Kolloquium
"Der Harz in der Regionalgeschichte"
in Stolberg am 19. Juni 1999

Schon eine kleine Tradition bildet das alljährliche Kolloquium, zu dem der Landesheimatbund Sachsen-Anhalt e.V., der Verein für Geschichte von Sangerhausen und Umgebung e.V. und die Stadt Stolberg eingeladen hatten. Nach Sangerhausen, Kelbra und Beyernaumburg wurde Stolberg der Versammlungsort.
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Nach der Einleitung durch den Vorsitzenden des Sangerhäuser Geschichtsvereins, Helmut Loth, begrüßte die Stolberger Bürgermeisterin Carla Böttcher die etwa 35 Teilnehmer. Sie freute sich, dass ihre Stadt ausgewählt wurde, weil Stolberg sehr engagiert sei in der Brauchtums- und Denkmalpflege. Die Stadt beherberge zahlreiche Vereine, von denen sie die Stolberger Schützengilde von 1421 e.V. und den Verein der Bogenschützen hervorhebt. Für den Fremdenverkehr sind die beiden Museen in der Nieder- und der Rittergasse sowie das Josephs-Kreuz auf dem Auerberg von Bedeutung.

1. Umgang mit dem Kunst- und Kulturgut der Stolberger Fürsten
Mehr als ein Grußwort sprach der Präsident des Landesheimatbundes, Dr. habil. Konrad Breitenborn, der zunächst aus einem alten Reisebuch von der letzten Jahrhundertwende zitierte, in dem der Tagungsort, Kanzlers Hotel als der erste Hof am Platze genannt wird. Die Holzhäuser machten einen altertümlichen Eindruck, in den vier Tälern schmiegten sich die Häuser eng an den Berg, so dass die Leute auf den Boden steigen müssten, um in den Keller zu gelangen. Der Bergbau ruhe gänzlich. Gute Quellwasserleitung. Elektrische Beleuchtung. So heißt es in jenem Buch.

Dr. Breitenborn gab daraufhin einen kurzen Abriss der Stadtgeschichte von Stolberg, einem Ort, der oft an der Grenze lag, was sich an zahlreichen Grenzsteinen unter anderem am Weg von Uftrungen nach Breitenstein noch heute ablesen lässt. Das Wappen zeigt einen schwarzen 12-endigen Hirsch auf goldenem Grund. Als erster bedeutender Graf wird Botho der Ältere von Stolberg um 1390 genannt. 1429 fiel die Grafschaft Wernigerode den Stolbergern zu, den weiteren Erwerb von Besitztümern zählt Dr. Breitenborn auf. Der Graf wurde auch Botho der Glückselige genannt, was auf seinen materiellen Wohlstand schließen lasse. Seine Kinder und Enkel breiteten sich über das Reich aus, so ist auch der bekannte Wilhelm von Oranien ein Enkel des Botho.

In den bereits zitierten Reisebuch wird auch das Stolberger Schloss genannt, das 375 m hoch über der Stadt gelegen sei und nur mit Erlaubnis des Torwächters zu betreten sei; gelobt wird die berühmte Bibliothek. Das Schloss war bis 1990 baulich gut erhalten, ist jedoch seit 1993 in Privathand, wodurch es zwischenzeitlich in einen katastrophalen Zustand gekommen ist. Auf den beklagenswerten Erhaltungsgrad habe der Landesheimatbund schon vor zwei Jahren aufmerksam gemacht. Die Auflagen wurden durch den Besitzer jedoch nicht erfüllt. Das Schloss war letztmalig am Tag des offenen Denkmals im September 1993 öffentlich zugänglich.

Die anderen beiden Schlösser der Stolberger Grafen bzw. später Fürsten, Roßla und Wernigerode, stehen dagegen jetzt in kommunalem Eigentum. Wernigerode hatte in der DDR-Zeit eine besondere Aufgabe: Das Schloss diente als Depot für enteignetes Kunst- und Kulturgut, ja es war seit 1949 dort ein Feudalmuseum eingerichtet mit Stücken vorwiegend aus den Enteignungen der Bodenreform. Hierzu hat Dr. Breitenborn gemeinsam mit Boje Schmuhl kürzlich ein Buch veröffentlicht.

