3 Dörfer und Güter
3.1 Gestüt Redefin
Die Zucht von edlen Pferden hat im Agrarland Mecklenburg eine lange Tradition. Gegründet wurde das Gestüt zur Ausstattung des Marstalls von Herzog Friedrich Wilhelm von Mecklenburg-Schwerin; erste schriftliche Quellen stammen von 1710. In der "Franzosenzeit" wurde der legendäre Hengst Herodot nach Frankreich verschleppt und wurde Napoleons Leibpferd. Die Gebäude hatten in und nach den Kriegswirren schwer gelitten.
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Der Oberlandbaumeister Carl Heinrich Wünsch verwirklichte ab 1820 die Gestütsbauten im Auftrag von Herzog Friedrich Franz I. Er konzipierte in streng symmetrischer Anordnung ein Dutzend Gebäude um eine längsrechteckige Parkfläche. Die Mittelachse wird vom Reithallen-Portal abgeschlossen, das einem griechischen Tempel nachempfunden ist. Pferdeszenen auf den Relieffeldern und die den Giebel krönende Pferdestatue verweisen auf die Nutzung der Anlage. 30  Heute bildet das Gestüt Redefin die größte klassizistische Gesamtanlage in Deutschland.
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Nach der Vereinigung von Mecklenburg-Schwerin mit Mecklenburg-Strelitz 1934 wurden Hengste, Personal und Inventar aus Neustrelitz übernommen. Seit 1935 finden die berühmten Redefiner Hengstparaden statt. Die Nationalsozialisten verdoppelten den Hengstbestand. Im Zweiten Weltkrieg lag Redefin in der Einflugschneise der britischen Bomber nach Berlin. Die klassizistischen Gebäude wurden zur Tarnung mit einer grauen Heringslake angestrichen, was ihnen über Jahrzehnte schadete. Statt der Zuführung von Remonten zur Wehrmacht galt es in der Nachkriegszeit, den Bedarf an Arbeitspferden für die Landwirtschaft zu decken. Redefin wurde nun auch für Vorpommern zuständig, das vorher vom hinterpommerschen Landgestüt Labes versorgt wurde. 31 In der DDR gab es drei Gestüte: im Süden Moritzburg in Sachsen, in der Mitte Neustadt/Dosse in Brandenburg und im Norden Redefin.
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Uns führte Herr Appelhagen, der 1950 hier angefangen hatte, also seit 57 Jahren hier im Betrieb, wenn er inzwischen auch Rentner ist. Wir begannen auf der linken Seite der Anlage bei dem Gebäude, das nüchtern als "Gestütsverwaltung" im Plan eingezeichnet ist. Die Beschäftigten nennen es traditionell das "Große Haus", wenn es auch wie auf anderen Gestüten offiziell als "Landstallmeisterhaus" bezeichnet wird. Klassizistisch verputzt ist nur die Schauseite, die Giebel und die Rückseite sind mecklenburgisch sparsam aus einfachem Backsteinfachwerk. Das nächste, das "Inspektorhaus" mit Loggia, hatte einst eine einzige Schreibstube, die völlig ausreichte.

Davor liegt ein kleiner Teich. Dieser ist die Pferdeschwemme. Darin konnten die vom Reiten erhitzten Pferde ihre Sehnen kühlen. Herr Appelhagen verweist auf den süddeutschen Pfarrer und Naturheilkundigen Sebastian Kneipp. Dieser entwickelte vielfältige (allerdings nur zum Teil neue) Anwendungen kalten und warmen Wassers und gab darüber hinaus Anregungen zu naturgemäßer, gesunder Lebensweise, die er neben der Abhärtung als Hauptbedingung von Gesunderhaltung und Heilung ansah, über die er Ende des 19. Jahrhunderts seine weit verbreiteten Schriften verfasste. 32 Das Vorbild der Pferde für den Menschen erscheint durchaus plausibel, wobei Pferde ängstliche Fluchttiere seien, die erst ans Wasser gewöhnt werden müssten.

Am Haus Falkenhain wird an einen Hengst dieses Namens erinnert. Die Stute Bianca wurde einst mit der letzten gesamtdeutschen Mannschaft 1960 zur Olympiade nach Rom gesandt. Herr Appelhagen führte uns durch den gesamten Stall I und erklärte uns jedes Pferd. Sogar das Streicheln erlaubte er uns. 70 Deckhengste leben heute auf dem Gestüt. Die Deckgebühr liegt zwischen 250 und 800 Euro, wobei der Versuch zählt, nicht, ob die Stute auch tragend wird.

