Zisterzienser und Prämonstratenser
- Reformorden in der Ostkolonisation -
Ab Lübeck zu Klöstern und Domen durch
Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt

Studienreise mit Prof. Dr. Dr. Ulrich Matthée, Kiel,
vom 27. August bis 1. September 2011

1 Die Geschichte
1.1 Einstieg
Die Ausdehnung des Kreuzes über den Limes Saxoniae hinweg - der Grenzlinie Karls des Großen vom Mare Balticum zum Mare Nostrum - gelang erst im dritten Anlauf ab 1134. Die Erfolge Ottos des Großen bzw. des Erzbischofs Adalbert von Bremen waren in den Aufständen der Elbslawen 983 bzw.1066 zugrunde gegangen. Den Kreuzrittern folgten in der zweiten Welle Prämonstratenser und Zisterzienser. Sie bereiteten den Boden für die dritte Welle, die Bauernkolonisten und die Städtegründer. 1

1.2 Bistumsgründungen in Nord- und Ostelbien
Im Winter 928/929 gelang König Heinrich I. der Sieg über die Heveller und die Einnahme der Brennaburg - durch Hunger, Schwert und Kälte, wie Widukind von Corvey schrieb. 2 In Havelberg wurde 946 oder 948 von Kaiser Otto I. das Bistum gegründet, in Brandenburg 948. Das Erzbistum Magdeburg, dem beide Bistümer zugeordnet waren, wurde 968 eingerichtet. Der Magdeburger Erzbischof wurde zum „Metropolit des gesamten Volkes der Slawen jenseits von Elbe und Saale, sei es bereits bekehrt oder noch zu bekehren". Der große Slawenaufstand von 983 fegte deutsche Herrschaft und Bistümer hinweg, Thietmar von Merseburg schrieb eine ausführliche Chronik dazu. Besitzansprüche bestanden weiter, für Havelberg und Brandenburg wurden weiterhin Bischöfe benannt, die in ihre Diözesen strebten. 3
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Bischof Otto von Bamberg, ein organisatorisch begabter Mann, hatte bei seinem zweiten Missionszug nach Pommern im noch heidnischen Havelberg Station gemacht. Über die Eitelkeit des mächtigen und beredten Bischofs von Magdeburg, Norbert von Xanten, ärgerte er sich, der ihn in seinem Gebiet an der Predigt gehindert hatte. 4 Der wichtigste Förderer der Christianisierung des Ostens war Albrecht der Bär, seit 1134 Markgraf der Nordmark bzw. seit 1157 von Brandenburg genannt. Ihm gelang 1136 die militärische Eroberung der Prignitz, jener Landschaft im Nordwesten der Mark Brandenburg, die wie eine Raute von Havelberg im Südwesten nach Wittstock im Nordosten reicht und im Wesentlichen zum Gebiet des Bistums Havelberg werden sollte. 1142 schloss Albrecht einen Erbvertrag mit dem Wendenfürsten Pribislaw, der sich als bekehrter Christ Heinrich nannte. Erst 1157 schaffte es Albrecht, Brandenburg für den Erzbischof Wichmann von Magdeburg zurück zu erobern.

Den sächsischen Prämonstratensern mit 20 vereinten Stiften in der Ordensprovinz Magdeburg gelang es, die Domstifte von Brandenburg (Kapitel 3.3), Havelberg (Kapitel 3.7) und Ratzeburg (Kapitel 3.1.3) zu besetzen. Damit sicherten sie sich großen Einfluss. Wie in einer Urkunde von Bischof Anselm von Havelberg geschrieben steht, sollte durch den heiligen Lebenswandel der Prämonstratenser „jenes schlechte und böse Volk gebessert werden, womit die heidnischen Wenden gemeint waren.

Die Ziele der sächsischen Großen waren mit dem Kreuzzugsgedanken der Kirche gegen die Wenden unvereinbar. Sie strebten nach einer Unterwerfung, nicht einer Verwüstung des Landes, das ihnen mit seinen Tributen eine gute Einnahmequelle war. Nicht durch Mission, sondern vor allem mit Einwanderern aus dem Altreich, wie Flandern, Friesland und Westfalen, wurden die neuen Bistümer im Osten christlich.