Hieraus hat der Redner ein Zitat aus den Erinnerungen des Dr. Walter Dieck, Leiter des Feudalmuseums von 1949 bis 1950, widergegeben: Schloss Stolberg ...enthielt noch viele unberührte Kostbarkeiten, Zeugnisse überlegenen Geschmacks der geflohenen Bewohner ... und als wir die Sachen bald darauf abholen wollten und zusammen mit anderen Kunstschätzen auf einem Lastwagen verstauten, wurde mir zum ersten Male bewusst, welchen Abschiedsschmerz wir ihren bisherigen Betreuern damit bereiten mussten. Der alte, am Ort verbliebene Schlossverwalter, der die Sachen herausgab, folgte dem Wagen mit Blicken verbissenen Zorns. Offensichtlich empfand er den Abtransport als brutalen Raub, und ich glaubte ihn zu verstehen. Wie jedem Museumsmann war mir der Begriff des öffentlichen Eigentums, an dessen rechtmäßigem Erwerb es keinen Zweifel gibt, geläufig. Was hier geschah, war aber entschädigungslose Enteignung, ein Gewaltakt also, der das Begriffsvermögen eines an patriarchalische Verhältnisse und Bediententreue gewöhnten Mannes übersteigen musste. Ich konnte eine Regung des Mitleids und eignen Widerwillens nicht unterdrücken und nahm mir vor, ähnliche Gefühlskonflikte, die ich auch bei meinen Wernigeröder Mitarbeitern beobachtet hatte, künftig schonend zu behandeln...
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Den Titel des Buches 1) ziert die Abbildung eines Gemäldes von 1840, den Rücktitel die Rückseite dieses Gemäldes mit zahlreichen Stempeln und Aufklebern. Auf welch verschlungenen Wegen wertvolles Kulturgut schließlich zur Devisenbeschaffung sogar in das westliche Ausland verkauft wurde, schildert Dr. Breitenborn an einem Beispiel. Schlimm wirkte sich auch die 1949 angeordnete Trennung in Kunstgut und Gebrauchsgut aus, wonach Gegenstände an Behörden, Ämter, gesellschaftliche Organisationen, aber auch an Privatpersonen abgegeben wurden.

Kunst- und Kulturgut angeblich minderer oder mittlerer Qualität stand leihweise zur Verfügung für die Dekoration landeseigener Gebäude, volkseigener Betriebe, von Klubhäusern, Schulen und Heimen sowie von Räumen der Regierungsbehörden. Kunst und Kulturgut, das angeblich ohne musealen Wert war, wurde an die Theater in Halle, Magdeburg und Halberstadt abgegeben.

2. Stadtsanierung in Stolberg - Umgang mit historischer Bausubstanz
Heiko Kügler aus der Stadtverwaltung Stolberg streifte kurz die Entstehungsgeschichte seiner Stadt. Diese entstand um das Jahr 1000 als Bergmannssiedlung. Die Silbe stol wird wahrscheinlich von dem Wort stahal in der Bedeutung hart, fest abgeleitet. Während der Ort erstmalig 1157 urkundlich erwähnt wurde, folgt die Nennung eines gleichnamigen Grafen von Stolberg erst im Jahre 1210. 2)

Die älteste Besiedlung war in der Eselsgasse, der heutigen Rittergasse, zwischen Ritter- und Saigerturm. Die Siedlung entwickelte sich Mitte des 13. Jahrhunderts zur Stadt. Der Stadtgrundriss hat sich bis heute nicht verändert; Martin Luther vergleicht ihn vom Standort der Lutherbuche aus mit einem Vogel. Die Lage machte keine Stadtbefestigung erforderlich, lediglich Tore sicherten die Zugänge zur Stadt. Handwerker stellten fast alle Produkte selbst her. Bis Mitte des 18. Jahrhunderts waren Berg- und Hüttenbetrieb die Haupterwerbsquellen der Stadt. Das älteste erhaltene Haus im Kalten Tal ist heute eines der beiden Museen.