Das Postkartenmotiv des Gestüts ist hinter dem alten Paradeplatz das Portal zur Reithalle, das 1999 auch mit Mitteln der Deutschen Stiftung Denkmalschutz restauriert wurde. Dahinter stand einst die alte Reithalle, die 1986 wegen angeblicher Baufälligkeit abgebrochen wurde. Die neue Halle von 1997 nimmt ein Mehrfaches der alten Fläche von 16 x 32 Metern ein, sie bedeckt 20 x 60 Meter, wobei die Norm bei 20 x 40 Metern liegt. 1999 fand hier das erste Konzert der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern statt, die Justus Frantz nach seinem Vorbild von Schleswig-Holstein hierher brachte. Das Zusammenspiel von sanfter Mecklenburger Landschaft, prachtvollen Hengsten, die sich an diesen Tagen bei Vorführungen in ihrer vollendeten Grazie präsentieren, dem Picknick auf dem Rasen mitten in der Gestütsanlage und dem anschließenden Konzert in der Reithalle, entfaltet den Charme britischer Noblesse. 33

In das Objekt wurden rund 20 Mio. Euro investiert. Der 1993 vom Land Mecklenburg-Vorpommern übernommene Betrieb kommt nicht ohne einen Zuschuss von 1,2 Mio. Euro im Jahr aus. Hier arbeiten 36 Angestellte und 13 Auszubildende. Das Dorf Redefin im ehemaligen Kreis Hagenow und späteren Landkreis Ludwigslust hat rund 560 Einwohner.

3.2 Vietlübbe
Dieses Dorf wenige Kilometer östlich von Gadebusch wurde 1230 erstmals im Zehntregister des Bistums Ratzeburg genannt. Seine spätromanische Dorfkirche wurde wohl um 1220/30 über noch älteren Fundamenten begonnen. Die Untersuchung des Holzes über dem Chor ergab als Fälljahr 1238, damit gilt Vietlübbe als zweitälteste Kirche in Mecklenburg nach Lübow nahe dem Dorf Mecklenburg südlich von Wismar. Bitte verwechseln sie dieses Vietlübbe nicht mit dem gleichnamigen Ort im ehemaligen Kreis Lübz mit der Stadt des bekannten Bieres. 34

Der Grundriss der Dorfkirche ist für Mecklenburg einzigartig. So beschrieb es Georg Dehio: "Fünf Quadrate bilden ein griechisches Kreuz; an das östliche Quadrat ist eine niedrige Apsis angeschlossen. Eine Fortsetzung nach Westen war geplant, die Kirche also ursprünglich einschiffig in lateinischer Kreuzform gedacht." 35
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Auch andere Kunstführer loben die qualitätsvolle Arbeit am Kirchbau. Stilistische Übereinstimmungen mit der Südvorhalle vom Ratzeburger Dom finden sich in den ausgewogenen Proportionen des Innenraums sowie den sorgfältig gemauerten Backsteinfriesen aus gekreuzten Rundbögen, Spitzbögen, Rauten und Zahnschnitten. Die Schmuckelemente an Chor und Langhaus sprechen jedoch eine unterschiedliche zeitliche Sprache:

Am ältesten Teil, dem Chor die Rundbogenfriese, am Langhaus Rautenfriese und am Westgiebel ein schlichtes Zahnstangenband. 36

Frau Büttner erzählte uns kurz die Geschichte der Backsteinbaukunst vom antiken Rom über Norditalien mit den Domen von Modena und Fidenza bis Santiago de Compostella. Die sich überkreuzenden Bögen an der Außenseite der Apsis fand ich auch an Normannendomen auf Sizilien. Der auf das Westjoch aufgesetzte hölzerne Turm mit Bretterverkleidung und seinem mit gerissenen Eichenschindeln gedeckten Helm hat Balken von 1514, dürfte aber der Form nach eher im 17. Jh. entstanden sein.

Die Herstellung der Backsteine erklärte Frau Büttner uns in der Kirche. Die Malerei in der Apsis stammt vom Ende des 13. Jhs. Der Kalkstein für das Taufbecken, jetzt im Südquerhaus aufgestellt, stammt wie der vieler aus dieser Zeit von der Insel Gotland und wurde als Ballast in Hansekoggen mitgebracht. Die Kreuzigungsgruppe datiert von 1510 (rechts).
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Weitere Ausstattungsteile erläuterte uns die Küsterin Frau Richter. Sie wies auf den Buchbeutel beim Johannes, von denen es nur acht im Mecklenburg gibt. Im Nordquerhaus hängen die Kriegstoten-Gedenktafeln.

