Die Rückeroberung Spaniens
Das maurische Erbe
mit Prof. Dr. Dr. Ulrich Matthée

Spanien ist den meisten von Ihnen als Urlaubsland wohl vertraut. Doch wissen Sie, woher der Name "Spanien" abgeleitet ist? Als die Phöniker um 1100 vor Christi ins Land kamen, nannten sie es "i-shepan-im", Küste der Klippschliefer 1), weil sie die ihnen unbekannten Kaninchen für die an der levantinischen Gegenküste lebenden Nagetiere hielten.

Die iberische Halbinsel wurde von vielen Kulturen geprägt: den Griechen, Karthagern, Römern, den Westgoten, den Mauren, den Juden, der katholischen Kirche. Wie wir unter der Führung des Kieler Professors Ulrich Matthée die Reconquista, die Rückeroberung, nacherlebten, möchte ich Ihnen erzählen.

Zurück zu den Phönikern, auch Phöniziern. Dieses Seefahrervolk traute sich als erstes zwischen den "Säulen des Herkules", Calpe und Cabyle, hindurch auf das Weltmeer und gründete Cádiz, vormals Gadir oder Gades, kurz nach ihrer Ankunft als eine der ältesten Städte Europas. Als Seehandelshafen wurde es zuerst für Bernstein und Zinn, zwei Jahrtausende später für die Schätze aus der "Neuen Welt" genutzt. An einem Nachmittag umrundeten und durchquerten wir die enge, rechtwinklige Altstadt, die bis auf eine schmale Landbrücke im Süden komplett vom Atlantik umspült wird.
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Ebenso wenige Spuren haben die bereits christianisierten Westgoten hinterlassen. Oder doch? Auf der Rückreise las ich mit Erstaunen, der als Vorbild für unseren gotischen Spitzbogen betrachtete Hufeisenbogen aus dem Heiligen Land wäre bereits 50 Jahre vor dem Untergang des Westgotenreiches aufgetaucht 2).

711 überquerte eine muslimische Berberarmee unter der Führung von Tariq ibn-Ziyad die Straße von Gibraltar und drang von Nordafrika her auf die Iberische Halbinsel vor 3). "Dschebel Al-Tariq", Berg des Tarik, nichts weiter bedeutet das Wort Gibraltar.

Den entscheidenden Sieg erfochten die Mauren bei Jerez de la Frontera nahe Cádiz. Jerez ist durch seine Weine, Liköre und Weinbrände weltbekannt. Das Wort sherry wurde von Xerez, dem früheren Namen der Stadt, abgeleitet. Verwundert es Sie, dass wir eine der großen Kellereien besichtigt haben? Tio Pepe aus dem Haus Gonzalez Byass lässt grüßen.

Innerhalb von acht Jahren war ganz Spanien von Mauren erobert. Ganz Spanien? Nein. Ein schmaler Küstenstreifen nördlich des kantabrischen Gebirges, Asturien und das Baskenland, konnte von der schnellen Kamelreiterei nicht erobert werden.

Aber Toledo. Die Stadt wurde als Hauptstadt des Westgotenreiches auf einer Anhöhe errichtet, die auf drei Seiten steil zum Tal des Tajo hin abfällt. Das westgotische Königreich ist die erste Macht, die den Sinn der Einheit Spaniens erkennt 4).
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Zwei Jahrhunderte später, unter Abd-ar-Rahman III. entwickelte sich Toledo zum intellektuellen Mittelpunkt des Zusammenlebens der jüdischen und mozarabischen Gemeinschaften. Die Stadt verfügte über hervorragende Wissenschaftler, Musiker und Poeten sowie prunkvolle Bauwerke und Gartenanlagen.

Auch die erste Hälfte des abgelaufenen Jahrtausends war Toledo wieder Residenz, und zwar der Könige von Kastilien und Leon. Obwohl wir die Stadt, vom Gegenufer des Flusses prächtig anzuschauen, nur kurz erkundeten, die Kathedrale ist - trotz rigide verteidigten Fotografierverbots - ein Wunderwerk für die Augen und sicher mit ein Grund, dass Toledo Weltkulturerbe der UNESCO wurde.

Doch lassen Sie mich jetzt näher auf die maurische Zeit eingehen. In den ersten Jahren ihrer Herrschaft hielten die Mauren, wie die Berber genannt wurden, die als Eroberer ins Land kamen, die Halbinsel als eine Art Kolonie des Kalifats von Damaskus. Vierzig Jahre - und zwanzig Emire - später gründete Abd-ar-Rahman I. ein mächtiges und politisch unabhängiges Emirat, das sich später zum Kalifat von Córdoba entwickelte.

Als die große Reconquista begann, hatte das muslimische Spanien etwa drei Jahrhunderte bestanden. Der bedeutendste ihrer Regenten war der schon genannte Abd-ar-Rahman  III., der sich 929 selbst zum Kalifen ernannte. Seine Hauptstadt, Córdoba, entwickelte sich nach Konstantinopel zur prächtigsten Stadt Europas, und hatte damals schon rund 400.000 Einwohner.
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In dieser Zeit wurden viele Schulen gebaut, deren Besuch kostenlos war und somit auch den Armen den Zugang zu Bildungseinrichtungen ermöglichte. An den großen muslimischen Universitäten wurden Studien in den Bereichen Medizin, Mathematik, Philosophie und Literatur betrieben. Aristoteles wurde hier z.  B. schon lange studiert, bevorr sein Name im christlichen Europa berühmt wurde. Besonders die Literatur erlebte eine enorme Entwicklung, begünstigt dadurch, dass viele der Kalifen selbst bedeutende Dichter und Schriftsteller waren. Auch Kunst und Architektur erlebten eine Blütezeit.