In der Stadt stehen etwa 354 Fachwerkhäuser, die Hälfte davon sind niederdeutsche Ständerhäuser. Denkmalschutz bestand schon zu DDR-Zeiten. Weil die Bewohner meist die Besitzer der Häuser sind und durch den Fremdenverkehr sind die meisten Häuser in einem guten Zustand gehalten worden.

Nach der Wende war die Bebauung der Berghänge zu vermeiden. Eine große Herausforderung war die Erneuerung der technischen Infrastruktur. Insbesondere die Sperrung der Niedergasse bedeutete eine große Einschränkung, welche großes Improvisationsvermögen abverlangte. Die Gastronomie erlitt Einbußen.

Haupterwerbszweig bleibt der Tourismus, der nur mit der Fachwerksubstanz möglich ist. Die 1993 verabschiedete Erhaltungssatzung der Stadt reicht zur Animierung der Bürger nicht aus. Hier sind die Medien gefordert, zumal sogar ein eigener Fernsehkanal über Kabel empfangen werden kann. Insbesondere bei der Anbringung von Werbeanlagen gibt es intensive Diskussionen. Vorrang hat die Beschriftung am Haus, auch Ausleger werden akzeptiert, elektrische Schrift ist dagegen weitgehend zu vermeiden.

Bei der Dachsanierung soll eine Form- und Farbvielfalt erhalten bleiben. Auch die Fensterteilung, also die Zwei- statt Einflügeligkeit, prägt das Aussehen; besser als der Austausch ist die Aufarbeitung. Diese ist aber schwierig bei Isolierverglasung. Bei den Hauseingangstüren ist ein positiver Trend in der Niedergasse auszumachen.

Stolberg ist in der glücklichen Lage, aus der Städtebauförderung Mittel zu erhalten für viele kleinteilige Maßnahmen. So werden 50 %, maximal 15.000 DM, bezuschusst. Der Vorsitzende der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, Prof. Gottfried Kiesow, weist jedoch zu Recht darauf hin, dass ein Denkmal nur erhalten wird, wenn eine Nutzung dafür vorliegt.

Die Stadt selbst verwirklicht auch Maßnahmen, zuletzt den Bau des Vergnügungsbades Thyra-Grotte. Der Parkplatz am Ortseingang Kaltes Tal wurde erweitert bzw. saniert. In den nächsten Tagen beginnt der Bau des Parkplatzes am Bahnhof. Die Sanierung des Rathauses geht weiter. Die Dachsanierung hiervon ist schwierig, eine extra S-Pfanne muss hierfür gebrannt werden. Mit der These, das Rathaus müsse in einem Zuge erbaut worden sein (anstatt der bisherigen Annahme, das Fachwerkgeschoss sei den beiden Steingeschossen später aufgesetzt worden) beendet Heiko Kügler seinen Vortrag.

Auf die Frage aus dem Publikum, welche Lasten auf die Bürger mit der Sanierung umgelegt worden seien, antwortet Herr Kügler: Von Privathaushalten seien 5.000 DM, von Gewerbetreibenden 7.500 DM erhoben worden, die auch über mehrere Jahre verteilt werden konnten. Der Eigenanteil läge bei 1/3. Den Gesamtwert der Maßnahmen konnte Herr Kügler nicht beziffern, er vermutet eine zweistellige Millionensumme. Von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz sei es trotz mehrerer Anfragen noch nicht gelungen, Mittel zu bekommen.

3. Der 1868 gegründete Harzverein für Geschichte und Altertumskunde - Ansprechpartner für jeden örtlichen Heimatverein im Harz
Herr Dr. Bernd Feike beginnt seine Aussagen mit dem Hinweis auf das hohe Durchschnittsalter der an Geschichte interessierten Personen, wie sie auch heute hier im Saal sichtbar ist. Es ist schwierig, junge Leute an die Arbeit der Heimatforschung heranzuführen. Dagegen setzt er das Beispiel zweier Stolberger Bibliothekare im damals fürstlichen Schloss, welche 33 bzw. 28 Jahre jung gewesen seien, als sie an der Gründung des Vereins mitwirkten.