1865 wurde die Kirche im Stil der Neogotik völlig neu ausgestattet. Das Gestühl und die Orgel wurden erhalten. Von allen anderen, zum Teil lieb gewonnenen, Gegenständen und neoromantischen Bilderwelten trennte sich der Kirchenvorstand nach intensivem Nachdenken. Gemäß dem Konzept von 1990 wurden sie entfernt, um die zweite mittelalterliche Fassung von um 1300 wieder herzustellen, die wir heute sehen. Im Chor erahnt man jetzt wieder Christus als Weltenrichter in der Mandorla, mit den zwölf Aposteln an seiner Seite und den Symbolen der vier Evangelisten. Die klaren Formen und die Sachlichkeit des Raumes möchten uns zum Glauben und Vertrauen an den einen Gott einladen, zu dessen Ehre diese Kirche vor vielen Jahrhunderten gebaut wurde. 37

Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz nahm sich des statisch gefährdeten Bauwerkes an und gab 1992 und 1993 mehr als 200.000 D-Mark. Zu Gunsten der Dorfkirche von Vietlübbe wurde 1994 die erste aller treuhänderischen Stiftungen unter dem Dach der Deutschen Stiftung Denkmalschutz errichtet, wie Frau Büttner anmerkte.

3.3 Frauenmark
Das Kirchspiel Frauenmark, zwischen Crivitz und Parchim, wurde bereits 1229 erwähnt. Hermann von Dargun begründete durch seine Stiftung den Bau der Kirche und des Dorfes. Bischof Hermann von Schwerin bestätigte 1264 dem Zisterzienserinnenkloster in Rühn das Patronat der Frauenmarker Kirche. So kann der deutsche Name "Frauen" von den Nonnen und "Mark" von der Grenzlage abgeleitet werden. Andere Schreibweisen waren Wruemarch, Frouuenmarckt, Vruwenmarket und Fruunmark.
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Die Kirche ist ein Feldsteinbau des 13. Jh. und ein Beispiel einer in Mecklenburg selten vollständig erhaltenen spätromanischen Anlage. Sie besteht aus eingezogenem Chor mit angefügter halbrunder Apsis, kurzem Kirchenschiff und einem niedrigen Westturm mit einem längsgerichteten Satteldach und abgetrepptem spitzbogigen Westportal. Dieses dient heute als Eingang, während die ursprünglichen Türen an Nord- und Südwand des Chores zugemauert wurden. Apsis und Chor haben Rundbogenfenster. In der Mitte der Apsis befindet sich ein Radfenster. Die Kirchenmauern dürften ursprünglich außen verschlämmt und bemalt gewesen sein wie noch in Bülow sichtbar, meinte Frau Büttner.

Bei der Instandsetzung 1872 wurden die Dreiergruppen bildenden Fenster des Kirchenschiffes restauriert und an der Nordseite des Chors eine Sakristei angebaut.

Das Kirchenschiff wird innen von einer Balkendecke überspannt. Chor und Apsis sind altromanisch mit Kuppelwölbungen ohne Rippen geschlossen. Aus dem 13. Jh. wieder frei gelegt wurde in der Kuppel der Apsis ein Gemmenkreuz, links eine Mutter mit Kind, Maria und Jesus sowie rechts ein Knochenmann. Der moderne Altar mit einem scheinbar vor dem umrissförmigen Kreuz schwebenden Gekreuzigten wurde 1972 aufgestellt.

Der große gotische Schnitzaltar von 1530 wurde an die Südwand des Kirchenschiffes versetzt. Sein Mittelteil füllt die Mutter Gottes mit Kind in der Strahlenglorie, von Engeln umgeben. Ihr Wolkenrand ist mit fünfblättrigen Rosen verziert, in denen die Hände und Füße des Heilands mit den Nägeln und das vom Schwert durchbohrte Herz der Maria angebracht sind.
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An der Seite der Maria (links) stehen die kleineren Figuren der Anna-Selbdritt-Gruppe, der Hl. Georg (rechts), ein Bischof und der Hl. Johannes der Evangelist. 38

Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz förderte das Dach über dem Chor, wie Frau Büttner erwähnte. Die Maßnahme gehörte zu einem Notsicherungsprogramm, das die Stiftung mit der Mecklenburgischen Landeskirche und der Pommerschen Landeskirche aufgelegt hatte.
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3.4 Kuppentin
Die Gemeinde liegt im Dreieck zwischen Goldberg, Lübz und Plau am See. Vor der Besiedlung des Landes Plau durch Fürst Burwy und dessen Sohn Heinrich lebten hier schon Slawen. Aus ihrem zwischen Urwäldern, Gewässern und Sümpfen gelegenen "Ort des Kobolds" wurde Kuppentin.

