4.11 Halle
Bereits in der Bronze- und Eisenzeit wurde in der Gegend Salz gewonnen. Um 806 bestand ein fränkisches Kastell; Saline und Siedlung sind seit 961 bezeugt. "Halla" steht im Keltischen für "Stätte der Salzbereitung", "Hal" bedeutet im Mittelhochdeutschen "Saline", siehe auch Reichenhall, Hallstatt. Die Herleitung von der Halle als "halb offener, von Säulen getragener Bau" aus dem Althochdeutschen und Altsächsischen ist ungewiss. 34 Das Stadtwappen zeigt seit dem 14. Jh. einen liegenden Halbmond zwischen zwei roten Sternen auf silbernem Grund. Ob die Sterne Salzkristalle und der Halbmond eine Siedepfanne sein sollen, ist nicht wahrscheinlich.
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Die Halloren genannten Salzarbeiter lebten später getrennt von den Hallensern, also Händlern und Bürgern. Sie besaßen eigene Rechtshoheit, sprachen einen eigenen Dialekt, heirateten meist nur untereinander und trugen eine besondere Tracht. Und was sind Hallunken? Die Zugereisten. Einst mussten sich nur die Leute der herunter gekommenen Vorstadt Glaucha so schimpfen lassen.

Halle "im Thale" des rechten Saaleufers bekam um 1150 Stadtrecht und trat Ende des 13. Jh. der Hanse bei. Ein Mauerring mit 40 Türmen und sechs Torburgen schützte die Stadt. Die Erzbischöfe von Magdeburg residierten von 1503 - 1680 in der Moritzburg.
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In Folge des 30-jährigen Krieges, in dem zuerst Wallensteins kaiserliche Truppen einzogen und plünderten und sich mit immer wieder anderen Heerscharen abwechselten, kam das verelendete Halle mit dem Erzstift Magdeburg 1680 an Brandenburg-Preußen. Kurz darauf starb die Hälfte der Bewohner an der Pest. Doch durch das Edikt von Potsdam von 1685 profitierte neben Berlin und Magdeburg vor allem Halle von zugezogen Hugenotten. Gegen 1790 erlosch die Salzsiederei fast ganz.

Im Westen durch die Saale, die auf 25 km Länge an der Stadt entlang fließt, im Osten durch die Eisenbahngleise begrenzt, wurden im Norden überwiegend große Villen und im Süden eher Mietskasernen errichtet. Während 1840 erst 28.000 Menschen in Halle lebten, waren es 1900 bereits 150.000. 1890, als nach zwölf Jahren die repressiven Sozialistengesetzte aufgehoben waren, benannte sich hier die "Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAP)" in "Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)" um. (Foto: vier Jahrzehnte DDR-Sozialismus und zwei Jahrzehnte BRD-Kapitalismus, an Häusern nahe dem Markt ablesbar.)

Das 1916 errichtete Leuna-Werk und das 1936 begründete Buna-Werk ließen Halle zum Mittelpunkt einer Chemieregion werden. Im Krieg wurden etwa 15 % der Gebäude durch Bomben zerstört, dann flogen die Alliierten Bomber weiter nach Leipzig. Die historische Altstadt ist dadurch eines der größten vom Krieg fast unversehrt gebliebenen Flächendenkmale Deutschlands. Am 17. April 1945 besetzten amerikanische Truppen Halle, zogen aber am 1. Juli wieder ab, um von der sowjetischen Besatzungsmacht ersetzt zu werden. Von 1945 - 52 war Halle Hauptstadt des Landes Sachsen-Anhalt, dann des Bezirks Halle.

Die Neustadt am linken Saaleufer wurde in Großplattenbauweise ab 1964 errichtet für 100.000 Einwohner, die Arbeiter mit Familien der chemischen Industrie in Leuna und Schkopau ("Plaste und Elaste aus Schkopau"). Halle-Neustadt wurde 1990 in die Altstadt eingegliedert und hat rund die Hälfte ihrer Einwohner durch Abwanderung eingebüßt. Insgesamt kehrten rund 100.000 Menschen Halle den Rücken. Gegenwärtig wohnen in der größten Stadt von Sachsen-Anhalt und viertgrößten im heutigen Ostdeutschland noch rund 230.000 Leute, für das Jahr 2025 werden nur noch 206.000 vorher gesagt.