Das Bistum Ratzeburg wurde erst in der Kreuzzugszeit eingerichtet, als Kaiser Konrad III. den Herzog von Sachsen, Heinrich den Löwen (Foto links auf Westfenster im Ratzeburger Dom, dessen Modell er trägt), mit dem Gebiet der wendischen Polaben belehnte. Polaben sind die Anwohner der Elbe (po = hin zu, Labe = Elbe).
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Zwei Männer haben der endgültigen Christianisierung und Germanisierung des Landes den Weg bereitet: Heinrich der Löwe als Herzog von Sachsen und Graf Heinrich von Ratzeburg. Der Herzog setzte 1143 den Grafen Heinrich von Badewide ein, an den in Ratzeburg an einer Hausecke nahe dem „Haus Mecklenburg, einer alten Kaserne aus Fachwerk, der Heinrichstein (Foto rechts durch das Gitter, Text übersetzt: „Zu Zeiten König Konrads und Herzog Heinrichs von Sachsen kam Graf Heinrich nach Ratzeburg und gab dort als erster dem Christentum eine feste Grundlage. Seine Seele ruhe in Frieden. Amen. 5) erinnert.

Der neue, seit zwei Jahren regierende, Kaiser Friedrich Barbarossa erteilte 1154 auf dem Reichstag zu Goslar Heinrich dem Löwen das Recht, in seiner Mark Bistümer und Kirchen zu errichten und die Bischöfe von Oldenburg (später Lübeck), Mecklenburg (später Schwerin) und Ratzeburg in ihr Amt einzuweisen. 6 Der Sachsenherzog wählte Evermod als ersten Bischof aus. Die drei Bistümer Heinrichs des Löwen hatten im Reich eine Sonderstellung, denn sie unterstanden nicht wie sonst direkt dem König, sondern waren dem Herzog untergeordnet. Macht und Geld blieben recht bescheiden. Entscheidend war, dass der Herzog 1160 bei einem kühnen Vorstoß ins Obotritenland dieses zum größten Teil in seine Hand bekam.

Die Diözese, also das Bistum Ratzeburg, bestand zu etwa 1/3 aus dem Fürstbistum Ratzeburg. Das Domkapitel der Dom-Kanoniker hatte das Recht auf 1/3, der Bischof selbst aus 2/3 des Zinses aus den Dörfern.
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1.3 Der Hl. Bernhard von Clairvaux
Um 1090 nahe Dijon an der Saône geboren, trat der Rittersohn Bernhard (zu Deutsch „der Bärenstarke") 1112/13 mit etwa 30 Gefährten, davon vier seiner fünf leiblichen Brüder, in das Kloster Cîteaux ein. 7 Hier gewann er schnell das Vertrauen des Abtes, des Engländers Stephan Harding. Der Abt sandte ihn drei Jahre später mit zwölf Mönchen aus, um ein neues Kloster zu gründen: in ein wegen seiner Düsterkeit und als Schlupfwinkel für Räuber gefürchtetes Tal. Bernhard nannte es „clara vallis", „helles Tal", franz. Clairvaux.

Bernhard verfolgte anfangs die rechte Auslegung der Regel des Hl. Benedikt von Nursia in Italien. Er verwarf die Bräuche der Cluniazenser und die kostbare Ausstattung ihrer Kirchen. Denn dort in Cluny, rund hundert Kilometer von Cîteaux, durften zwar die Mönche keinen Besitz haben, sehr wohl aber die Kirche. Prachtvolle Kirchenbauten - in Cluny stand die damals größte Kirche der Welt - und eine großartige Liturgie mit stundenlangen Gottesdiensten überdeckten das Gleichgewicht von Gebet, Lesung und Handarbeit (Benediktiner: „ora et labora", „bete und arbeite"). Bernhard verlangte eine schlichte Liturgie, einfache Kleidung, anspruchslose Nahrung, Lebensunterhalt durch eigener Hände Arbeit. Später modifizierte Bernhard die Benediktsregel in seinen „consuetudines"; statt auf Höhen ließ er seine Klöster in Sumpfniederungen anlegen, den Wert körperlicher gegenüber geistiger Arbeit hob er hervor, und er ordnete den Verzicht auf Bauzier an.

