Kunststädte Mittel-Italiens
Mit Prof. Dr. Dr. Ulrich Matthée, Kiel
Vom 24. März bis 4. April 2006

1 Die Landschaft
1.1 Toskana
Die Toskana, auf Italienisch Toscana, ist eine Region in Mittelitalien mit einer Fläche von knapp 23.000 km² und etwa 3,5 bis 3,6 Mio. Einwohnern. Sie wird gebildet von den Küstenprovinzen Grosseto, Livorno, Lucca, und Pisa und den Binnenprovinzen Arezzo, Florenz (zugleich Regionshauptstadt), Massa-Carrara, Pistoia, Prato und Siena.
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Historisch und kunstgeschichtlich bedeutende Städte, meist etruskischen Ursprungs, krönen die Hügel und Bergkuppen oder liegen in den fruchtbaren Becken (Foto oben: Landschaft nahe dem Kloster Sant' Antimo).

Die Landschaft wird im Norden und Osten vom Apennin und im Westen vom Ligurischen Meer eingerahmt. Der 241 km lange Arno, im Altertum Arnus genannt, mit seiner Quelle nahe der des Tibers, entwässert etwa ein Drittel der Toskana. Er durchfließt die fruchtbaren Tallandschaften von Casentino, Arezzo und Valdarno im großen Bogen, dann das Becken von Florenz und Empoli und mündet unterhalb von Pisa in das Ligurische Meer. Die Wassermenge schwankt von 2,2 m³ pro Sekunde bis zum Tausendfachen bei Hochwasser.

1.2 Umbrien
Die Region, auf Italienisch Umbria, grenzt südöstlich an die Toskana und hat als einzige Region weder eine Küste noch eine Grenze zum Ausland. Sie umfasst ein Gebiet von 8.456 km² mit zwischen 815.000 und 866.000 Einwohnern. Sie ist gegliedert in die Provinzen Perugia und Terni und geprägt von der Landwirtschaft (Oliven, Wein, Weizen, Vieh) einerseits und alten Städten andererseits. Die Umbrer waren ein Stamm der Italiker und wanderten etwa um 1200 v. Chr. ein; sie kamen bald danach unter etruskischen Einfluss. Umbrien blieb politisch zerrissen und arm, es gehörte vier Jahrhunderte zum Kirchenstaat. (Foto: Berglandschaft um Assisi)
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Zu Umbrien gehören die vom Hauptkamm abzweigenden Höhenzüge des mittleren Apennin mit den Becken dazwischen. Entwässert wird das Gebiet vom oberen und mittleren Tiber. Westlich liegt der Trasimenische See. Der Lago Trasimeno, auch Lago di Perugia, ist mit 128 km² (Vergleich: Müritz 115 km²), 16 km Länge und 13 km Breite sowie einer Uferlinie von 54 km der viertgrößte See Italiens und der größte auf der Apennin-Halbinsel. Sein Spiegel liegt 259 m über dem Meer; er ist aber nur 7 m flach. Immer wieder wurde überlegt, den See wegen der Malaria-Gefahr trocken zu legen und Ackerland zu gewinnen.

1.3 Latium
Diese mittelitalienische Region umfasst auf 17.207 km² die Provinzen Frosinone, Latina, Rieti, Viterbo und die Landeshauptstadt Rom. Hier wohnen etwa 5,2 Mio. Menschen, davon allein die Hälfte in der Kapitale. Die Region erstreckt sich südlich von Toskana und Umbrien vom Tyrrhennischen Meer bis hinauf zu den Abruzzen. Im Osten liegen in Vulkankratern die Seen Lago di Bolsena, Lago di Vico und Lago di Bracciano. Größter Fluss ist der Tiber, italienisch Tevere und lateinisch Tiberis, mit 405 km Länge drittlängster Fluss Italiens.

Der Name Latium, auf italienisch Lazio, galt ursprünglich nur für das Wohngebiet der Latiner, das in den Albaner Bergen seinen Mittelpunkt hatte. Kaiser Augustus schloss die Campania an Latium an. Mit der Pippinschen Schenkung kam das Gebiet 754 an den Kirchenstaat.

