St. Ulrici
Die romanische Stadtkirche im Alten Dorf Sangerhausen
Kemenate, Kloster, Klosterplatz - Spurensuche mit Helmut Loth im Mai 1998

Die Tradition der letzten Jahre, jeden zweiten Sonnabend um 10.00 Uhr eine Stadtführung für Einheimische und Gäste anzubieten, hat der Geschichtsverein wieder aufgenommen. Nachdem die etwa zweistündigen Führungen innerhalb der Ulrichkirche schon viele Besucher anzogen, wollte der Vereinsvorsitzende Helmut Loth diesmal die Umgebung von Sangerhausens ältester noch stehender Kirche - und dem ältesten Gebäude der Stadt - erklären. Zu seiner Freude waren rund 30 Interessierte erschienen, die geduldig lauschten und Fragen stellten.

Älter als die Stadt ist das 'alte Dorf' - 'antiqua villa' Sangerhausen, das bereits im 6. Jahrhundert gegründet wurde. Unabhängig von diesem Dorf entstand im 10. Jahrhundert der Fronhof, die alte Burg von Sangerhausen. Dieser Landwirtschafts- und Handwerkshof ist unter verschiedenen Namen in der Stadt mundartlich bezeichnet: Kiemelotte, Kimmelhütte, Kemete, Kamelotte, Kömelte. Ursprung dieser Wortschöpfungen ist nach Dr. Herbert Wein die 'Kemenate', lateinisch 'caminata = ein mit Kamin ausgestattetes Gemach'.

Diese Kemenate stand als langgestreckter Steinbau auf einem Grundstück von 63 m Länge und 14 m Breite, nur 7 m westlich entfernt von der Ulrichkirche. Erhalten vom Gebäude ist nichts mehr, zuletzt stand dort das Gut Pressel.

Aus dem hohen Mittelalter sind jeder Sangerhäuserin und jedem Sangerhäuser zwei Namen vertraut: Cäcilie von Sachsen, Edle von Sangerhausen und Ludwig, der 'mit dem Barte' und 'der Springer'. Cäcilie war immerhin eine Tochter des sächsischen Pfalzgrafen Burchard. Zu ihren Besitzungen zählten das Alte Dorf und etliche andere Dörfer nebst größeren Ländereien, etwa 600 Hufen, wobei eine Hufe 30 Morgen groß ist (zusammen 450 Hektar), und 'viel Geldt, Korn und ander Gut'.
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Ein langjähriger Anblick - die "steinsichtige" Kirche (oben, Aufnahme 1998) - noch etwas ungewohnt die strahlend weiß verputzte Kirche (unten, Aufnahme 2007)
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Nach ihrer Heirat mit 30 Jahren zwischen 1040 und 1044 mit Graf Ludwig mit dem Barte brachte sie diesen Besitz ein. Beide waren oft in Sangerhausen, und trotz Ludwigs großer Besitzungen in Thüringen sind beide hier begraben. Dies gilt auch für ihren zweiten Sohn Graf Beringer, der vor 1110 starb, die geerbten Besitztümer gingen an dessen Sohn Konrad. Letzterer verkaufte sie zwischen 1110 und 1116 an seinen Onkel Ludwig II. Dieser zweite Ludwig (1056 - 1123) ist der berühmte 'Springer', weil er sich 1074 aus der Haft auf der Burg Giebichenstein mit einem Sprung in die Saale befreite. 1247 schließlich stirbt das Landgrafenhaus aus. Die Gesellschaft im Mittelalter war dreigeteilt: a) beten = orant, der Lehrstand, die Geistlichen, b) kämpfen = pugnant, der Wehrstand, die Ritter, c) arbeiten = laborant, der Nährstand, die Bauern.

Der zweite Themenschwerpunkt der Führung behandelte das Kloster, welches sich nördlich der Ulrichkirche erstreckte. Im ehemaligen Schlafraum der Nonnen, dem Dormitorium, befand sich später nach einem Umbau das Pfarrhaus. Heute beherbergt es das städtische Sozialamt. Aber drehen wir auch hier das Rad der Geschichte zurück.
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Das Kloster wurde von Benediktiner-Mönchen begründet, und zwar von dem als Stiftung 1085 gegründeten Kloster Reinhardsbrunn. Prior Ernst kam mit 12 Mönchen, einem Konvent, aus der bedeutenden Abtei Hirsau. Die 'Hirsauer Schule' ist heute in der Baukunst der Romanik ein fester Begriff. An der Kirche kann man Hirsauer Elemente noch heute ablesen: an dem für die Romanik so typischen Bogenfries am Wandabschluss unter der Traufe und am östlichen Abschluß des Grundrisses mit der 5-Apsiden-Anlage (Im Foto sind nur die Mittel- und die beiden Seitenschiff-Apsiden sichtbar, während die beiden Apsiden an den Querhausarmen verdeckt sind).

