2.5 Ravenna
Ravenna ist die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz in der Region Emilia-Romagna und liegt an der Adria zwischen Po-Delta und Rimini. Durch Anlandung im Po-Delta liegt die einstige Küstenstadt nun sieben Kilometer vom Meer entfernt. Südlich fließt der kleine antike Fluss Rubikon.

Ravenna ist wohl eine etruskisch-umbrische Gründung. Es war seit dem späten 3. Jh. v. Chr. mit Rom verbündet und seit 46 v. Chr. Municipium. 10

In der Völkerwanderungszeit war Ravenna ab 402 unter Kaiser Flavius Honorius glanzvolle Hauptstadt des verblühenden weströmischen Reiches. Der Kaiser war vor einer Invasion Norditaliens durch die Westgoten von Mailand hierher gezogen. Er hoffte, umgeben von einem feigen und korrupten Adel, auf eine Intervention des oströmischen Kaisers. Die Westgoten unter Alarich I. belagerten 408 auch Ravenna, berühren es aber nicht. Nach der Absetzung des letzten Kaisers Romulus Augustus herrschte in der Stadt ab 476 der Germane Odoaker, der 493 von dem Ostgotenherrscher Theoderich eigenhändig ermordet wurde.
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Die Ostgoten, die Ravenna drei Jahre lang belagert hatten, errichteten in Italien ein Reich, das bis zur Niederlage gegen Byzanz 552 bestand. Die Hauptstadt Ravenna war Umschlagplatz im Ost-West-Handel und erlebte eine kulturelle Blütezeit. 539 fiel das im Auftrag des oströmischen Kaisers Justinian - einem fanatischen Orthodoxen - von General Belizar belagerte Ravenna; wahrscheinlich hatten ihm ostgotische Adlige die Kaiserwürde im Westen angeboten. Nach 552 erlangte Ravenna bis 740 als Vorposten des Byzantinischen Reiches in Italien Bedeutung, es wurde Hauptstadt des Exarchats von Italien.

751 eroberte nach einem langen Kampf der Langobardenkönig Aistulf die Stadt, womit das Exarchat von Ravenna endete. Im Vertrag von Quierzy versprach 757 Pippin der Jüngere das Exarchat dem Papst zu übergeben (Pippinsche Schenkung); im Gegenzug legitimierte Papst Stephan III. die Karolinger als Könige des Frankenreiches. Pippin führte zwei erfolgreiche Feldzüge gegen die Langobarden und schenke dem Papst die eroberten Gebiete. Er gilt so als Gründer des Kirchenstaates. Der Bischof von Ravenna kam endgültig unter päpstliche Oberhoheit. 11 Die Stadt erlebte unter den Erzbischöfen eine Blüte, bis Venedig ihr als Handelsstadt den Rang ablief. Die Kontrolle Venedigs über den Salzhandel, die Versandung des Hafens und die Unterwerfung der Erzbischöfe unter das Papsttum 1118 bewirkten den Abstieg.

Ab 1441 kam Ravenna unter venezianische Kontrolle. 1509 wurde es wieder päpstliches Hoheitsgebiet und 1861 dem Königreich Italien angegliedert. 12 Aus der Zeit des Umbruchs von der Antike zum Mittelalter, die woanders "dunkel" genannt wird, findet man in Ravenna noch heute zahlreiche bedeutende Bauwerke, die oft noch den originalen Mosaikschmuck des 5. bis 7. Jh. tragen. Sie sind einzigartig, weil im Kerngebiet des Oströmischen Reiches fast alle derartigen Mosaiken später dem Bilderstreit zum Opfer fielen. In der Welthauptstadt der Mosaiken gilt: "Mosaik ist Malerei für die Ewigkeit." - Keine Stadt des Orients (Konstantinopel, Antiochia, Jerusalem, Alexandria) oder des Okzidents (Rom, Mailand, Trier, Köln) besitzt einen vergleichbaren Kunstschatz, was sowohl die künstlerische Qualität als auch die religiöse Bedeutung angeht. Deshalb hat die UNESCO acht antike Bauwerke zum Weltkulturerbe erklärt, von denen nur eines, das Mausoleum Theoderichs, nicht mit Mosaiken ausgeschmückt ist. 13

Classe, damals "Portus Classis", das bedeutet Hafen der Flotte, war der römische Adria-Hafen für das östliche Mittelmeer wie einst Misenum (Ostia bei Rom) für das westliche Mittelmeer. An diesem von Kaiser Augustus vergrößerten Hauptstützpunkt waren 250 Kriegsschiffe stationiert. Die Stadt hatte damals etwa 80.000 Einwohner, heute sind es im Vorort 5 km von Ravenna nur noch 4.000. Der heutige Hafen von Ravenna mit seinem 14 km langen Kanal ist übrigens nach Genua der zweitgrößte Italiens. Ravenna hat etwa 135.000 Einwohner, davon 60.000 im Zentrum.

