4 Schlösser und Residenzen
4.1 Weißenstein Pommersfelden
Südlich von Bamberg, auf leichter Anhöhe über dem Dorf Pommersfelden, liegt vor dem Steigerwald Schloss Weißenstein, und hell leuchtet der gewaltige Bau von Ferne jedem entgegen. Diesen Landsitz ließ sich Fürstbischof Lothar Franz von Schönborn 1711 - 18 erbauen. Der nach seinen eigenen Worten vom „Bauwurmb"56 besessene Feudalherr schuf damit eines der ersten unter den großen Barockschlössern. Er konnte hervor ragendende Architek-ten gewinnen wie die Brüder Dientzenhofer (die den Fuldaer Dom und die Banzer Klosterkirche schufen), den Mainzer Festungsbaumeister von Welsch und den Wiener von Hildebrandt.
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Lothar Franz von Schönborn war Kurfürst-Erzbischof von Mainz (seit 1695) und Fürstbischof von Bamberg (seit 1693), einer in der Verbindung von kirchlicher und weltlicher Macht für das Alte Reich charakteristischen geistlichen Fürsten. Die Mainzer Kurwürde brachte ihm das Ehrenamt des Reichserzkanzlers und den ersten Platz unter allen Reichsfürsten nach dem Kaiser ein. Ihm standen von Staats wegen bereits mehrere Schlösser in seinen beiden Ländern zur Verfügung.

Lothar Franzens ganz große Liebe galt der Kunst, vor allem der Architektur und der Malerei. Auf weiten Reisen hatte er in jungen Jahren viele Schlösser und Galerien gesehen. Sein Interesse an Malerei nahm allmählich die Gestalt einer wirklichen Sammelleidenschaft an; ihr Ergebnis war nach zwanzig Jahren die großartige Galerie in Pommersfelden, die heute noch die größte private Barockgalerie geblieben ist. Lothar Franz ist im künstlerischen Bereich für Franken die überragende Persönlichkeit im aufgehenden 18. Jahrhundert, ihm folgen in dieser Rolle seine beiden Neffen als Bauherren der Würzburger Residenz. Die Familie von Schönborn besaß im Jahrhundert nach dem Dreißigjährigen Krieg über ein Dutzend Fürstenwürden an Rhein und Main.57 Weißenstein ist noch heute im Privatbesitz der Familie von Schönborn-Wiesentheid.

Der Mittelrisalit tritt in reicher plastischer Durchbildung mit doppelten Riesensäulen weit vor. Ihm antwortet auf der Gegenseite der zurück weichende Marstall. Als Herz der Anlage wurde hier der in Wien mit wahrer Leidenschaft gebaute Typ der „Kaiserstiege" erstmals in Deutschland verwirklicht. Unter luxuriöser Raumverschwendung schwingt die Treppe sich doppelseitig über drei Geschosse empor, von Umgängen flankiert, die durch kannelierte Säulen und Hermenpfeiler gestützt werden. Für das festliche Auf und Ab eines pompösen Zeremoniells entworfen, entspricht sie der Vorliebe des Barock für verschobene Perspektiven und überraschende Durchblicke, für Stuckdekor und Farben sprühende Malereien. Die Innenräume, für die die Treppe das Vorspiel ist, sind repräsentativ wie der Marmorsaal, oder intim wie das Spiegelkabinett. Im Erdgeschoss leitet ein kühler Gartensaal, als bizarre Grottenarchitektur aus Muscheln, Kristallen, Glas und Kieseln, halb künstlich, halb Naturwerk, in den Park über. Die Gemäldegalerie enthält bedeutende Werke aus Renaissance und Barock, u.a. von Cranach, Dürer und Elsheimer, Bruegel, Rembrandt und Rubens, Caravaggio und Tizian.58 - Leider hatten wir nur die kleine Führung von einer halben Stunde, so dass uns die Gemälde verborgen blieben.

4.2 Würzburg
„...das als das schönste (Schloss) in ganz Deutschland gelten darf. Die Treppe ist wundervoll." So schwärmte Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth. Wir widersprechen ihr nicht.

Das Bauwerk ist das Ergebnis der großen Strömungen der Architektur jener Zeit: der französischen Schlossarchitektur, des Wiener Kaiserbarock und des oberitalienischen Palast- und Sakralbaus. Es bildet ein Gesamtkunstwerk von erstaunlicher Universalität. Kein anderes Schloss, weder in Deutschland noch in den romanischen Ländern, übertrifft die Würzburger Residenz an abendländischer Weite und synthetischer Kraft.59

Der bekannte Barockarchitekt Balthasar Neumann60 hat diesen Schlossbau ersonnen und mit erlesenen Künstlern wie dem größten Freskomaler Battista Tiepolo61 in einer schöpferischen Gemeinschaftsleistung das „Würzburger Rokoko" hervor gebracht.

Bauherren waren die Grafen von Schönborn, eine weit verzweigte und hoch begabte Familie, die auch in Bamberg, Mainz, Worms, Speyer und Trier geistliche Fürstentümer regierte. Dieses beträchtliche Territorium mitten in Deutschland führten die Schönborns kurz vor dem Untergang des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zu einem politischen und kulturellen Höhepunkt. Ohne dieses Geschlecht ist der Barock in Deutschland undenkbar. Franken trat unter der Führung dieses Hauses an die Spitze des deutschen, ja europäischen, Schlossbaus.

Die Residenz kostete die stattliche Summe von 600.000 Gulden, die Fürstbischof von Schönborn herausverlangte, weil sie zu Unrecht von den Untertanen eingezogen worden war. Das Bauwerk ist als Weltkulturerbe der UNESCO eingetragen. Hierzu hat das berühmte Muldengewölbe des Treppenhauses beigetragen, das eine Fläche von 600 m² 55 m tief überspannt und wie aus einem Guss wirkt. Möglich wurde es nur, weil ein leichter Tuffstein verbaut wurde. Das Vestibül ist groß genug, darin eine sechsspännige Kutsche vorfahren zu lassen.

So traten auch wir ein in die unvergleichliche Raumfolge von Vestibül, Treppenhaus, Weißen Saal, Kaisersaal und die anschließenden Südlichen Kaiserzimmer, also Vorzimmer, Audienzzimmer, Venezianisches Zimmer, Spiegelkabinett und die kleine Gemäldegalerie. Unsere Augen konnten sich kaum satt sehen. Dennoch haben wir nur einen kleinen Teil der 43 Räume (die im Plan bezeichnet sind) betreten. Zur Zeit wird die berühmte Tiepolo-Decke im Treppenhaus renoviert und liegt teilweise hinter einem Gerüst verborgen. Schon vor genau 30 Jahren war ich in der Residenz, als 14-jähriger Schüler auf Klassenfahrt, und habe schwer gestaunt.
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Die Mittagszeit habe ich diesmal genutzt, um in die Hofkirche der Residenz einzukehren und in der Stille inne zu halten. Dem Südwesteck hat Neumann62 die Hofkirche unauffällig eingepasst, ohne die Symmetrie des Schlosses anzutasten. Er hat den Grundriss in fünf Ovale gegliedert, von denen jedoch nur drei sichtbar überkuppelt sind, ein Vorgriff auf seine Sakralbauten in Vierzehnheiligen und Neresheim. Über dem Hauptaltar hat man einen Emporen-Altar für den Fürstbischof eingerichtet (Bild oben). Die Blätter der Seitenaltäre, Engelsturz und Mariä Himmelfahrt, malte Tiepolo.63  64

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