2 Die Geschichte
2.1 Die Etrusker
Die Etrusker, lateinisch Etrusci, Tusci, etruskisch Rasna, waren ein antikes Volk mit einer Blütezeit vom 7. bis 4. Jh. v. Chr. Ob dieses Volk aus dem Balkan, dem Donauraum oder gar Kleinasien eingewandert ist, bleibt strittig, wenn auch sprachliche und kulturelle Einflüsse aus dem Osten unverkennbar sind. Bereits im 8. und 7. Jh. v. Chr. sind Handelskontakte mit griechischen Kolonien sowie phönizischen und ägyptischen Kaufleuten belegt. Ab dem 7. Jh. bildeten sich Stadtstaaten heraus, die sich zum Zwölf-Städte-Bund zusammen schlossen.
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Die Formen, Stilmittel und Motive der Etrusker wurden u.a. in Form von Vasen (links, Museum in Volterra) aus Griechenland importiert. Auch das westgriechische Alphabet wurde übernommen; doch ist die etruskische Sprache bis heute nicht übersetzbar. Die Religion war vom Jenseitsglauben geprägt und der Deutung von göttlichen Vorzeichen. Frauen hatten ein hohes Sozialprestige.

510 wurde der etruskische König aus Rom vertrieben, bald danach die Etrusker von den Latinern und Griechen zu Land und zu Wasser geschlagen. Um 400 drangen Kelten von Norden ein. Etwa zeitgleich begann der Aufstieg der römischen Republik, welche die Etrusker von Süden bedrohte. Die Eroberung durch die Römer war um 265 abgeschlossen; die Etrusker erhielten aber erst 89 v. Chr. das römische Bürgerrecht. 1

2.2 Die Römer und Hannibal
Die Schlacht am Trasimener See am 21. Juni 217 v. Chr. ging in die Geschichte ein: Hannibal schlug hier bei Sanguineto im Zweiten Punischen Krieg die gegnerische römische Armee (etwa 25.000 Mann) unter Gaius Flaminius vernichtend, wobei rund 15.000 Mann umkamen. Damit war für Hannibal der Weg nach Süditalien frei. 2

Wir besichtigten das Schlachtfeld um den Ort Touro mit Prof. Matthée am Morgen. Matthée schilderte uns den Ablauf: Es sei Nebel gewesen, als der Feldherr Flaminius seine Truppe am schmalen Uferstreifen zwischen See und Berghang durch sumpfiges Gelände führen wollte. Hannibal sei nicht einmal eine Tagesreise entfernt gewesen. Er habe vorgetäuscht, gegen Rom zu marschieren. Trotz warnender Vorzeichen brach Flaminius mit seinem Heer von Ariminum in Richtung Arretium (heute Arezzo) auf.

Hannibal griff mit seinen Truppen die römische Flanke an. Innerhalb von drei Stunden wurde er von den Karthagern unter Hannibal überrascht und vernichtend geschlagen. Etwa zwei Legionen wurden vollständig aufgerieben; Flaminius selbst fand in der Schlacht den Tod. Der Tag der verheerenden Niederlage galt den Römern als "dies ater", d. h. als schwarzer Tag, an dem weder im öffentlichen noch im privaten Leben Neues begonnen werden durfte. (Bild: Kapitolinische Wölfin, Fußbodenmosaik in Siena)
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2.3 Die Teilungen
Mit dem Untergang des römischen Reiches hatte sich auch die politische Einheit der Halbinsel aufgelöst. Norditalien gehörte zum Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, dem Nachfolger des alten Imperiums. Mittelitalien unterstand der päpstlichen Gewalt. Ein Zweig der französischen Dynastie Anjou beherrschte mit dem Königreich Neapel ganz Süditalien. Doch befand sich Neapel im ständigen Rivalitätskampf mit den sizilianischen Städten, die dem spanischen Haus Aragon unterstanden. Und bald gingen Stadtstaaten wie Venedig und Mailand eigene Wege, unabhängig von deutschen Kaisern.