Im 18. und 19. Jh. war Halle ein Mittelpunkt des deutschen Geisteslebens; Christian Thomasius und Christian Freiherr von Wolff lehrten hier, die Romantiker Joseph von Eichendorff, Clemens Brentano und Johann Ludwig Tieck studierten hier. Und hier promovierte 1754 in Medizin Dorothea Christina Erxleben als erste Frau in Deutschland. Die vom Kurfürsten 1694 gegründete Universität "Alma Mater Halensis" wurde 1817 mit der in Wittenberg seit 1503 bestehenden zusammen gelegt und heißt seit 1933 Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
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Am klassizistischen Uni-Hauptgebäude auf dem Gelände des Franziskanerklosters hat erkennbar Karl Friedrich Schinkel mit gewirkt (oben rechts). Das "Melanchtonianum" dient der Fakultät der Religion, das "Thomasianum" der Jura und Nationalökonomie. Überregional bekannt ist auch die Hochschule für Kunst und Design in der Burg Giebichenstein, daneben die Evangelische Hochschule für Kirchenmusik und die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina sowie die Kulturstiftung des Bundes. Außerdem sitzen hier u.a. das Institut für Wirtschaftsforschung und drei Max-Planck-Institute.

Stadtführungen wie unsere mit Frau Heidi Dietze beginnen am "Goldenen Händel" vor der Stadtinformation nahe dem Roten Turm (im Foto vorn), 84 m hoch ab 1418 errichtet "zur Ehre Gottes und der Stadt Halle wie der ganzen Umgebung zur Zierde. Für mich ist dieser Glockenturm ein Zeichen der Stadtfreiheit, wie wir sie aus Flandern mit seinen Belfrieden kennen. Eher bescheiden davor steht die Rolandsfigur. Den optischen Mittelpunkt bildet das Standbild für Georg Friedrich Händel, der Richtung England blickt. In den Marktplatz mit 16.000 m² münden immerhin 14 Straßen und Gassen.
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Die Marktkirche "Unser Lieben Frauen" oder einfach Marienkirche (dahinter, links), wurde 1530 - 54 erbaut als dreischiffige Hallenkirche. Ursprünglich standen hier zwei Kirchen: Alt St. Marien im Osten und St. Gertruden im Westen. Kardinal Albrecht ließ beide bis auf die Türme abbrechen und die neue Kirche zwischen die beiden romanischen Turmpaare bauen.
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Die Hausmannstürme im Osten verbindet eine Brücke. Martin Luther predigte hier 1545/46 zur reformierten Gemeinde. In der Sakristei links vom Turmeingang wird seine Totenmaske aufbewahrt, dazu die Abdrücke seiner Hände (oben). Um in den Gedenkraum zu gelangen, wandten wir uns an die Postkartenverkäuferin in der Kirche, die ihn uns gegen 2 Euro aufschloss.

Die nach Moritz von Magdeburg, nicht von Sachsen, benannte Moritzburg bildet heute ein eigenartiges Konglomerat aus Mittelalter und Moderne. Kardinal Albrecht von Brandenburg  residierte hier von 1514 - 41; "er war ein freundlicher Humanist, aber was er wollte, nahm er sich", betonte Stadtführerin Dietze. Der Kardinal hatte einen Reliquienschatz angesammelt und hielt einen Hofstaat wie ein Kaiser; "an Pracht stand ihm in Mitteldeutschland nichts zur Seite", wie Chronisten belegen.
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Die Blüte des "Heiltums Halle" verging rasch; mit Beginn der Reformation zog der Kardinal mit Hofstaat und allen Kunstgegenständen nach Mainz und Aschaffenburg fort.

Einst bestand hier eine Vierflügelanlage auf dem Grundriss eines unregelmäßigen Rechtecks mit vier runden Ecktürmen aus der Spätgotik ab 1484, die 1637 zur Brandruine wurde und vor hundert Jahren Teil eines Museumsneubaus wurde. Das heutige Landeskunstmuseum der Stiftung Moritzburg bekam 2008 einen zeitgenössischen Erweiterungsbau mit markanter Dachlandschaft (rechts).

Im Hof finden sich u. a. eine Grabplatte aus der Renaissance für einen Arzt, der von einem Apotheker erschlagen wurde, und einige Skulpturen: Liegender Mann und stehende Frau (links). 35

Der weiße Dom wirkt dagegen bescheiden, kommt er doch als einstige Dominikanerkirche ohne Querhaus und Turm aus. Steile spitzbogige Fenster zeugen vom hochgotischen Bau ab 1270. Zum eigenwilligen Gesamteindruck führen geputzte Rundbogengiebel, die in der Frührenaissance ab 1520 aufgesetzt wurden. 1688 wurde das Bauwerk der Deutsch-Reformierten Gemeinde übergeben. Hier wurde Georg Friedrich Händel 1702 zum Organisten bestellt und begann seine Bahn brechende musikalische Laufbahn. 36

Die Burg Giebichenstein wurde von Kaiser Heinrich I. erbaut als "Civitas Giuicansten", später "Gibikonstein cuma Salina sua nach einem altsächsischen Personennamen "Giviko" althochdeutsch "Gibicho" benannt. Diese Burg war Bischofssitz, bis die Moritzburg fertig war.
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Die Burgruine, vor zwei Jahrhunderten Symbol deutscher Romantik, wurde vor einem Jahrhundert durch die Stadt Halle erworben. Seit 1921 ist hier die Hochschule für Kunst und Design untergebracht. 37  (Foto: hier vorn liegt nur eine Frau.)

