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3.6 Jerichow
Im Elbe-Havel-Winkel, unweit der Hansestadt Tangermünde (siehe Kapitel 4.2) auf dem Gegenufer, in einem auch heute dünn besiedelten Gebiet liegt Jerichow. Der Ortsname hat - anders als manchmal behauptet - nichts mit der ältesten Stadt im Heiligen Land zu tun. Der auf w endende Name verrät seinen slawischen Ursprung: „jery" bedeutet so viel wie kühn, keck oder forsch, „chow" steht für Schutz, Versteck oder Burg. 50

Die Grafen von Stade, genannt die Udonen, erwarben hier ein zweites Gebiet. 1144 stiftete Graf Hartwig als Domherr und Dompropst zu Magdeburg mit Bestätigung durch König Konrad III. das Prämonstratenserstift. Hartwig wurde übrigens 1148, im Jahr des Baubeginns, Erzbischof von Bremen. Das Stift Jerichow im von hier aus wieder errichteten Bistum Havelberg wurde an der bestehenden Pfarrkirche begründet. Albrecht der Bär mit seinem Sohn Otto wurde der erste Schutzherr.

Das Kloster wurde nach Nordwesten vor den Ortsrand verlegt, weil die Chorherren an der Pfarrkirche „wegen des Lärms des Marktvolkes das Ziel ihres Mönchslebens keineswegs erreichten". Bischof Anselm von Havelberg nahm in Jerichow seinen Sitz. Von 1159 - 78 leitete Propst Isfried das Kloster. Er wurde später Bischof von Ratzeburg (siehe Kapitel 3.1.3) und wird im Prämonstratenser-Orden als Heiliger verehrt.

Papst Hadrian IV. bestätigte 1159 die Klostergründung mit den Privilegien. Ob die in den Urkunden von 1159, 72 und 78 genannten Gebäude die heutigen sind, ist ungewiss. Neben umfangreichem Streubesitz gehörten dem Stift 14 Dörfer; das Jerichower Land mit seinen bald mehr als 30 Pfarrkirchen bot ein reiches Betätigungsfeld.

Ein Höhepunkt war der Besuch von Kaiser Karl IV. zu Pfingsten 1377. Über den weiteren Werdegang des Stiftes Jerichow ist wenig bekannt, da es kein Archiv mehr gibt. Der Erzbischof von Magdeburg besetzte das Stift 1489 und wieder 1534, als es schon weit herunter gewirtschaftet war. Der Konflikt erreichte einen traurigen Höhepunkt, als sich 1532 der Jerichower Konvent weigerte, eine Türkensteuer an das Magdeburger Erzbistum zu entrichten.

Söldnertruppen des sächsischen Kurfürsten Moritz fielen 1551 über Jerichow her und plünderten es. Im Folgejahr wurde Kloster Jerichow aufgelöst, sein Besitz wurde magdeburgische, später brandenburgische Domäne. Bei den Plünderungen 1551 und 1631 wurden nicht nur die Scheunen und Ställe geleert, sondern alle Wertgegenstände mitgenommen. Die Klausur diente damals der Schweinemast, Bierbrauerei und Schnapsbrennerei.

Kurprinz Friedrich von Brandenburg (später König Friedrich I. von Preußen) fand 1685 die Klosterkirche „einer wüsten Scheune ähnlich" vor. Sein Vater, der Große Kurfürst, ließ darauf hin das schadhafte Bauwerk in Stand setzen und gab den Chorraum der neuen reformierten Gemeinde. Deren Frömmigkeit verlangte den Verzicht auf verbliebene mittelalterliche Ausstattung und Kunstwerke: Chorgestühl, Triumphkreuz, Kruzifixe, Leuchter und Gemälde wurden entfernt, Wandmalereien übertüncht und Bildfiguren verstümmelt. 51
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1835 wies Karl Friedrich Schinkel auf den hohen architektonischen Rang hin; nach dem Besuch des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm IV. beauftragte dieser Ferdinand von Quast, der ab 1853 die Kirche in Stand setzte. 52 Diese Restaurierung galt in Fachkreisen Jahrzehnte lang als heraus ragende Leistung der Denkmalpflege (links: Lochsteinmauer auf der Krypta zum Südquerhaus aus jener Zeit, oben original romanisches Doppelkapitell in der Krypta).
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Nach nur geringen Kriegsschäden wurden seit den 50er Jahren umfangreiche Reparaturen durchgeführt. Dabei wurde das Niveau des Innenhofes um rund 1,20 m und der Umgebung um 1,50 m abgesenkt. 1977 entstand das Museum, die Kirche dient jetzt auch als Konzertsaal. Träger der Klosteranlage und Ländereien ist die 2004 gegründete „Stiftung Kloster Jerichow", in der sich Bundesland, Landkreis, Stadt, Landeskirche und Kirchengemeinde mit einem Förderverein zusammen gefunden haben.