Den Scholastikern, welche den Glauben mit Vernunft zu durchdringen suchten, stand Bernhard skeptisch gegenüber. Er wollte statt Erkenntnisfähigkeit Frömmigkeit fördern. Bernhard war vor allem Mönch und Mystiker. Im Mittelpunkt stand für ihn der leidende und Gott gehorsame Christus. Den Mönchen empfahl er eine Stufenfolge der Demut, um zur Liebe Gottes aufzusteigen. Bernhards Schriften zeigen eine ausgeprägte Marien-Frömmigkeit; sein Orden verehrt bis heute die Gottesgebärerin. Maria zu Ehren wurden alle Klöster der Zisterzienser gewidmet.

Der „honigfließende Lehrer" (lat. „doctor mellifluus", links auf Seitenflügel des Marienkrönungs-Hauptaltars im Brandenburger Dom) Bernhard galt als mitreißender Prediger. Zuerst 1146 auf dem französischen Hoftag in Vézelay unter König Ludwig VII. trat er im Auftrag von Papst Eugen III. auf. Er begrüßte die Bedrohung der Kreuzfahrer, die 1099 Teile des Heiligen Landes erobert hatten, als Zeichen, dass die „angenehme Zeit" zur Buße gekommen sei. Wie der Orient von den Heiden, sollten auch die Seelen der Kreuzfahrer von der Sünde befreit werden. Wie damals Papst Urban II. versprach Papst Eugen III. den Kreuzzugsablass. Bernhard überbrachte diese Aufforderung mit solcher Leidenschaft, dass der französische König und zahlreiche Adlige das Kreuz nahmen, um in den Orient zu ziehen. Das ritterliche Ideal formulierte Bernhard: „Ein Ritter Christi tötet mit gutem Gewissen, noch ruhiger stirbt er. Wenn er stirbt, nützt er sich selber; wenn er tötet, nützt er Christus."

Bernhard rief in Speyer auch den widerstrebenden deutschen König Konrad III. in das höchst fragwürdige Abenteuer des zweiten Kreuzzuges. Die sich sperrenden sächsischen Feudalherren forderte er zu einem Ersatzkreuzzug auf, indem er den Kämpfern den gleichen Lohn für ihr Seelenheil versprach, wenn sie statt gegen die Araber gegen die Mauren in Hispanien oder die heidnischen Slawen antraten, wie Prof. Matthée oft betonte. Bernhard trachtete danach, „... jene Völker entweder gänzlich auszurotten oder zuverlässig zu bekehren ..., ... vernichtet werde entweder der Kult oder das Volk." Kreuzzug und Wendenkreuzzug wurden zu Fiaskos. 8 Das Scheitern stürzt Bernhard in eine schwere Krise.
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Bernhard wird auch die Gründung des Templerordens zugeschrieben, dessen kirchliche Anerkennung er 1128 erwirkte. Seine Schrift „Ad milites templi de laude nove militie" beschreibt die theologischen Grundsätze des gerechten Krieges und rechtfertigt das Handeln dieses Ordens. Im Kampf um den Papstthron unterstützte er den siegreichen Innozenz II. gegen Annaklet II. Seine literarischen Hauptwerke sind „De diligendo deo" („Die Liebe Gottes", 1127), „De gradibus humilitatis et superbiae" („Von Niedrigkeit und Hochmut", 1127) und „De consideratione" („Erwägungen/Betrachtungen" gegenüber Papst Eugen III., 1148). In seinen Schriften erkennt man Bernhards Wesenszüge: sanft und radikal, zerbrechlich und stark, aktiv und kontemplativ, oft unversöhnlich aber empfänglich für Freundschaft, dazu mystisch begabt bis zur Prophetie und Wundertaten. Zu Päpsten war er treu und übte zugleich scharfe Kritik, indem er ihre weltliche Macht geißelte, die ihn eher zu Nachfolgern Konstantins als Christi machten. Sich selbst beschrieb Bernhard als Chimäre, die dauernd mit weltlichen Dingen beschäftigt war, ohne Laie zu sein, und ständig entscheidend in die Belange der Kirche verwickelt war, ohne je Kirchenlenker gewesen zu sein. - Ja, man nannte ihn einen „ungekrönten Papst und Kaiser". 9