Seit dem 11. Jh. regierten in der Markgrafschaft Tuszien die Markgrafen aus dem Hause Canossa. Besonders Markgräfin Mathilde verstand es, ihre Länder zu einem starken Komplex zu vereinen. Doch Mathilde vermachte nach ihrem Tod 1114 alle Besitztümer dem Papst. Kaiser Heinrich V. jedoch beanspruchte das Herzogtum für sich. Das Erbe Mathildes sorgte über ein Jahrhundert lang für Streit zwischen Päpsten und Kaisern.
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Das Papsttum sah sich 1305 durch Aufstände und Kämpfe der großen adligen Geschlechter genötigt, seine Residenz nach Avignon in Frankreich zu verlegen. Ein Dreivierteljahrhundert blieb es dort. Während dieser Zeit wurde das Territorium der Kirche unter führenden Familien aufgeteilt und in unabhängige Stadtstaaten verwandelt. 1313 errang auch Norditalien seine Unabhängigkeit, als Kaiser Heinrich VII. (im Bild Grabmal im Dom zu Pisa) die politische Kontrolle über die Lombardei aufgab.

Lorenz Valla bewies 1440, dass die Konstantinische Schenkung aus dem 4. Jh. eine Fälschung sei. Für Frankreich, Spanien und Deutschland blieb die Halbinsel weiterhin Ziel ihres politischen Ehrgeizes. 3

Die Dreiteilung beschreibt Prof. Matthée plastisch: Durch den Kirchenstaat wurde der Fuß des italienischen Stiefels nicht durchblutet. Unsere kenntnisreiche Stadtführerin Frau Galiani (rechts) ergänzte: und auch die Toskana! Sie spekulierte weiter, was wäre, wenn der Papst im 14. Jh. in Frankreich geblieben wäre...
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2.4 Die Stadtgeschichte
Die Seewege im Mittelmeer und die anschließenden Landwege begünstigten den Aufstieg des Handels und damit der Städte. Die Macht beruhte nicht wie überall in Europa auf dem Großgrundbesitz, sondern auf den Städten. Schon im 12. Jh. wurden italienische Feudalherren gezwungen, Bürger der nächstliegenden Stadt zu werden (!), um nur so den Anschein der Einflussnahme auf die Regierungsgeschäfte zu wahren.

Im 14. Jh. widmeten sich die italienischen Städte, durch Handel und Gewerbe reich geworden, in verschwenderischem Ausmaß der Förderung der Künste. Selbst die große Pestepidemie und Depression zur Mitte des Jahrhunderts konnten das großzügige Mäzenatentum nicht aufhalten. Der Dichter Dante, der Humanist Petrarca und der Schriftsteller Boccaccio ließen der Toskana eine führende Rolle in der Literatur zukommen. Der toskanische Dialekt stieg zur Literatursprache ganz Italiens auf.

2.5 Die Familie Medici
Im Wappen der Medici liegen auf einem Kreuz sechs Halbkugeln. Was sie bedeuten, ist unsicher. Sind es Pillen der Ärzte (Mediziner)? Oder sind es Münzen der Bankiers? Die Medici waren Inhaber des politisch bedeutendsten Bankhauses ihrer Zeit, obwohl es nicht so groß war wie die der Peruzzi und Bardi. Es hatte Verbindungen insbesondere zum französischen Hof und zum Vatikan. Die Bank wurde 1397 von Giovanni di Bicci de' Medici gegründet und bis zum Tode von seinem Sohn Cosimo de' Medici beständig erweitert. Zu Cosimos Zeiten hatte sie Niederlassungen in Rom, Venedig, Mailand und Pisa sowie in Florenz. Außerhalb Italiens befanden sich Filialen in Genf, Lyon, Avignon, Brügge und London. Jede Niederlassung war unabhängig und verfuhr mit anderen Filialen wie mit ihren Kunden. So konnten die Filialleiter eigene Entscheidungen treffen und die örtlichen Preisund Kursschwankungen ausnutzen. Das Schicksal des gesamten Unternehmens hing daher weitgehend von einer umsichtigen Auswahl der Filialdirektoren ab.

Das Bankwesen war damals wie heutig vielfältig. Den größten Gewinn warf das konventionelle Bankgeschäft ab: Annahme von Geldeinlagen, Kreditgewährung sowie Überweisungen und Einziehung von Außenständen. Zu ihren Kunden zählten auch Institutionen wie die Kirche. Die meisten Filialen betrieben zudem Handel: Sie kauften und verkauften Wolle, Tuch, Öl, Gewürze und Zitrusfrüchte. Sie gingen zeitweilig Partnerschaften mit anderen Kaufleuten ein. So konnten sie ihren aristokratischen Kunden Brokate, Schmuck und Tafelsilber aufkaufen. Einmal errangen sie sogar das Monopol für das Alaun, einen wichtigen Rohstoff für die Textilherstellung.