Der protestantische Pfarrer, Pietist und Erzieher August Hermann Francke, entsetzt über die Armut und Unwissenheit der Bettelkinder und Waisen, gründete 1695 eine Armenschule zu Glaucha, die er bald um Bürger- und Adelsklassen vergrößerte. Zu den Franckeschen Stiftungen entstand im Laufe der Jahrzehnte eine Schulstadt: mehrere Erziehungsanstalten, die Ostindische Missionsanstalt, die Cansteinsche Bibelanstalt, Lehrmittelsammlungen und Unternehmen wie Apotheke, Druckerei, Buchhandlung, Wirtschaftsgärten, insgesamt mehr als 40 Gebäude.
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Das Hauptgebäude von 1700 zeigt am Giebel zwei zur Sonne fliegende Adler mit Franckes Leitspruch: "Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, daß sie aufffahren mit Flügeln wie Adler."  Francke war es gelungen, aus vier Talern und 16 Groschen ein Imperium zu schaffen. Klugheit und Organisationstalent gehörten neben außerordentlichem Gottvertrauen zu seinen heraus ragenden Eigenschaften. Großzügige Spender warb er mit dem Motto: "Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb." Von Anfang an nahm Francke nicht nur Jungen, sondern auch Mädchen auf, die im separaten Gebäude, dem "Mägdeleinhaus", logierten. Die älteren Schüler bezog er in die Ausbildung der jüngeren ein; Lernen und Lehren waren verzahnt. Ihm ging es um nicht mehr und nicht weniger als die moralische Erneuerung der Welt. Das von Christian Daniel Rauch geschaffene Standbild scheint gütig über das Wohl und Wehe der Einrichtung zu wachen. 38

Wir besuchten die Bücherei im Obergeschoss des steinernen Hauses 22, die heute noch als Präsenzbibliothek genutzt werden darf. Anfangs soll sie Bücher ausgeliehen haben, jedoch versilberten die Eltern der armen Kinder sie mitunter, was Francke dann unterband. Rund 100.000 Bände umfasst die Sammlung, wichtige Werke können auch über das Internet nutzbar gemacht werden.
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Die 1992 wieder belebten Stiftungen verstehen sich als einzigartiges Zentrum kultureller, wissenschaftlicher, pädagogischer, sozialer und christlicher Einrichtungen, ein Komplex mit Kindergarten, Kinder-Kreativitäts-Zentrum, Schulen, Haus der Generationen, Jugendwerkstatt, Bibelzentrum, Gewerbebetrieben, auch Archiv, Bibliotheken, musealen Einrichtungen und Forschungsstätten. Hier lehren und lernen 4.000 Menschen. 39

Der Massendruck der Bibel begann hier, indem pro Satz 5.000 Blatt Papier bedruckt wurden. Seit Beginn wurden über 10 Mio. Bibeln in Halle gedruckt. Die Erhaltung der Bücherei ist insbes. dem im eingemeindeten Reideburg 1927 geborenen und langjährigen Bundesminister Hans-Dietrich Genscher zu verdanken, wie uns eine der Aufseherinnen sagte.
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Eines der Fachwerkhäuser ist mit über 100 m Länge das längste in Europa (oben rechts). Zum Areal gehört auch die russ.-orth. Kirche St. Georg Kapelle. Im Hauptgebäude befindet sich ein Aufzug, über den und eine kurze Treppe wir auf den Altan gelangt sind. Von hier lassen sich die Schulstadt und weite Teile Halles überblicken. Dazu gehören auch das letzte, auch zum Abriss vorgesehene Hochhaus und die seit 1968 nur einen Steinwurf vom Langen Haus entfernte, durch die Stadt schneidende Hochstraße nach Halle-Neustadt.

Im Obergeschoss des Haupthauses ist die Naturalienkammer untergebracht, eine teilweise kuriose Sammlung von Schaustücken aus Botanik, Zoologie, Geografie und Astronomie. Wie schon die Bibliothek empfanden wir diesen altertümlichen Raum sehr anheimelnd.

Zu den sehenswerten historischen technischen Bauwerken und Denkmalen gehören die beiden großen Wassertürme der Stadt: Wasserturm Nord, in dessen Nähe wir in einem guten ****Sternehotel mit dem Namen "City-Hotel" (links im Foto, rechts Bus, Mitte Turm) gut untergebracht waren, und Wasserturm Süd.

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