Das Christentum verbreitete sich zuerst um Classe, im Innern der kosmopolitischen Gemeinschaft, die aus orientalischen Volksgruppen (Syrer, Juden, Ägypter und vielen Griechen) bestand. Nicht umsonst war der erste Bischof von Classe der Hl. Apollinaris aus Antiochien, und nicht durch Zufall hatten die ersten Bischöfe ihre Residenz in Classe, bevor sie nach Ravenna zogen. Die Mosaiken wurden durchaus als Propaganda-Instrument zur Verbreitung der christlichen Heilsbotschaft eingesetzt, wie Prof. Matthée anmerkte.

Die Basilika San Apollinare in Classe ist die größte der frühchristlichen Kirchen; sie wurde von Bischof Ursicinus beauftragt und vom griechischen Bankier Julian dem Silbernen finanziert. 549 weihte sie Bischof Massimian.

Der runde Campanile vom Ende des 10. Jh. ist 37,50 m hoch. Er ist aus roten und gelben Ziegeln erbaut. In zwei Reihen von Monoforen, einer von Biforen und der obersten aus Triforen wird eine schöne Progression von schmalen Spalträumen entfaltet.
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San Apollinare ist eine dreischiffige Basilika. Der Rhythmus der 24 Säulen aus geädertem griechischen Marmor klingt in dem sanften Grün der Wiese des Mosaiks, den blendend weißen Schafen und dem Glanz des Pinienwaldes aus. Die Einheit von Architektur und bildnerischer Gestaltung ist außerordentlich bedeutend in der christlichen Kunstgeschichte.

Oben in der Mitte des Triumphbogens sehen wir die Büste Christi mit dem Nimbus. Christus erhebt die linke Hand zum Segen. Zwölf Schafe - die Apostel verkörpernd - sechs auf jeder Seite, steigen auf den Berg zu Christus auf; sie kommen aus Bethlehem und Jerusalem, den Städten, die Anfang und Ende der menschlichen Heilsgeschichte symbolisieren. Darunter stehen die Erzengel Gabriel links Michael rechts.

In der Apsisschale ist die Hand Gottes sichtbar, die durch die Wolken auf das Kreuz weist. Auf einem Himmel mit 99 goldenen und silbernen Sternen prangt ein mit Edelsteinen besetztes großes Kreuz, in dessen Zentrum das Haupt Christi steht. An den Kreuzarmen stehen die Zeichen Alpha und Omega für Anfang und Ende. Über dem Kreuz steht das griechische Wort für Fisch "Ichthys", das aus den Initialen der Worte "Jesus Christus, Sohn Gottes, Erlöser" geformt ist. Links und rechts des Christussymbols stehen die Propheten Elias und Moses bis zur Hüfte im Wolkenmeer; die drei Schafe stehen für Petrus, Jakobus und Johannes als Zeugen der Verklärung. Unterhalb steht die Figur des betenden Hl. Apollinaris, Hirte und Erzbischof. Noch tiefer, zwischen den Fenstern, stehen die ravennaischen Bischöfe Ursicinus, Ursus, Severus und Ecclesius mit dem Buch der Worte Gottes in ihrer Hand. 14
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Die Basilika hat 43 Fenster. An den Seitenwänden stehen elf frühchristliche Sarkophage aus dem 5. Jh. (rechts, links Gruppe vor einem Fußbodenmosaik)
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Die Kirche Sant' Apollinare Nuovo ist ein dreischiffiger Backsteinbau, errichtet unter Theoderich d. Gr. Theoderich war 33 Jahre Herrscher. Er war Arianer wie fast alle Germanen, aber tolerant. Seine Zeit stand ganz im Zeichen des großen Konflikts zwischen der arianischen Lehre einerseits und der Restauration der katholischen Ikonologie unter dem Erzbischof. Die Kirche war für die Arianer konstruiert und Unserem Herrn Jesus Christus geweiht. Arius stellte die Göttlichkeit Christi und damit die Dreifaltigkeit in Frage: Für Arius gab es nur einen einzigen und nicht gezeugten Gott. Bischof Agnello katholisierte sie 561 und weihte sie San Martino in Cielo (St. Martin im Himmel); nicht umsonst war der Hl. Martin, Bischof von Tours, ein unversöhnlicher Verfolger der Ketzer.

