4.6 Volterra
Wir fanden Volterra in Ruhe und begannen mit einem entspannten Mittagessen in einer kleinen Trattoria. Die Burg ruht - und das ist gut so, denn in der früheren Festung der Medici ist heute ein Staatsgefängnis untergebracht. Auf der Höhe liegt ein archäologischer Park und auf der anderen Seite der Kleinstadt unten am Steilhang der Rest des Amphitheaters (rechts unten).
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Hauptattraktion der Stadt ist das archäologische Museum "Museo Guerazzi" mit einer einmaligen Sammlung etruskischer Grabdenkmäler und Votivstatuetten (links: Liegefiguren eines älteren Ehepaares).

Die Steinsarkophage für Asche im Erdgeschoss sind bis über 500 durchnummeriert. Auf ihnen sind diverse Liegefiguren und Pferdereliefs eingehauen. In den beiden Obergeschossen befinden sich Krater, Krüge und mehr aus Alabaster (wurde in Volterra bearbeitet, Blick durchs Fenster einer Werkstatt unten rechts) und ähnlichem Material sowie eine umfangreiche Münzsammlung, die wir ausführlich studieren konnten.

Schroffe Erosionsformen bestimmen den Charakter der Landschaft und bedrohen die Steinwände besonders im Norden der Stadt in 550 Meter Höhe.
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Die gut erhaltenen Befestigungsmauern können durch zwei Stadttore durchschritten werden, eines ist die etruskische Porta dell'Arco. Der Palazzo dei Priori (mit dem Rathaus, Wappen links), der Palazzo Pretorio und der Dom stammen aus dem 13. Jh.; an der Domfassade wirkte Niccolò Pisano mit.

Volterra, das etruskische Velathari, entstand bereits im 4. Jh. v. Chr. aus mehreren kleinen Ansiedlungen aus dem 7. Jh. v. Chr., die mit einer sieben Kilometer langen Ringmauer verbunden wurden. Der Ort gehörte zum etruskischen Zwölf-Städte-Bund.

Als Volaterrae wurde es römisches Municipium. Im 5. Jh. bekam es einen Bischofssitz, in fränkischer Zeit einen Grafen. Im 12. Jh. erlangte es kommunale Freiheit, 1361 fiel es unter die Herrschaft von Florenz.

Die Kleinstadt in der Provinz Pisa, von dort wie vom Meer je 50 Kilometer entfernt, zählt (je nach Quellenangabe) zwischen 11.300 und 15.000 Einwohner.

4.7 San Gimignano
Das Städtchen in 330 Metern Höhe beeindruckte uns schon aus der Ferne. Die 13 Geschlechtertürme sind der Rest von einstmals 72, welche die Silhouette prägen. Das mittelalterliche Stadtbild mit Kirchen, Palästen und Stadtmauer ist noch weitgehend erhalten und wurde von der UNESCO 1990 zum Weltkulturerbe erhoben.
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Damit ist die Kleinstadt mit gut 7.000 Einwohnern ein bedeutendes Fremdenverkehrsziel geworden. Die Zahl der Touristen erreicht im Jahr das Tausendfache! Für uns reichte die Abendstunde nur zu einem eiligen Stadtrundmarsch. Höhepunkt war für uns die Kirche Sant' Agostino mit ihren Chor-Fresken der Lebensgeschichte des Hl. Augustinus von Gozzoli.
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Der Ort wurde 929 erstmalig erwähnt und war von 1199 bis 1353 eine freie Kommune. Dann geriet es in den Machtbereich von Florenz. 24
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4.8 Siena
Aus der Vergangenheit erzählt die alte Universität, die bereits um 1240 als eine der zehn ältesten der Welt eingerichtet wurde. Hier in Siena wurde die erste juristische Fakultät gegründet, wie Prof. Matthée berichtete. Er erklärte für uns auch die Herkunft der Begriffe Akademie und Lyzeum und holte dabei weit aus in das klassische griechische Altertum. Die Dialektik wurde uns ebenso nahe gebracht wie in Ansätzen: "die Macht der Ohnmächtigen", "der Reichtum der Armen", "die Kraft der Schwachen" u. ä. Die Lehre fand damals in einem Bau mit Umgang, später im Kreuzgang statt.
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Ein Studium setzte im Mittelalter kein Abitur voraus. Es begann mit der Artisten-Fakultät, den "Artes liberalis". Nach dem Studium von Grammatik, Rhetorik, Dialektik und Mathematik konnte man den Grad des Baccalaureus erwerben. Auf drei oder vier Wegen wurden Astronomie und Musik, Geometrie und Arithmetik vermittelt. Als eigentliche Studienfächer konnten sieben gewählt werden. Nach dem Studium der Logik, Physik, Metaphysik, Ethik, Politik, Astronomie und Geometrie konnte der Magistergrad erreicht werden. Den Doktorgrad verliehen nur die höheren Fakultäten. 25 Die britischen und amerikanischen Colleges folgen diesem Ideal.