Im März 1868 erschien ein Aufruf in der Presse, einen Harz-Verein zu gründen. Zuvor haben sich die Stolberger der Unterstützung aus Wernigerode versichert, dort wurde ein Verein mit etwa 40 Mitgliedern gegründet. Die Arbeit konzentrierte sich zunächst auf den Nordharz mit Quedlinburg, Blankenburg und Wernigerode, dehnte sich aus auf die Mansfelder und Sangerhäuser Geschichte.

Seit 1868 wird eine Zeitschrift herausgegeben, anfangs jedes Quartal, seit 1945 einmal im Jahr, manchmal auch ein Zweijahres-Doppelband. Auch aus der Region Sangerhausen wurde eine ganze Anzahl von Beiträgen in der Zeitschrift veröffentlicht.

1901 hatte der Verein 1.017 Mitglieder, darunter waren alle drei Schlossbibliotheken in Wernigerode, Stolberg und Roßla. Derzeit sind es 250 Mitglieder, vertreten sind auch Institutionen wie Städte.

Vor 1990 war die Tätigkeit des Harzvereins auf den Westharz begrenzt. Seither wird die Arbeit wieder auf den Ostharz ausgedehnt und umfasst alle drei Harz-Bundesländer Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

Derzeit ist der Band 11 in Druck, welcher sich mit der Rechtsgeschichte, verkörpert durch die Rolande, beschäftigt. Auch der Band 12 ist in Vorbereitung. Im Sachsen-Anhalt-Journal wurde kürzlich ein Beitrag zu 130 Jahren Harzverein mit einer Liste der Artikel seit 1990 abgedruckt.

Auf eine anschließende Frage von Frau Dr. Monika Lücke zu den ungünstigen Öffnungszeiten der Walter-Grosse-Bibliothek innerhalb des Schlosses Wernigerode - 3 Stunden Schließung über Mittag, an 3 Tagen nur vormittags geöffnet - antwortet Herr Dr. Feike, der Harzverein habe hierauf kaum Einfluss.

4. Die Stolberger Armbrustschützen und die Schützenhöfe in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts
Zunächst entschuldigte Dr. Frank Boblenz den Druckfehler in der Einladung, auf der es Schützenhilfe geheißen hat. Er ging dann auf die Entwicklung des Schützenwesens zu kulturellen Zentren im Leben ein. Im Zuge der Selbständigkeits-Bestrebungen der Städte entstand im Mittelalter eine Tendenz zu eigenen militärischen Einrichtungen. Diese sollten dem Schutz des Territoriums und der Stadt dienen. Die meisten Schützengesellschaften entstanden Mitte des 14. bis in die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts. Eine Aufzählung reicht über Nordhausen, Oschatz, Zerbst, Mühlhausen bis Frankenhausen.

Anfangs, seit dem 11. Jahrhundert, waren die Schützen mit der Armbrust ausgerüstet. Diese wurde auch zur Jagd verwendet. Danach ging man mehr zur Handfeuerwaffe über. Der Bogen wurde dagegen kaum genutzt.

Büchsen- und Armbrustschützen waren anfangs in einer Vereinigung zusammengeschlossen, die Trennung kam erst später. Die Aufgabe war vor allem, den Umgang mit der Waffe zu üben. Es wurden Zielscheiben mit schwarzen Spiegel ebenso genutzt wie nachgebildete Vögel.

Für eine Stadt bedeutete es eine Aufwertung, wenn dort ein Wettschießen war. Es verwundert nicht, wenn damit Märkte verbunden wurden. Der älteste Schützenhof wurde 1367 in Frankfurt am Main abgehalten.

Den Dreißigjährigen Krieg überlebten die wenigsten Vereinigungen.

1486 wurden in Stolberg zwei Hakenbüchsen angeschafft. 1547 tauchen erstmals die Büchsenschützen als selbständige Körperschaft hier auf.

1664 fand mit dem Deputationstag der obersächsischen Kreise ein Zäsur statt. Zur Abwehr der Türkengefahr wurden die Städte und Dörfer aufgefordert, Schützengesellschaften aufzubauen.

