4 Städte und Burgen
4.1 Greifswald
Bescheidener und stiller als die Mutter der Hanse, Lübeck, und ihre Nachbarn Wismar und Rostock, auch bescheidener als die andere Hansestadt an der pommerschen Küste, Stralsund, liegt Greifswald mit etwa 54.000 Einwohnern. Seit neuestem ist der Ort Kreisstadt des neuen Landkreises Vorpommern-Greifswald. An der Stadtgründung mit Marktgerechtigkeit 1241 hat maßgeblich das nahe Kloster Eldena mitgewirkt (siehe Kapitel 2.3).
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Wie Rostock hat Greifswald eine Universität, die hier den Namen Ernst Moritz Arndt trägt; wir blickten kurz auf die barocke Fassade von 1750. Die Universität wurde schon 1456 gegründet und gehört damit zu den ältesten Mitteleuropas; sie ist die viertälteste durchgängig bestehende Universität auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und zugleich die zweitälteste im Ostseeraum. Hier lernen rund 12.000 Studenten, etwa 5.000 Mitarbeiter sind hier beschäftigt. 56  
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Auf dem Platz vor der Uni sehen wir ein aus der Mitte des 19. Jh. stammendes, dem Berliner Kreuzberg-Denkmal nachempfundenes, Standbild für Heinrich Rubenow, dem Bürgermeister, welcher die Hochschule mit begründete. Vier Monarchen werden hier gewürdigt: die beiden Herzöge Wartislaw IX. und Bogislaw XIV. von Pommern, König Friedrich I. von Schweden und König Friedrich Wilhelm III. von Preußen (letzterer siehe rechtes Bild). 57
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An einer Ecke ist auch Caspar David Friedrich, der berühmte Landschafts- und Ruinenmaler und Zeichner, verewigt.

Drei gotische Backsteinkirchen blieben unzerstört, da ein damaliger Universitäts-Professor die Stadt 1945 kampflos übergab, wie Prof. Matthée erwähnte. 58 Der Uni am nächsten steht der Dom St. Nikolai (rechts).
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Dem Schutzheiligen der Seefahrer und Kaufleute geweiht, ist er ein Wahrzeichen der Stadt Greifswald und zugleich die Haupt- bzw. Bischofskirche der Pommerschen Evangelischen Kirche. Schon 1263 wurde hier eine Nikolaikirche erwähnt, ein Jahrhundert danach bereits eine Orgel darin. Dem dreischiffigen Chor wurde später eine dreischiffige Halle angefügt, danach der Chor durch einen neuen ersetzt.

Das Bauwerk ist innen 80 m lang und 30 m breit. Im heutigen Turm verschmelzen Gotik und Barock harmonisch; der „schlanke Nikolaus" erreicht fast 100 m, während sein Mitte des 17. Jh. vom Sturm umgestürzter Vorgänger sogar 120 m maß. Da beim Einsturz der Gewölbe sämtliches Inventar vernichtet wurde, finden wir ein einfacheres vom Anfang des 19. Jh., so dass wir hier nichts wirklich Wertvolles entdecken konnten.

Der behäbige, dreischiffige Hallenbau der Stadtkirche St. Marien ist mit schlanken Bündelpfeilern hell und weiträumig (rechts). Er ist Vorbild für viele chorlose Hallenkirchen Vorpommerns. Der massige, gedrungene Turm überragt die Giebelhäuser am Markt. Sein Mittelgeschoss mit den spitzbogigen Blendfenstern stammt noch aus dem 14. Jh. Brandenburgische Truppen zerstörten 1678 das Obergeschoss. Drei alte Glocken blieben erhalten. 59 - Die Kirche fanden wir leider verschlossen vor. Nicht besucht haben wir die kleinste der drei Kirchen, St. Jakobi, einen dreischiffigen Hallenbau.
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4.2 Tangermünde
In der Altmark, auf dem hohen Westufer der träge fließenden Elbe, thront seit tausend Jahren die Stadt, benannt nach einem kleinen Nebenfluss, mit derzeit 11.000 Bewohnern. 1009 erwähnte Thietmar von Merseburg die Burg erstmals. Der Marktflecken wurde Anfang des 13. Jh. Stadt. Karl IV., König von Böhmen und deutscher Kaiser, erwarb 1373 die Mark Brandenburg. Er zog mit großem Gefolge in die Burg, die er zur Nebenresidenz erhob.
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Turmdächer erinnern seitdem an solche in Prag (Foto links). Karl galt auch als Kaufmann unter den Kaisern; über Tangermünde hoffte er auf gute Kontakte zur mächtigen Hanse. Doch schon fünf Jahre darauf starb Karl. Später residierten die Hohenzollern einige Jahrzehnte auf der Burg, zogen aber 1488 nach Berlin-Cölln.
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Die Blütezeit erlebte Tangermünde im 15. Jh., prächtige Bauten aus Backstein wie Rathaus und Stadttore wurden errichtet. Der damalige Wohlstand ist noch erkennbar. Mit dem Stadtbrand von 1617, der zwei Drittel der Gebäude zerstörte, ging es bergab.
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Zwei Jahre darauf wurde die vermeintlich am Feuer Schuldige, Margarete Minde, auf dem Scheiterhaufen verbrannt - finsteres Mittelalter, Theodor Fontane schrieb darüber. Tangermünde sank zur unbedeutenden Landstadt, die dennoch mit schönen Portalen ihre Fachwerkhäuser zierte. 70