Den Namen S. Apollinare Nuovo nahm die Basilika vermutlich erst 856 an, als die Gebeine des St. Apollinaris, dem ersten Bischof Ravennas, hierher überführt worden sein sollen. Ein päpstlicher Legat erkannte jedoch S. Apollinare in Classe den Anspruch zu, die wahren Reliquien zu besitzen.

Neben dem Vorbau aus der Renaissance steht ein runder Campanile aus dem 10. Jh. von 38,50 m Höhe. Er wird durch drei Reihen von Monoforen, darüber drei Reihen von Biforen und oben zwei von Triforiums-Fenstern aufgelockert.

Das harmonische schlichte Innere der Kirche ist in drei Schiffe aufgeteilt. Zwölf Säulen auf jeder Seite trennen die Schiffe voneinander. Die Mosaiken an den Langschiffen stellen in drei Zonen gegliedert eine Prozession von Märtyrern und Jungfrauen, darüber Propheten und Heilge mit Büchern in den Händen und im obersten Streifen das Leben Christi dar.
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Dreizehn kleine Bilder zeigen links Szenen aus den Wundern und Gleichnissen Christi, wobei er als lockiger, bartloser junger Mann erscheint. Er trägt eine purpurne kaiserliche Tunika und hat einen Edelstein geschmückten Nimbus. Die rechte Wand zeigt die Passion und die Wiederauferstehung. Jesu Angesicht ist nunmehr traurig und durch einen dichten Bart eingerahmt. - Die Katholisierung lässt sich noch am Mosaik des Theoderichpalastes erkennen, wo unliebsam gewordene Personen durch geraffte Vorhänge verdeckt wurden, ihre Finger an den Säulen aber sichtbar blieben. 15

Das Grabmausoleum Theoderichs wurde aus istrischem Kalkstein a secco, also ohne Mörtel, trocken gefügt. Das Grabmal auf zehneckigem Sockel gilt als besondere architektonische Leistung wegen des aus einem einzelnen Monolithen geformten Daches. Es stellt in seiner Monumentalität die Macht und Mentalität des Gotenkönigs gut dar.

Die Deckenhaube hat eine Dicke von einem Meter, einen Umfang von 33 Metern und wiegt etwa 280 bis 300 Tonnen. Der Block muss mit enormem Aufwand auf einem Floß über die Adria gebracht worden sein. Zwölf direkt in die Haube gearbeitete Henkel dienten nicht nur dem plastischen Schmuck. Hier wurden Hanfseile zum Transport durch gezogen (rechts).

Das Mausoleum besteht aus zwei Stockwerken. Der untere Stock weist Nischen auf, von denen eine als Eingang dient. Das Innere ist praktisch schmucklos; nur ein Sims und zwei große Muscheln dekorieren es. Der obere Stock wurde vom 10. bis 17. Jh. von einem Benediktiner-Kloster als Oratorium genutzt und die Decke mit einem Stuckkreuz geschmückt, das noch farblich erkennbar ist. Darin steht der wannenförmige Porphyr-Sarkophag (rechts). Er enthielt wahrscheinlich die Gebeine Theoderichs, aber nicht lange. Theoderich war Arianer, und die orthodoxen Christen verfolgten den Arianismus mit fürchterlichem Hass.

San Vitale lebte im 4. Jh. in Bologna, war bekannt in Mailand und wurde unter Kaiser Diokletian gemartert. Die nach ihm benannte Kirche, ein komplizierter achteckiger Umgangs-Zentralbau aus Backsteinen, wurde 527 begonnen und 548 geweiht.
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Neben Elementen der römischen Tradition - die Kuppel aus tönernen Hohlkörpern, die Vorhalle unter Stützpfeilern und die stufenförmigen Türme - finden sich andere eindeutig byzantinische - die Kapitelle, die Schranken und die polygonale Apsis. Auch hier, wie bei S. Apollinare in Classe, taucht der Bankier Julian der Silberne auf, der 26.000 Goldstücke für den Bau zahlte.

Der architektonische Rhythmus beeindruckt nicht nur wegen der großzügigen Apsiden und der schlanken Gewölbe, sondern auch durch die Pracht der Mosaiken und die bizarren Äderungen der Marmorpfeiler, die in perfekter Harmonie zueinander stehen. Acht innere Pfeiler tragen Bögen, die sich zu doppelgeschossigen Umgängen öffnen. Marmorsäulen tragen zum Teil korbartig durchbrochen gestaltete Kapitelle. Die Emporen (links) sind ein orientalisches Element - das Matroneum für die Frauen mit Wandelgang und eigenem Gebetsraum. Die Kuppel ist original erhalten und trägt nur ihre Bemalung aus dem Barock, sie hatte keine Mosaiken.