Nach Cosimos Tod ging das Geschäft zurück, 1494 stand es vor dem Bankrott. Ursache waren teils äußere Umstände: Die Türken hatten den Levantehandel in ihre Hand gebracht, und eine Wirtschaftsflaute hatte nacheinander alle Banken Europas ruiniert. Aber auch Lorenzo de' Medici trug einen Teil Schuld, denn er hatte nicht die notwendige harte Geschäftsausbildung genossen. Er eignete sich eher zum Staatsmann und Dilettanten als zum Bankier. Außerdem fehlte ihm das Gespür für fähige Leute bei der Besetzung der Filialen. 4

Die Medici waren nicht nur eine Kaufmannsfamilie, sondern auch weltliche und kirchliche  Herrscher. Das Haus Medici lavierte geschickt zwischen altem Adel und Volk. Cosimo de' Medici, genannt "Il Vecchio", der Alte, (1389 - 1464) übernahm 1434 ohne offizielles Amt praktisch die Herrschaft in Florenz und wurde zum vermutlich reichsten Mann Italiens. Er verbannte einige seiner Gegner oder trieb sie durch überhöhte Steuern in den Ruin. Er protegierte Künstler, Architekten und Gelehrte, ließ den Stadtpalast errichten, unterstützte die platonische Akademie und legte den Grundstein zur Biblioteca Medicea Laurenziana.

Unter Cosimos Enkel Lorenzo (1449 - 92) stieg Florenz zur politisch und kulturell führenden Macht in Italien auf. Lorenzo übernahm mit seinem Bruder Giuliano von seinem Vater das Prinzipat der Republik. Er heiratete in die Orsini-Familie ein. Nach dem Pazzi-Aufstand schloss er mit König Ferdinand I. von Neapel Frieden. Er änderte die Verfassung und richtete den "Rat der Siebzig" ein, der sich nur aus Medici-Anhängern zusammen setzte. Lorenzo versammelte die bedeutendsten Künstler und Intellektuellen seiner Zeit an seinem Hof: die Maler Botticelli und Michelangelo, sowie Philosophen, Humanisten und Dichter. Als Prototyp des Renaissance-Fürsten nannte man in "Il Magnifico", den Prächtigen. 5
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(Abbildung rechts: Wappen der Toskana)
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Lorenzos zweiter Sohn Giovanni wurde 1513 als Leo X. zum Papst gewählt. 1523 kam mit Klemens VII., einem Vetter Giovannis, ein zweiter Medici auf den Stuhl Petri. Überhaupt kamen damals die Päpste fast nur aus den vier wichtigsten Familien: 1530, nach einer erneuten Vertreibung aus Florenz, konnten die Medici mit Hilfe von Kaiser Karl V. zurück kehren. Lorenzos Sohn Alessandro (1511 - 37) wurde zum Herzog von Florenz erhoben. Dessen Schwester Katharina heiratete König Heinrich II. von Frankreich. Nach dem Mord an Alessandro erlosch die ältere Linie. Cosimo I. aus der jüngeren Linie übernahm die Nachfolge; er wurde 1569 zum Großherzog erhoben. Die jüngere Linie erlosch mit dem Tod von Alessandros Ururenkel Gian Gastone 1737.

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2.6 Die nationale Einheit Italiens
Nach dem Aussterben der Medici nahmen die Habsburger das Großherzogtum Toskana in Besitz. Das Land wurde von fremden Beamten regiert, die sich z.T. ungeniert bereicherten. Das toskanische Volk wurde durch Steuern bedrückt, die es für die Apanage des in Wien lebenden Großherzogs bzw. ab 1745 römischen Kaisers und die österreichischen Kriege zahlen musste, wodurch das Land verarmte.

