatischen Gewürzen, häufig mit Schokolade überzogen und reichlich dekoriert. Dieses "Gebildbrot", das vor allem Menschengestalt bekommt und für Pilger gedacht war, wird fest in eine hölzerne Form gedrückt, wie im Englischen "to print", daher der Name. Zwischen Hart- und Weichprinten wird unterschieden, wobei die harten die echten und besonders lange haltbar sind. Um sie weich zu bekommen, tut man sie in eine Dose zusammen mit Äpfeln.

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