Die Schützengilde zu Stolberg wurde 1421 gegründet. Die Stadt gab finanzielle Unterstützung beim Üben mit der Waffe. Wenn dagegen nicht genügend Schützen zum Schießtag erschienen, musste Strafe gezahlt werden. Wenn geschossen wurde, wurden 6 Groschen je Sonntag gezahlt. Die Schützengilde erhielt bis zu 6 Schock 24 Groschen als Entschädigung.

Auf Schützenhöfen wurden Preise ausgesetzt, so 1484 für ein Fass Bier 2 ½ Schock. Die Schützengesellschaften trafen sich mit denen der benachbarten Städte, welche Dr. Boblenz auf einer Folie auf die Leinwand projizierte. Die Entfernung betrug meist eine Tagesreise.

Als Höhepunkt wird der Stolberger Schützenhof vom 19./20. April 1487 hervorgehoben. Dieser wurde auch von Cyriacus Spangenberg aus Sangerhausen beschrieben, wie der Referent zitiert. Zur Vorbereitung hatte man sich 1485 mit Hettstedt abgestimmt, wer als nächster den Schützenhof austrägt. Stets stimmten sich die Schützen sowohl mit dem Stadtrat als auch mit dem Landesherren ab.

Jeder Schütze hatte 8 Schuss. Als Auszeichnung wurden 42 zinnerne Kannen ausgesetzt. Zum Trostpreis gab es manchmal für den schlechtesten Schützen zum Beispiel ein Schwein. Die Teilnehmer reisten nachweislich von Ellrich im Westen, aus dem Berggebiet um Hohnstein, Nordhausen, Frankenhausen, Mansfeld, Eisleben, Sangerhausen, Artern und sogar von Arnstadt an. Jeder Teilnehmer hatte eine Gebühr von 1 Schock 30 Groschen zu zahlen. Der Mansfelder Graf Vollrath soll den besten Schuss abgegeben haben.

An die Rede schlossen sich einige Fragen an. So wurde über die Dauer geantwortet, diese wäre meist zwei Tage, aber auch mitunter acht Tage gewesen, z. B. wenn ein Schützenhof an eine Krönungszeremonie gekoppelt war. Die Frage nach einer einheitlichen Kleidung der Schützen wurde verneint. Hierfür gebe es keinen Nachweis, möglicherweise trug man gleiche Bänder. Es wurden aber Banner aufgehängt. Die Schützen selbst erhielten kein Entgelt, nur ihre Körperschaft empfing Zuschüsse. Über die Mitgliederstärke der Schützengilden können keine einheitlichen Aussagen getroffen werden, diese dürfte 20 bis 30, in größeren Städten auch über 100, gelegen haben.

5. Urkunden, Leichenpredigten, Bauakten - Archivalien im Archiv der Pfarrkirche St. Martini
Frau Dr. Monika Lücke aus Halle hatte einige Muster im Versammlungsraum ausgelegt, welche bis 1539 zurück reichten. Diese Exemplare dank der Erlaubnis des Gemeindekirchenrates heute mitgebracht werden. Frau Dr. Lücke berichtet über die Schwierigkeiten, welche bei der Zusammenführung entstanden.

Es begann damit, dass wegen der Bauarbeiten an der Martini-Kirche das Archiv gesichert werden musste. Dieses war bei einem Transport nach Magdeburg zum Konsistorium einst auseinandergerissen worden. Für die Übergabe gab es keine Protokolle. Es waren drei Archive zu ordnen und zu katalogisieren. Das Pfarrarchiv kam komplett zurück nach Stolberg, wohin es gehört. Dabei halfen Studenten der Martin-Luther-Universität aus dem Fach Geschichte und historische Hilfswissenschaften.

Nach 1713 gibt es keine grundlegenden Arbeiten mehr. Die Akten reichen von 1300 bis in die Gegenwart. Jedoch sind von 1500 bis 1700 keine Akten im Archiv, jedoch lagern im Stadtarchiv 200 Bände.