Siena gilt als eine der schönsten Städte Italiens. Schon seit jeher rivalisiert sie mit Florenz, in wirtschaftlicher, politischer und künstlerischer Hinsicht. Während Florenz als Paradebeispiel einer Renaissancestadt vor allem durch die schiere Masse seiner Bauwerke beeindruckt, hat Siena den mittelalterlichen Charakter der speziell italienischen Gotik erhalten. 26
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Wir strebten durch die engen Gassen dem weltlichen Zentrum der Stadt entgegen, das sich plötzlich weit und in einem Halbrund wie eine Muschel ausbreitet: die Piazza del Campo.

Prof. Matthée zählt diesen Platz zu den schönsten der Welt (Foto oben). Der mit Ziegelsteinen gepflasterte, mit Travertin-Bändern in neun Sektoren eingeteilte Platz neigt sich vom Halbkreis zur geraden Linie vor dem Rathaus hinunter. Der schlanke Turm, der Torre del Mangia von 1338 - 48, wirkt mit seinen 102 m Höhe zugleich wie der Zeiger einer Sonnenuhr, indem er seinen Schatten auf den Platz wirft (Foto rechts). Die Piazza wurde bereits im 13./14. Jh. angelegt und wurde vor einem halben Jh. zur ersten Fußgängerzone Italiens. Bekannt ist der Platz auch durch das Palio, ein Pferderennen. An die Nordwestecke stößt der Palazzo Piccolomini von 1469, dessen mit Wappen geschmückte Fassade wir betrachteten.

Nach dem Mittagessen in einem guten Ristorante trafen wir uns im Rathaus, dem Palazzo Pubblico. Wir gingen hinauf in den 2. Stock in die Sala di Risorgimento. Die Historienmalerein schildern die nationale Einigung Italiens auch auf dem Schlachtfeld von Solferino. Matthée verglich den Kanzler Cavour mit Bismarck: Für beide galt: so wenig parlamentarische Demokratie wie nötig, so viel konservative Monarchie wie möglich.
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In der Sala del Mappamondo gibt es jetzt keine Weltkarte mehr. Wir sahen die Himmelskönigin mit dem Jesuskind. Die "Maestà", die thronende Madonna, wird in Siena sehr verehrt, seit ihr vor der siegreichen Schlacht von Montaperti 1260 die Stadtschlüssel geweiht wurden. Es folgt die Palastkapelle, ebenso überreich ausgemalt.

Eine längere Zeit verbrachten wir in der Sala de la Pace, dem Friedenssaal. Hier beeindrucken zwei riesige Wandfresken: Das gute und das schlechte Regiment, beide von 1340 von Ambrogio Lorenzetti. Im "Buongoverno" (Foto oben) werden Tugenden wie Gerechtigkeit, Großmut, Friedensliebe und Eintracht sowie Alltagsszenen mit der Stadtvedute von Siena vorgeführt. Im "Malgoverno" (unten) dagegen drohen die Auswirkungen von Tyrannei, Hochmut, Geiz, Betrug, Verrat,
Grausamkeit und Misswirtschaft.
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An der höchsten Stelle der Stadt steht die Kathedrale Santa Maria Assunta, einer der eindrucksvollsten Kirchenbauten Italiens. Wohl um die Mitte des 12. Jh. wurde mit dem Neubau begonnen, doch erst 1264 war das Gewölbe fertig gestellt. 1284 begannen die Arbeiten an der Westfassade, die von Giovanni Pisano entworfen sein soll und 1297 fertig gestellt wurde 27 (für uns nicht sichtbar, da zugehängt). 1316 wurde der Chor verlängert.