Die Kirche gehört zu den ältesten in Mecklenburg und wurde 1235 erstmals urkundlich erwähnt. Der damalige Bischof Brunward von Schwerin bestätigte das 14 Dörfer umfassende Kirchspiel. Vom 12. bis ins frühe 15. Jh. war Kuppentin eine reiche Pfarre.

Das Langhaus von 1235 aus Feldsteinen hat über einen Meter dicke Mauern. Die kleinen schmalen Schlitzfenster sind mit Backsteinen gerahmt und mit Rundbogenfries gestaltet. Auf der Nordseite haben die Fenster einen Rücksprung und leicht gespitzte Bögen, was den Übergang von der Romanik zur Gotik erkennen lässt.
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Der in Mecklenburg ungewöhnliche hohe gotische Chor des frühen 15. Jh. aus Backstein auf einem Feldsteinsockel sollte in einem Neubau des Langhauses aus Feldsteinen fortgesetzt werden; doch hierzu kam es durch wirtschaftlichen Rückgang in Folge von Unruhen und der Reformation nicht mehr. Der Chor wurde in Fünf-Achtel-Bauweise geschlossen. Die Schubkräfte von flachem Kreuzrippengewölbe und Dachstuhl mussten innen mit drei hölzernen Zugankern und schließlich außen mit Strebepfeilern aufgefangen werden.

Ein Strebepfeiler wurde sogar aus der Not heraus in ein Fenster gestellt. Frau Büttner sieht solche Strebepfeiler eher kritisch, weil sie oft nicht tief fundamentiert sind und eher wie Rucksäcke an der Kirchenwand hängen. Der Holzturm stammt aus dem 18. Jh. Sein Helm wurde mit Schindeln aus kanadischen Rotzedern gedeckt.

Der barocke Altaraufsatz stammt von 1696, seine Schnitzfiguren sind noch älter. In der Predella ist das Abendmahl, im Hauptstock die Kreuzigung und im Oberstock die Himmelfahrt dargestellt. Die Schnitzfiguren, auf beiden Seiten des Hauptstockes, stellen Maria und Johannes und außen wahrscheinlich die vier Evangelisten dar.

Die geschnitzte Kanzel im Renaissance-Stil entstand 1680. Zwischen vorgestellten Säulen sind die vier Evangelisten in Bogenstellung angebracht. Dem Stil entsprechend wurde reichlich Beschlagwerk angebracht. Ob die Kanzel je farbig gefasst war, ist strittig. Herr Pastor i. R. Siegfried Schulz sagte, er kenne solche Kanzeln nur ohne Farbe, Frau Büttner aber widersprach ihm.
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Gegenüber der Kanzel, an der Nordseite des Triumphbogens, hängt der geschnitzte Christus als Schmerzensmann mit Dornenkrone, Geißel und Rohr. Die Figur dürfte aus dem 15. Jh. sein, ihr Sockel trägt die Jahreszahl 1715. 39 Die Figur wird auch als Christus im Elend oder Christus auf der Rast gedeutet. Herr Schulz meinte, der Schmerzensmann solle den Pfarrer auf seiner Kanzel dazu mahnen, sich in seiner Predigt auf ihn zu beziehen.

Zum Ende der DDR-Zeit wurde die Kirche baupolizeilich gesperrt. Deckenbalken waren deformiert, das Mauerwerk an der Nordseite buchtete sich aus, Regen drang ein. Der Spitzgiebel des Chores neigte sich stark nach Westen. Die Kirche war unbenutzbar.
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Auf Initiative von Jürgen Damm vom Volkseigenen Gut Saatzucht Daschow wurde ein Förderverein ins Leben gerufen. Vier Jahre später, 1999, konnte die Kirche wieder eingeweiht werden. Das Land, vier Stiftungen und 261 Einzelspender hatten die Kirche gerettet. 40

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