Großherzog Peter Leopold, Sohn von Kaiser Franz und Maria Theresia, stellte sich dagegen als einer der bemerkenswertesten Reformfürsten des 18. Jh. heraus. Er dachte sogar daran, eine Art Verfassung zu gewähren, was aber nach dem Widerspruch seines Bruders, Kaiser Joseph II., unterblieb. Sein zweiter Sohn Ferdinand III. wurde 1792 Nachfolger. Die französischen Revolutionstruppen drangen in Florenz ein. Napoleon teilte die Toskana den spanischen Bourbonen zu. Danach wurde Napoleons Schwester Elisa zur Generalgouverneurin. 1814 kehrten die Habsburger zurück. Ferdinand III. setzte seine liberalkonservative Politik fort. 6

Wie Deutschland bekam Italien durch das dahin siechende Heilige Römische Reich erst mit dreieinhalb Jahrhunderten Verzug seine nationale Einheit. Hier war es das am Nordostrand liegende Preußen mit König Wilhelm und seinem Kanzler Bismarck, dort das im Westen in den Alpen verborgene Piemont mit König Viktor Emanuel und dem Kanzler Cavour (Bild rechts), kurz P und P, die von außen die Nation schmiedeten. (Foto oben links Garibaldi, der Eroberer Süditaliens,  hoch zu Ross im Altar della Patria in Rom, rechts: Historiengemälde im Palazzo Pubblico in Siena.)  
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3 Humanismus und Renaissance
3.1 Der Humanismus
Der Humanismus mit seiner Betonung der Würde des Menschenwerkes war seinem Wesen nach katholische Philosophie. Der Protestantismus, der auf das der menschlichen Natur inne wohnende Böse besonderen Nachdruck legte, beendete den Humanismus in Deutschland. Der berühmteste humanistische Gelehrte Nordeuropas war der holländische Geistliche Desiderius Erasmus.

Im Gegensatz zur theologisch gebundenen Wissenschaft des Mittelalters beruhte die neue Gelehrsamkeit auf dem eifrigen Studium der antiken Autoren. Wohl kannten schon die mittelalterlichen Gelehrten die Schriften Vergils, Ovids und Ciceros, Aristoteles' und Platons. Aber erst im 14. Jh. wurde in Italien der Versuch unternommen, die Welt der klassischen Antike als eigenständige Kultur zu begreifen. Das Studium dieser Kultur nannte man Humanismus. Die Humanisten befassten sich nicht allein mit der Erforschung und Herausgabe griechischer und römischer Texte. Sie suchten darüber hinaus in der Gedankenwelt der Alten das Vorbild einer besseren und verantwortlichen menschlichen Haltung. Denn nach ihrer Auffassung hatten die Alten für beinahe alles die beste Lösung gefunden. Aus Roms Vergangenheit holten sie sich nicht nur Belehrung über Politik, Recht und Kunst, sondern auch moralische  Unterweisung.7 Die Humanisten bemühten sich, die Patina von den mittelalterlichen Auslegungen zu befreien und das Original in seiner durchsichtigen Klarheit ans Licht zu bringen.

Für Petrarca war Cicero nicht einfach ein verstaubter Weiser, sondern eine reale Person. Für den vom politischen Schauplatz verbannten Machiavelli gab es nichts Köstlicheres, als sich in seinem Studierzimmer einzuschließen, wo er mit den großen Gestalten der römischen Vergangenheit vertraute "Unterhaltung" pflegen konnte; von ihnen erfuhr er, wie sie die Krisen ihrer Zeit bewältigt hatten, von ihnen holte er sich Rat für seine Probleme. Die Epoche brauchte eine auf das praktische Leben bezogene Bildung, Fachkenntnisse ebenso wie weltgewandtes Auftreten. Bildung sollte Allgemeingut und nicht das Privileg Weniger sein; der Mensch sollte sich im Staatsverband zu bewähren haben und nicht in privaten Wonnen der Gelehrsamkeit zu schwelgen. Das humanistische Erziehungsprogramm passte sich diesen Erfordernissen an. Es schloss sowohl die Lektüre der antiken Autoren wie das Studium der Grammatik, Rhetorik, Geschichte und Ethik ein. Schon im 15. Jh. wurde dieser Lehrplan offiziell als "studia humanitas", also Geisteswissenschaft, bezeichnet. Die Vertreter dieses Bildungsprinzips hießen später Humanisten.

Humanismus ist nicht dasselbe wie Renaissance. Die Wiederbelebung des antiken Denkens steigerte die intellektuellen Kräfte und Ausdrucksmöglichkeiten. Aber die Renaissance bedarf des Talents, das diesen Gedanken eine gültige Form geben kann. Der Humanismus bereitete die gesellschaftliche und intellektuelle Atmosphäre, die die Entfaltung schöpferischer Kräfte förderte. Die tiefen Erlebnisse des Menschen, die Begegnung mit Gott, Liebe und Natur, wurden neu erfahren und neu formuliert. In diesem Klima entfaltete sich eine noch nie da gewesene Fülle von genialen Begabungen. 8

Kurz: Die wissenschaftlich-geistige Haltung in der Renaissance erhielt - in Abgrenzung zur  künstlerischen - im 19. Jh. die Bezeichnung Humanismus.