Der Dom steht nicht in Ost-West-Richtung, sondern etwa quer dazu. Wie kommt das? 1339 beschloss die Bürgerschaft, den Dom zu erweitern. Er sollte, fünf Schiffe breit, zum größten Bauwerk Italiens werden. Der alte, dreischiffige Dom wäre Querhaus geworden, eine neue hohe nördliche Seitenwand und der gerade Chorabschluss umgeben die "Piazza Jacopo della Querica" unvollendet. Aus Geldmangel, wegen bautechnischer Mängel und der Pest von 1348 gab man die Pläne auf. Im bestehenden Dom beeindruckt vor allem der Marmorfußboden mit seinen 56 Bildwerken mit Bibelthemen und Sagen und Legenden, entstanden ab 1369. Eines der bedeutendsten Kunstwerk im Dom ist die Kanzel von Nicola Pisano von 1266 - 68.

Vom Dom aus, zur linken Seite, gingen wir in die Bibliothek, die Libreria Piccolomini. Der Innenraum ist einer der schönsten und besterhaltenen seiner Zeit (Foto rechts). Auftraggeber war Kardinal Francesco Piccolomini, der als Papst Pius III. hieß. Die herrlichen Fresken an den Wänden wurden 1502 - 09 von Pinturicchio aus Perugia gemalt. Erzählt wird die Geschichte von Enea Silvio Piccolomini, der sich als Papst Pius II. nannte, und seinen Begegnungen mit Kaiser Friedrich III. bis zur Heiligsprechung der Katharina von Siena. 28

Siena wurde in augusteischer Zeit als römische Kolonie Saena Iulia (Sena Julia) an Stelle einer etruskischen Siedlung gegründet. Im 12. Jh. gewann die Stadt große politische und wirtschaftliche Bedeutung. In der Nähe gelegene Silberminen brachten das Geldgeschäft zum Blühen. Sieneser Bankhäuser gehörten zu den ältesten (Monte dei Paschi di Siena, seit 1472/1624) und zahlungskräftigsten Europas.

Ab Mitte des 12. Jh. kam die unabhängige ghibellinische Stadt in Konflikt mit dem guelfischen Florenz. Die Rivalitäten endeten 1235 zunächst mit einem harten Frieden für Siena. Zugleich wurde die Regierung reformiert, sie lag fortan in einem Gremium von 12 Adligen und 12 Bürgern. Siena siegte zwar 1260 bei Montaperti über Florenz, musste sich aber 1269 erneut unterordnen und die Stadt den Kaufleuten überlassen. Diese riefen den Neunerrat in Leben, der von 1287 bis 1355 eine friedvolle Periode bescherte.
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Siena wurde jedoch durch Kriege und Parteikämpfe geschwächt und durch die Pest entvölkert. 1389 schlossen die Sienesen ein Bündnis mit Gian Galeazzo Visconti, das sie für einige Jahre von Mailand abhängig machte. 1487 ergriff Pandolfo Petrucci, genannt "Il Magnifico", der Prächtige, die Macht und regierte despotisch. Anders als den in Florenz herrschenden Medici gelang es ihm nicht, eine Dynastie zu gründen. Nach seinem Tod stellte sich die Stadt unter den Schutz Kaiser Karls V. In den Machtkämpfen des 16. Jh. stand Siena zuerst auf habsburgischer Seite, verlor aber gegen den mit Cosimo I. de' Medici verbündeten Karl V. 1555 die Unabhängigkeit und wurde Teil des Herzogtums Toskana. 29

Das historische Zentrum von Siena wurde als Weltkulturerbe von der UNESCO eingetragen. Siena hat heute zwischen 54.000 und 59.000 Einwohner. Der Vater der Sängerin Gianna Nannini betreibt hier übrigens eine Reihe von Cafés.

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