Die Klosterkirche, St. Marien und St. Nikolaus geweiht, ist eine dreischiffige, kreuzförmige, flach gedeckte Pfeilerbasilika mit einer größeren Apsis am Chor und zwei kleineren an den Seitenschiffen. Die Krypta in Vierung und Chor (links mit frei gelegter Ausmalung) sowie die Nebenchöre wurden ab 1172 ein- bzw. angebaut, das Langhaus um ein Joch verlängert. Danach entstanden Klausur und Kreuzgang. Mitte des 13. Jh. wurde der doppeltürmige Westbau angefügt, noch ohne die beiden oberen Turmgeschosse, die erst Ende des 15. Jh. bis zur Höhe von 59 m aufgesetzt wurden. Damit war der ebenso würdige wie harmonische Kirchenbau komplett, der in seiner schlichten Eleganz, Ausgewogenheit und Schönheit des Dekors ebenso Baugeschichte schreiben sollte wie in der Verwendung des damals in Nordeuropa noch kaum bekannten Backsteins.

Die Klosterkirche Jerichow gehört zu den schönsten Beispielen der romanischen Backsteinbaukunst in Deutschland. Die überaus gelungene Verbindung von Back- und Haustein verleiht dem Bau eine unverwechselbare künstlerische Note. Die Kapitelle mit ihren rätselhaften Pflanzen- und Tierornamenten entfalten stille Pracht. Vom Kloster sind drei Flügel weitgehend erhalten, darunter sind zugänglich der Kapitelsaal, Sommer- und Winter-Refektorium (rechts) und Kreuzgang. 53 Das sehenswerte Klostermuseum wird derzeit umgebaut - wir besuchten es daher nicht, sondern hielten uns nur in Kirche und Klosterräumen auf.
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3.7 Havelberg
Bischof Anselm von Havelberg gründete 1144/50 am damaligen Dom das Prämonstratenser-Kloster; er erhob das Stiftskapitel zum Domkapitel. Die romanische Domkirche wurde 1170 geweiht. Der Bau wurde weitgehend in sorgfältigem Bruchstein-Mauerwerk aus Grauwacke aufgeführt. Er war eine lang gestreckte, flach gedeckte, dreischiffige Basilika mit Westwerk (linkes Foto) und nördlich wie südlich je einem Ostriegel (kein Querhaus).
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Der halbkreisförmige Chor war mit einem Triumphbogen abgeteilt. Ein Brand verwüstete 1279 den Dom. Bis 1330 wurde das Langhaus gotisch umgebaut. Ähnlich wie in Brandenburg wurden 1507 die Chorherren zu Diözesanpriestern eines weltlichen Domstiftes. Durch kurfürstlichen Einfluss wurden 1561 alle Domherren evangelisch. Altäre und Heiligenbilder wurden entfernt. Zehn Jahre darauf wurde das Bistum in das Kurfürstentum Brandenburg eingegliedert. Das Domkapitel erlosch 1819 durch königliche Verfügung.

Augenfällig ragt das imposante Westwerk auf schmalrechteckigem Grundriss in die Höhe. Ob es bereits zu einem Vorgängerbau aus ottonischer Zeit gehörte, ist denkbar. Es wurde spätestens 1160 aufgerichtet, um 1200 mit einem dreiarkadigem und 1907 mit einem fünfarkadigem Klanggeschoss aus Backstein erhöht. 54 Den Abschluss bildet ein Dachreiter.

Der Dom ist innen reich ausgestattet. Die Triumphkreuzgruppe und die drei Sandsteinleuchter entstanden um 1300, ebenso das hintere Chorgestühl, während das vordere (rechts) etwa ein halbes Jahrhundert später hinzu kam.

Der Zweisitz in der Mitte diente wohl den Vorsängern; davor steht die Tumba für Bischof Johann Wöplitz.

Mit Hilfe der Einnahmen aus der Wallfahrt nach Wilsnack zur Wunderblut-Hostie konnte Bischof Wöplitz einen Sandsteinlettner finanzieren. Am Lettner beeindrucken zwanzig Reliefplatten aus Sandstein über das Leben Christi mit Passionsgeschichte, Auferstehung und Weltgericht (unten, jeweils Westseite). Größere Figuren der Apostel, Madonnen und vermutlich von Bischof Wöplitz stehen dazwischen. Die vier Tympanon-Reliefs zeigen die Verkündigung an Maria, Jesus im Tempel, Jesus unter Schriftgelehrten und die Krönung Marias. Eindrucksvolle Szenen zeigen Jesus im Verhör vor Kaiphas und Pilatus. An der Südschranke steht mit schwingender Kurve eine große Madonna in starkem Kontrast vor grotesken Figuren. Das Maßwerk oben ist kunstvoll mit Drei- und Vierpässen sowie Fischblasen gearbeitet. Die farbige Bemalung wurde Ende des 19. Jh. entfernt.

In Dom und Kreuzgang wurden 63 Grabplatten aufgestellt. Zu betrachten sind die prächtigen Buntglasfenster. Die ältesten sind an der westlichen Nordseite aus dem frühen 15. Jh.; der Zyklus zeigt Bilder aus dem Leben Jesu (rechts). Mit Sägespänen verfüllte Verschalungen schützten die Glasscheiben, Mauerwerk den Lettner (unten) im letzten Krieg, während das Langhausdach abbrannte.
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Der Ostflügel des Konventsgebäudes bestand schon 1150, als die ersten Mönche einzogen; er gehört zu den ältesten Backsteinbauten östlich der Elbe. Noch romanisch wurde der Südflügel mit beiden Refektorien errichtet. Im Obergeschoss der Klostergebäude befindet sich seit über hundert Jahren das Prignitz-Museum. 55

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