Auch Rottleberode, Stempeda und Rodishain haben in Stolberg ihre Pfarrakten gelagert. Nach Abschluss der dortigen Bauarbeiten erhält Stempeda vermutlich seine Akten zurück.

1926 wurde eine Kiste mit Urkunden entdeckt, welche im Januar 1992 gesichtet wurde. In den letzten 100 Jahren gingen nur einzelne Stücke verloren. Die ältesten Urkunden lagern in der Sakristei und können dort bei Führungen besichtigt werden.

Die Stolberger Kirche war im Mittelalter unbedeutend. Sie hat keinen nachweislichen Einfluss auf das kirchliche Leben in der Grafschaft ausgeübt. Die Martini-Kirche wurde 1300 in einem Ablassbrief erstmals urkundlich erwähnt. Der romanische Turm weist aber auf ein höheres Alter hin. Bei den verschiedenen Altären kennt man das Entstehungsjahr.

Der Bau der jetzigen Kirche wurde 20 Jahre lang vorbereitet, insbesondere wurde Geld gesammelt. Anno 1484 in der Fasten ward angehaben der Abraum zum neuen Chor/und darauf den Montag nach Exaudi der erste Stein durch D. Ulrich Rißpach ... mit großer Andacht und Herrlichkeit geleget/und mehr als 300 Rheinische Gulden geopfert 3). Pfarrer Rißpach starb 1488, die Kirche wurde 1490 vollendet. Mit ihren Neubau gewann die Pfarrkirche Ausstrahlung in der gesamten Grafschaft.

Und nun kommen wir zu den Leichenpredigten. In den 20er Jahren unseres Jahrhunderts wurde ein erstes Verzeichnis der Handschriften angelegt. Ein solcher handschriftlicher Bestand hat Seltenheitswert, einen weiteren gibt es in Stendal. Wer die Sammlung veranlasst hat, ist unbekannt.

Bei den häufigeren gedruckten Beständen betrifft der Großteil von 80 % die Ober- und Mittelschicht. Hier beim Handschriftenbestand kommt die gesamte Vielfalt an Berufen zum Ausdruck.

Frau Dr. Lücke hat ihren Katalog der Leichenpredigten als Buch herausgegeben, aus dem sie drei Beispiele vorlas. 4)

Dr. med. Josias Hoffmann (Nr. 282) Die ersten 16 Jahre seines Lebens war er kränklich und von schwacher Konstitution, erwies sich aber als sehr intelligent. Der Vater bestellte Hauslehrer für ihn und seine Geschwister. Im März 1682 kam er nach Leipzig in die Thomasschule, musste aber nach einem Jahr nach Hause geholt werden, da er erkrankte. Nach seiner Genesung kam er an das Gymnasium in Quedlinburg, wo er besonders unter Mag. Samuel Schmid in den humanistischen Lehren ausgebildet wurde. 1688 ging er an die Universität Leipzig. Dort studierte er 4 Jahre und begab sich danach als praktizierender Arzt auf Reise. Dabei kam er nach Frankfurt/M., Nürnberg, Augsburg, Ulm, München, Straßburg, nach Tirol und in die Schweiz. Danach durchreiste er ganz Italien und hielt sich dabei besonders in Parma, Modena, Mantua, Venedig, Padua, Genua, Mirandola, Florenz, Livorno, Rom und Neapel auf.

Die Leichenpredigt berichtet über verschiedene gefahrvolle Ereignisse während diesen Reisen. So ist der Doktor bei Livorno mit einem Pferd in eine Schlucht gestürzt und geriet ein andermal in die Gefangenschaft von Seeräubern. Nach 3 Reisejahren kam er nach Hause und begab sich als Assistent zu seinem Vetter Lic.med. Christoph Olearius nach Wolfenbüttel. Dort wurde Graf Christoph Ludwig von Stolberg auf den jungen Arzt aufmerksam und bot ihm Anfang des 18. Jh. die Stelle als gräflich stolbergischer Hofarzt an. Er entwickelte neue und sehr wirksame Medikamente. Frau Lücke fügte hinzu, dort stünde auch, er wurde trotz seines Ruhms nicht hochmütig und arrogant.