In den Reinhardsbrunner Annalen findet sich der Hinweis, Angehörige der gräflichen Familie seien 'in der Kirche des Ortes, der Sangerhausen genannt wird', bestattet. Dies geschah vor dem Bau der Ulrichkirche. Wo der Vorgängerbau gestanden hat, ist unbekannt. Oftmals wurde aber die Altarstelle als heiliger Ort wiederbenutzt, was auch hier so gewesen sein kann, aber nicht muss. Das Gotteshaus wird 1110 von Graf Ludwig II. dem Kloster Reinhardsbrunn geschenkt. Die neue Kirche wurde erst 1140 geweiht durch den Bischof von Halberstadt, nachdem Reinhardsbrunn zuvor mehrere Jahre um das Zustandekommen eines Weihetermins gerungen hatte. Dass die Ulrichkirche eine Klosterkirche gewesen sein muss, ergibt sich aus der Bezeichnung als 'Oratorium', also als Bethaus. In mittelalterlichen Urkunden wurden nur Klosterkirchen so genannt.

Nonnen wurden erstmals 1222 in Sangerhausen benannt, wahrscheinlich Benediktinerinnen. 1265 wurde an St. Ulrici ein Zisterzienserinnen-Kloster gegründet, das bis 1539/40 bestand. Beim Stadtbrand von 1389 wurde das Kloster stark beschädigt. Im Bauernkrieg von 1524 'gehen Nonnen auf die Mauern und sehen sich um', wie es überliefert heißt. Am 2. Mai 1525 sollte das Kloster durch 'loses Volk' gestürmt werden. Danach verstecken sich die Nonnen in Bürgerhäusern. Nach der Reformation, die Sangerhausen 1539 erreichte, wurde aller Klosterbesitz eingezogen und verkauft.

Sangerhausen war auch Garnisonsstadt. Südöstlich der Kirche, in der Ulrichstraße 1 a, steht die 'Neue Wache', die 1832 hier eingerichtet wurde. Das heutige neoklassizistische Haus an der Ecke wurde 1851 errichtet, hier war ein Kavallerie-Regiment stationiert. Die Kavalleristen waren verteilt über die ganze Stadt untergebracht.

Der Kreis um die Kirche schließt sich gegenüber vom Krieger-Denkmal mit dem Haus Ulrichstraße 24, der heutigen Verwaltung der Städtischen Wohnungsbaugesellschaft. Das Ackerbürgerhaus stammt aus dem 16. Jahrhundert. Es gehörte Ludwig von Doetinchem de Rande, der von 1862 bis 1895 Landrat war und hier das Landratsamt einrichtete. Auch dessen Sohn Dr. jur. Werner von Doetinchem de Rande war Landrat, das Haus jedoch war nach 1898 wieder nur Wohnhaus.
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Wer noch mehr hören wollte, ging zum Abschluss noch mit in die Ulrichkirche. Nach der Überlieferung wurde die Ulrichkirche von 1116 bis 1123 erbaut. Das ist jetzt 875 Jahre her. Außer Altvertrautem gab es etwas Neues zu entdecken: die Gesichter von Adelheid (links) und Ludwig dem Springer (rechts) an den Pfeilern im Chorraum. Die Wandgemälde waren nach dem letzten Kriege für wertlos befunden worden und sollten während der Ausmalung von 1949 entfernt werden. Der Maler Wilhelm Schmied wurde mit den Arbeiten beauftragt. Er schabte einen Teil der Farbe ab, was oben am Kopf der Adelheid sichtbar ist, und übermalte schließlich den Rest.

Heute wären wir froh, die Kirche wieder neu arbig ausgemalt zu sehen. Jedoch erfordern die äußere Schadensbeseitigung und die statische Sicherung des Kirchenmauerwerks erhebliche Mittel. Wenn ein Statiker die Kirche berechnen würde, müsste er zu dem Ergebnis kommen, das Gebäude stünde nicht mehr, so Helmut Loth (rechts im Foto unten).
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Text und Fotos von Manfred Maronde, veröffentlicht in "Mitteilungen des Vereins für Geschichte von Sangerhausen und Umgebung e.V. Heft 6/7 1997/1998"
RegionalSangerhausen