3.2 Die Renaissance
Der heutige Begriff "Renaissance" war keineswegs zu seiner Zeit gebräuchlich. Zwar verwendete der Florentiner Bildhauer und Kunstschriftsteller Ghiberti um die Mitte des 15. Jh. den Ausdruck "rinascita", den Dürer mit "Wiedererwachsung" übersetzte. Doch erst 1829 benutzte der Schriftsteller Honoré de Balzac beiläufig das Wort in diesem besonderen Sinn. Der französische Historiker Michelet behandelte 1855 die Epoche in der Geschichte Frankreichs unter dem Titel "Le Renaissance". Dieser Begriff breitete sich auch in den germanischen und slawischen Sprachraum aus. 9

Im ein Jahrtausend währenden Mittelalter, gerechnet ab den Hunnenstürmen, bedeutete das Lob des Menschen zugleich Lob Gottes, denn der Mensch war Gottes Geschöpf. Die Renaissance hingegen verherrlichte den Menschen selbst als Schöpfer. Die Selbstbestimmung des Menschen, seine Gabe, Kunstwerke zu schaffen und die Geschicke anderer zu lenken, rückte in den Vordergrund. Der Mensch war der Beherrscher der Natur, Herr, wenn auch nicht Herrgott, der Schöpfung.

Gianozzo Manetti schrieb 1452, die Welt sei wohl von Gott erschaffen worden, aber der Mensch habe sie hernach verwandelt und verbessert: "Denn alles, was uns umgibt, ist unser eigenes Werk, das Werk des Menschen: alle Wohnstätten, alle Schlösser, alle Gebäude auf der ganzen Welt, die so zahlreich sind und von so edler Beschaffenheit... Von uns sind die Gemälde, die Skulpturen; von uns der Handel, die Wissenschaften und philosophischen Systeme. Von uns kommen alle Erfindungen und alle Arten von Sprachen und Literaturen, und wenn wir über ihre Anwendung nachsinnen, fühlen wir uns um so mehr zu Bewunderung und Erstaunen genötigt." 10

Noch im Mittelalter wurden Mensch und Natur in verallgemeinernder Typisierung gesehen. Jetzt erhielten die Dinge ihren Schwerpunkt in sich selber, der Mensch wurde zur Individualität. Ein Jahrhundert später, zum Beginn des 15. Jh., schufen die Maler beseelte, dreidimensionale Menschen. Die Kunst bahnte den Weg zum Studium der Anatomie und zur systematischen Konstruktion der Perspektive.

Fortuna war eine der beliebtesten Allegorien der Renaissance; ihre mutwilligen Pläne konnte man mit listiger Findigkeit durchkreuzen. Die andere Allegorie war die Occasio, die günstige Gelegenheit.

Das Zeitalter in Italien lässt sich künstlerisch untergliedern in die Frührenaissance von 1300 bis 1400, die Renaissance bis etwa 1500 und die Hochrenaissance bis zur Mitte des 16. Jh. Politisch wird die Zeit der Stadtstaaten bis zur Mitte des 15. Jh., der unsichere Friede bis 1494, zur Invasion fremder Mächte, unterschieden. Der Schlusspunkt war die Plünderung Roms durch die Truppen Karls V.

Im Norden, auf der anderen Seite der Alpen, erlebte Deutschland als erstes Land eine Renaissance, aber erst um die Wende des 15. zum 16. Jh. Dies ist auch ein Verdienst der Buchdruckerkunst. Frankreich und England zogen nach, während Spanien erst Mitte des 16. Jh. große schöpferische Geister hervor brachte.

Zusammen gefasst wird die Renaissance von vier Faktoren geprägt:
1. die neuerliche Beschäftigung mit dem Menschen und der Natur,
2. als deren Folge große Erfindungen und Entdeckungen,
3. die Erneuerung, also die Reformation der Kirche und
4. nicht zuletzt die Umwälzungen in Politik und Wirtschaft, die entstehenden Nationalstaaten und der Aufstieg des Bürgertums. 11

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