In Córdoba bestaunten wir die Gran Mezquita (linke Seite), einst eine der größten Moscheen des Islam. In vier Bauabschnitten über 250 Jahre entstand ein Wald aus - ob Sie es glauben oder nicht - 1.300 Säulen. Nach der Christianisierung wurde eine hohe Renaissance-Kathedrale mitten hinein gebaut. Kommentar des vom Bischof überredeten Kaisers Karl V.: "Was Ihr gebaut habt, findet man überall, was Ihr zerstört habt, nirgendwo mehr."

Auf unserem Rundgang inner- und außerhalb der spitzzinnigen Stadtmauer hielten wir Andacht bei zwei Denkmälern: Moses Maimónides (Bild rechts), dem bedeutenden Arzt und Denker hebräischer Herkunft, und dem Philosoph Alveroes.

1236 fiel Córdoba, 1248 Sevilla, an König Ferdinand III. von Kastilien und León. Sevilla war die längste Zeit unser Standquartier. Das nach dem Eroberer benannte Hotel schmückt sich mit einem Stern zuviel, was solls, für ausgedehnte Stadtrundgänge liegt es ideal.

Das frühere Judenviertel, heute Stadtteil Santa Cruz, hat viele malerische Gässchen und Plätzchen, oft von Orangenbäumen gesäumt. In einer Viertelstunde erreichten wir den Alcazár, den großen Palast.
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Den Mudejar-Stil lernten wir von seiner eindruckvollsten Seite kennen. Mudejar entstand eigentlich erst nach dem Ende der Maurenherrschaft, indem die bewährten Bautechniken und Schmuckelemente aus Arabesken (Gipsreliefs, auch für Schriftzeichen) und Azurlejos (Kacheln) an den Wänden und Stalaktiten an den Decken, von den Kunsthandwerkern weiter gepflegt wurden.

Auch die zweitgrößte Kathedrale der Christenheit (die größte war damals die Hagia Sophia in Konstantinopel und heute ist es der Petersdom in Rom) konnten wir bewundern. Einen guten Überblick von Sevilla genießt man vom früheren Minarett, der Giralda, die sich über nur 1 + 17 Stufen, aber 35 Rampen, bequem begehen lässt.

In der Kathedrale steht seit 110 Jahren das Grab von Christoph Kolumbus, wie wir ihn nennen. Woher stammte dieser berühmteste aller Entdecker? Aus dem italienischen Genua, wie er dem Königspaar Isabella I. von Kastilien und Ferdinand V. von Aragonien weis machte? Oder war er ein portugiesischer Jude, wie ein Amerikaner jüngst in der Zeitung "Die Welt" schrieb? Vieles spricht für Letzteres, ihn, Salvador Fernandez Sarco, 1248 als Sohn einer Jüdin aus dem Templerstadt Tomar und als Enkel des Entdeckers von Madeiras Nebeninsel Porto Santo, Joao Gonzales Sarco, anzunehmen. 1492 sticht dieser Mann mit drei alten Segelschiffen von Palos de la Frontera in See. Dort liegen seit einigen Jahren drei Nachbauten in einem Wasserbecken zur Besichtigung für die Touristen. Als alter Matrose von einem geräumigen Tender fällt mir nur der Vergleich zu den engen Schnellbooten von heute ein; ein Vergnügen war die Seefahrt damals wahrlich nicht.
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1492 war auch das Jahr, als der "letzte Dorn im Fleische Spaniens", Granada, erobert wurde. Die vor genannten katholischen Könige, mit deren Heirat 1469 Spanien ein Nationalstaat wurde, nahmen dieses kleine maurische Königreich ein und vereinbarten einen milden Frieden. Boadilla, der letzte Emir, zog mit seiner Familie aus der Stadt in die schneebeckte Sierra Nevada und wurde nie wieder gesehen. Niemals dürfen Sie bei einem Besuch in Andalusien den Besuch der Alhambra, der "roten Burg", versäumen, vor allem die Nazaries-Paläste mit kühlen Sälen, säulenumstandenen Innenhöfen mit viel fließendem Wasser und gepflegten Gärten.

Spanien wurde Kolonial- und Weltmacht. Die Hauptstadt Madrid, so groß wie Berlin, beweist es. Einer Weltmacht würdig ist das mit mehr als fünf Dutzend Sälen riesige Gemäldemuseum Prado. Kalt und düster dagegen wirkt der Escoreal, der monolithische Klosterpalast am Höhenzug der Sierra Guadarrama.

Eines sollten Sie sich nicht zu Herzen nehmen: ein spanisches Lebensmotto: "Besser als etwas Falsches zu tun ist es, nichts zu tun."

Text und Fotos: Manfred Maronde, Sangerhausen

1 Fischer-Weltalmanach, Seite 748
2 "Die Alhambra - aus der Nähe betrachtet", Verlag Edilux, Granada, Seite 36.
3 Microsoft Encarta Enzyklopädie 2001
4 "Toledo - Monumente und Landschaften", Edara Ediciones, Cordoba, Seite 1.

(Veröffentlicht in "Wir über uns", Zeitung von und für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kreissparkasse Sangerhausen, Ausgabe 29, April/Mai 2001)
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