Ein weiteres Beispiel ist Catharina Elisabeth Liebau, geb. Buchmann (Nr. 73). Geboren 25.06.1952 in Ungarn/Feldlager. Verheiratet 1674 mit Hans Georg Liebau, Berufssoldat aus Breitenbach, gefallen 1689 in Ungarn bei der Belagerung von Neuhäusel, wohnte dann 8 Jahre als Witwe in Schwenda und anschließend 12 Jahre im Hospital von Stolberg, 1 Sohn, 6 Töchter, davon der Sohn und 4 Töchter verst. Als Hebamme soll sie 1.550 Kinder auf die Welt geholt haben.

Auch ein Leineweber Hesse und Nikolaus Friedrich Vogel, Pfarrer der Geimeinde Straßberg (Nr. 184), werden zitiert. Bis zum 18. Lebensjahr Unterricht beim Praeceptor der Stadtschule von Stolberg, von 1702 - 1708 Gymnasiast in Quedlinburg, und 1708 - 1712 Studium der Theologie an der Universität Jena. Dann 2 Jahre in Eisleben beim Oberamtmann Orlich angestellt und weitere 2 Jahre in Stolberg beim Oberzehntschreiber Gründler. 1717 ging er auf Anordnung des regierenden Grafen von Stolberg nach Halle in die Franckeschen Stiftungen, damit er die dortigen Lehr- und Erziehungsmethoden erlernt. Nach einem halben Jahr folgte ein Rückruf nach Stolberg, um im dortigen Waisenhaus als Informator (Instrukteur) zu arbeiten. 1718 wurde er durch Christoph Friedrich, Graf von Stolberg, als Pfarrer in Krimderode und Rüdigsdorf eingesetzt, 1728 folgte eine Versetzung nach Hayn und 1744 nach Straßberg.

Frau Dr. Lücke leitete über zu den Bauakten im Kirchenarchiv, die zu ihrem Bedauern zu wenig genutzt werden, anders als die Akten im Stadtarchiv. Dadurch könnte man die Baukosten erheblich reduzieren.

So waren erste Hinweise zur Eindeckung des Kirchenschiffes falsch, dort gab es ursprünglich ein Schieferdach. Auch einen Kirchenbrand habe es nie gegeben, stattdessen führten verschleppte Reparaturen zur Baufälligkeit. Den ursprünglichen Plan hätte man gut nachnutzen können, wenn die Behörden davon gewusst hätten.

Material lag in Rottleberode, nicht mal in Schränken, sondern auf dem Boden. Frau Dr. Lücke hofft auf mehr Aufmerksamkeit für diese Archivalien.

6. Stadtführung mit Frau Rudolphi
Nach einem gemeinsamen Mittagessen nahmen die meisten Besucher am Stadtrundgang teil, welcher am Thomas-Müntzer-Denkmal vor dem Rathaus begann. Am Saigerturm vorbei ging es zum Standort des Geburtshauses von Müntzer. Durch die Stubengasse über eine Thyra-Brücke kommt man an den Fußpunkt der Treppe zur Luther-Buche. Von dort aus kann man das Stolberger Schloss besonders gut erkennen (im Foto ganz oben, rechts der Saigerturm im Herzen der Stadt).

Zu der unvermeidlichen Frage zur Zukunft des Schlosses erklärte die Gästeführerin, gerade in dieser Woche habe es ein neues Gespräch gegeben mit Verwaltungsgemeinschaftsleiter Ulrich Franke, der Bezirksregierung und dem Erwerber Herrn Dächert. Letzterer habe das Schloss 1993 für 1,9 Millionen DM erhalten. Jedoch sammle er offenbar Schlösser, so auch Stiege und Burgscheidungen. Mit dem Ausbau seines Hotels (110 Betten) müsse er innerhalb von 14 Tagen beginnen, ansonsten das Objekt zurückgeben. Allerdings liefe sein westdeutsches Sanitärunternehmen offenbar nicht mehr so gut, dass die Finanzierung gesichert sei.
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Weiter ging der Rundgang zur Niedergasse an das St.-Georg-Hospital mit altengerechten Wohnungen und der St.-Georg-Kapelle. Krumme Balken in Fachwerkhäusern wurden nicht im Laufe ihres Alters so, sondern wurden so krumm bereits eingebaut, weil sie billiger waren als gerade. Infolge der Herstellung von Holzkohle - 7 kg brauchte man davon um 1 kg Erz zu schmelzen - wurde Hartholz (davon leitet sich der Begriff Harz ab) knapp.