Der reiche Mosaikschmuck gibt u. a. Szenen aus dem Alten Testament wieder. Im Presbyterium sind z. B. Episoden aus dem Leben Abrahams zu sehen. In der rechten Lünette ist das Opfer Abels, der in Fell und rote Mantelle gekleidet ist; er kommt aus seiner Hütte und trägt ein Lamm, das er opfern will (unten im Bild links).
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In der Mitte der Apsis ist der junge Heiland dargestellt; er hat die Rolle der sieben Siegel in seiner Hand und thront auf der Weltkugel (oben rechts). Zwei Engel stehen ihm zur Seite. Er reicht dem S. Vitale zu seiner Rechten die Märtyrerkrone. Links ist Bischof Ecclesius mit einem Modell der Kirche. Auf der linken Seite der Apsis ist Kaiserin Theodora und gegenüber Kaiser Justinian mit Gefolge abgebildet (unten). Beide kamen aber nie nach Ravenna.
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San Vitale war Vorbild für die Pfalzkapelle in Aachen. Karl der Große als christlicher König und Befreier, wurde von Papst Hadrian I. ermächtigt, von den nicht kultischen Gebäuden, und insbes. vom Palast Theoderichs, mitzunehmen, was ihm gefiel. So wurde alles, was transportabel war, auf barbarische Weise fortgetragen. 62 Marmorsäulen, von denen aber nur 2 heil angekommen waren, Mosaiken und Statuen, sogar das Reiterdenkmal Theoderichs, wurden nach Aachen verschleppt. 16 In seinem Testament hat Karl rund 3,5 % seines Vermögens Ravenna hinterlassen.

Der Bischofsstuhl aus Byzanz, nach der Beseitigung des Arianismus vor 552 hierher gebracht, ist eines der großen Meisterwerke frühmittelalterlicher Elfenbeinschnitzerei. Er wird heute im Erzbischöflichen Museum verwahrt. (rechts: Wandmosaik des Hl. Laurentius in der alten Kirche Santa Croze)
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Das Baptisterium des Bischofs Neon, auch Dom- bzw. Kathedral-Baptisterium, war die Taufkirche der Orthodoxen und entstand möglicherweise aus einem umgebauten römischen Bad. Es stammt von vor 396 und seine außergewöhnlichen Mosaiken von 458. Der ursprüngliche Fußboden liegt etwa drei Meter tiefer. Es ist das älteste erhaltene Denkmal Ravennas. Die achteckige Form dient nicht nur der Ästhetik, sondern symbolisiert die sieben Tage der Schöpfung der Welt und als achten Tag die  Wiederauferstehung und das Ewige Leben.

Das Mosaik in der Kuppel stellt Johannes den Täufer dar, während er Christus tauft. Christus steht im Wasser des Jordan. Dieser wird von einem heidnischen Greis verkörpert, in einer Hand ein Tuch, in der anderen ein Schilfrohr. Opferschale und Kreuz sind jedoch spätere Zutaten des Mosaiks. Der Streifen darunter zeigt die Kirche, verkörpert durch die zwölf Apostel, jeder mit seinem Namen.

Das ebenfalls achteckige Baptisterium der Arianer ist deutlich kleiner. Es stammt vom Beginn des 6. Jh., wie die Basilika S. Apollinare Nuvo. 556 wurde es dem katholischen Kult angepasst. Die Kuppel nimmt das Thema des Neon-Baptisteriums, die Taufe Christi durch Johannes, wieder auf. Dies deutet darauf hin, dass es zumindest am Anfang keinen Antagonismus, sondern eine Parität zwischen den Kirchen gab. Christus empfängt im Mosaik also die Taufe von Johannes, während der Heilige Geist als Taube entweder Wasser durch den Schnabel spritzt oder den Heiligen Geist ausstrahlt. Im darunter liegenden Streifen geht die Prozession der Apostel auf den Thron mit dem purpurfarbenen Kissen zu.

Dem Dichter Dante Alighieri wurde nach der Wiederauffindung seiner Gebeine ein neues Grabmal errichtet. Im Jahre 1483 wurde das Tiefrelief geschaffen, das Dante in lesender Haltung darstellt. Das heutige Tempelchen von 1780 heißt im Volksmund "la zucarira", "die Zuckerdose".
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Der so genannte Palast Theoderichs ist der Narthex der Kirche S. Salvatore da Calchi. Dieser Gebäudeteil stammt vermutlich vom Beginn des 8. Jh. Der richtige Palast war dennoch in dieser Gegend.

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