Auf unserem Stadtrundgang konzentrierten wir uns auf Burg, Stephans-Kirche und Rathaus. In der Burg stehen noch die Türme, die Kanzlei und der Saalbau aus Kaiser Karls Zeit. Besonders imposant ragt der sechsstöckige Kapitelturm 50 m in die Höhe, von dem aus der Elbstrom beobachtet werden kann. Teile der Burg wurden durch schwedische Truppen 1640 zerstört, nach 1700 vom ersten Preußenkönig Friedrich I. durch einen Neubau ersetzt. In der Nähe wurden zu Beginn des 20. Jh. auch die Bronze-Standbilder für Kaiser Karl IV. und Kurfürst Friedrich I. aufgestellt, die Prof. Matthée die Gelegenheit zu einem Exkurs in die Geschichte des Reiches und Preußens boten.

Die Stephans-Kirche ist erstmals als Backstein-Basilika von 1188 nachgewiesen; die nördliche Querhauswand davon steht noch. Das heutige Gotteshaus mit einem niedrigen und einem hohen Turm mit barocker Haube wurde 1376 begonnen, wohl von Meistern der Prager Dombauhütte; ob Kaiser Karl der Auftraggeber war, ist nicht nachweisbar. Die drei Schiffe sind etwa gleich hoch, dem Bautyp der Hallenkirche folgend. Erst im letzten Drittel des 15. Jh. wurden Umgangschor, innen mit 3/6 und außen mit 5/10 Grundriss, und Seitenkapellen angesetzt; Wand- und Gewölbemalereien stammen noch von damals. In der Mitte des Langhaus-Gewölbes klafft ein Loch: Hier konnte im Mittelalter eine Christusfigur hoch gezogen werden, um die Himmelfahrt zu verdeutlichen. 71

An der Südwand berührt uns noch heute die Skulptur „Christus in der Rast", an die Passion gemahnend (unten rechts). Die Marienskulptur dürfte von einer Triumphkreuzgruppe übrig geblieben sein (unten Mitte). Das Taufbecken aus Gelbguss von 1508 schmücken wenige aufgenietete Figuren wie die des Hl. Stephanus, der Anna Selbdritt und der Mondsichel-Maria sowie das Kreuz ohne Jesus.
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Die ganze Kirche zieren Epitaphien aus dem 16. bis 19. Jh. Die Orgel baute Hans Scherer aus Hamburg 1624; der detailreich geschnitzte Prospekt verspricht zu Recht Musikgenuss - die 1994 von Schuke restaurierte Scherer-Orgel zählt zu den zehn wertvollsten historischen Kircheninstrumenten. Wie sie kam die Kanzel des Magdeburger Meisters Christoph Dehnes nach dem Stadtbrand hinein.
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Aus Stein gearbeitet, ist die Kanzel im Stil der Spätrenaissance von heraus ragender Qualität: Moses trägt über den Gesetzestafeln grübelnd den Korb mit den vollplastischen Aposteln; Landschaft, Räumlichkeit und Körperlichkeit der Bibelszenen weisen auf die begonnene Neuzeit.   Das sehr große, in der Altmark einmalige, barocke Hochaltar-Retabel wurde 1705 aufgestellt.

Der dreigeschossige hölzerne Aufbau hat Türen für den Abendmahlsumgang; es zeigt im Hauptgeschoss Moses und Johannes den Täufer, die eine Kreuzigung flankieren. Von den Emporen wurde die südliche vor 30 Jahren wegen Baufälligkeit abgebrochen und die nördliche mit ihren 41 Bildtafeln des frühen Alten Testaments auf die ursprüngliche Breite vom 16. Jh. zurück gebaut.

Das Rathaus besitzt einen der schönsten Blendgiebel aus Backstein in ganz Norddeutschland (rechts). Kräftige Vertikale gliedern die aufsteigende Wand, Maßwerk überzieht sie, zartes Filigran füllt die Rosetten. Hinter der 24 m hohen Wand verbirgt sich der prächtige Ratsfestsaal. Der Bau wurde ab 1430 vom Stettiner Hinrich Brunsberg aufgeführt. Ein halbes Jahrhundert jünger ist die quer angesetzte Gerichtslaube mit Ratsstube darüber.
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Auch Wasser-, Hünerdorfer und Neustädter Tor weisen trotz ihres Wehrcharakters mit Zinnen prunkvolle Backsteinfriese und Rosetten auf. 73 Lange verweilen mochte man auch an der Uferpromenade mit dem Blick auf die hohe Stadtmauer mit dem Elbtor in ihrer Mitte, wenngleich ein Regenschauer über unseren Köpfen drohte.

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