Fachwerkhäuser aus verschiedenen Stilepochen werden gezeigt, so ein gotisches mit Schiffskehlen und das große Heimatmuseum, beide erbaut von Kilian Keßler. Letzteres war vormals die Münzprägeanstalt und Amtsgericht. Das Prägen von Münzen ist jeweils am Tag des offenen Denkmals möglich.

Das älteste Bürgerhaus von 1450 ist ein Rähmenbau. Sein Obergeschoss kragt 60 cm über. Kennzeichnend ist auch sein Brustholz am Obergeschoss, welches nur bis etwa 1560 angebaut wurde.
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Bevor das Haus Museum wurde, war dort ein Schuster tätig. Über ihn gibt es eine lustige Begegenheit wegen seiner Eigenheit, bis tief in die Nacht zu hämmern. So haben sich Jugendliche einen Streich ausgedacht und einen Sarg aus der Tischlerei entführt und in die Schusterwerkstatt geschafft. Ein Bursche hatte sich darin versteckt. Als die Glocke zu Mitternacht schlug, öffnete er den Sargdeckel und sprach zum Schuster, dieser solle die mitternächtliche Totenruhe achten. Dieser schlug dem Burschen auf den Kopf und entgegnete, Tote sollen nicht reden. (Rechts: immer diskret: Sparkasse unterhalb der Martini-Kirche.)
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Neben diesem Haus führt eine Treppe zur St.-Martini-Kirche. Ein kurzer Rundgang durch die Kirche führt in die Sakristei mit ihren alten Urkunden. Die dort anwesende Dame hatte gerade heute von einem Mann aus Bayern erfahren, die Ablassbriefe stünden nicht nur für 100 Tage Ablass von den Sünden. Jedes Siegel unter der Urkunde dürfe mit den 100 Tagen multipliziert werden, dies stehe in dem Text, welchen der Bayer fließend vorgelesen habe.

Das Kolloquium klang aus mit einem Orgelkonzert auf der berühmten Papenius-Orgel von 1701/03, gegeben von Sabine Petri. Den Ausrichtern gebührt auch dieses Jahr Dank für die Arbeit, die mit der Vorbereitung verbunden war.

Text und Fotos von Manfred Maronde, ohne Kapitel 1 veröffentlicht in "Mitteilungen des Vereins für Geschichte von Sangerhausen und Umgebung e.V. Heft 8 - 1999"

Quellenangaben:
1) Eigentum des Volkes: Schloss Wernigerode, Depot für enteignetes Kunst- und Kulturgut / Stiftung Schlösser, Burgen und Gärten des Landes Sachsen-Anhalt. Hrsg. von Boje Schmuhl in Verbindung mit Konrad Breitenborn. - Halle an der Saale: Stekovics, 1999. ISBN 3-932863-17-8. 80 Seiten mit zahlreichen meist farbigen Bildern.

2) Taschenbuch Deutsche Fachwerkstraße - Regionalstrecke vom Harz zum Thüringer Wald, Verlag Manfred Becker, Berga, um 1998, ISBN 3-932060-05-9, Seite 6

3) St. Martini - Stolberg/Harz, PEDA-Kunstführer Nr. 378/1996 von Eckardt Sehmsdorf, ISBN 3-89643-034-3, Passau 1996, Seite 5

4) Lücke, Monika: Katalog der Leichenpredigtensammlung der Stadtkirche Sankt Martini in Stolberg, Harz/eingel. und bearb. von Monika Lücke. Hrsg. vom Landesheimatbund Sachsen-Anhalt e.V. - Halle: Druck-Zuck GmbH, 1996. ISBN 3-928466-10-0
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