Clairvaux gewann rund 700 bis 800 Mitglieder. Bernhard allein konnte jedes Jahr zwei und damit insgesamt 68 Tochterklöster ins Leben rufen. Zur Zeit seines Todes gab es schon 343 Zisterzen. 10 Bernhard starb am 20. August 1153, der sein heiliger Tag ist. Begraben lag er in Cluny. Bereits 1174 wurde Bernhard von Papst Alexander III. heilig gesprochen. 11 (Foto links: rechter Seitenflügel vom Lehniner Altar im Brandenburger Dom)

1.4 Der Hl. Norbert von Xanten
Norbert (zu Deutsch: „die glänzende Kraft aus dem Norden") wurde um das Jahr 1082 vermutlich in Xanten am Niederrhein geboren. Am Ort mit diesem seltsamen Namen, der übersetzt „ad sanctos", also „zu den Heiligen", bedeutet, stand früher das Römerlager Vetera Castra. Für den Hl. Victor und seine Gefährten bestand hier später das Stift Xanten. 12 Da Norbert aus altem Adel der Herren von Gennep stammte, könnte er auch in Gennep in den Niederlanden geboren sein.

Seine Eltern bestimmten den zweitgeborenen Norbert für den geistlichen Stand. Mit zwölf Jahren kam er in das Stift Xanten. Anders als beim bis dahin einzigen Mönchsorden des Abendlandes, den Benediktinern, waren hier vornehme Kleidung, der Genuss von Fleisch und privates Eigentum gestattet. Hier wurde Norbert Subdiakon im Dienst des Erzbischofs von Köln.

Norbert zog als Hofkaplan mit König Heinrich V. nach Rom, wo der König seine Krönung zum Kaiser erzwingen wollte, und dazu Papst Paschalis II. gefangen nahm. Die Spannungen zwischen weltlicher und kirchlicher Macht beeindruckten Norbert. Er wandte sich vom König ab und einem Leben der Buße zu.

Im Jahr 1115 geriet Norbert auf dem Weg von Xanten nach Verden in ein Gewitter, ein Blitz schlug unmittelbar neben ihm ein. Er stürzte - wie einst Paulus - vom Pferd. Darauf verzichtete Norbert auf seine Stellungen beim Erzbischof von Köln und beim Kaiser und damit auf seine Pfründe. Sein Vermögen überließ er den Armen.

Norbert trat in das Benediktiner-Kloster Siegburg ein. Auch im neuen Kloster der Augustiner-Chorherren in Kerkrade lernte Norbert ein strenges Klosterleben kennen und studierte die Schriften des Augustinus. Noch im Jahr 1115 ließ Norbert sich in Köln zum Priester weihen. Er kehrte in sein Stift nach Xanten zurück und forderte hier Reformen ein, die aber abgewiesen wurden. Seit 1118 zog Norbert als Bußprediger durch deutsche und französische Lande. Dies machte ihn beim einfachen Volk beliebt, wurde aber von der Obrigkeit kritisiert. Er wurde in Fritzlar angeklagt.

Norbert zog nach Südfrankreich. Der dort residierende Papst stattete ihn mit einer Vollmacht zur Mission aus. Der folgende Papst wies den Bischof von Laon an, vagabundierenden Predigern eine feste Heimat zu geben. Da Norbert den Klerikern dort zu streng war, schickten sie ihn weg. Norbert erschien in einem Traum Maria, die ihm eine Wiese mit einer verfallenen Kapelle wies: auf Lateinisch „pratum demonstratum", wovon sich der Name Prémontré ableitet. Norbert weilte nur selten in seinem neuen Kloster, sondern wanderte und predigte, einfachen Leuten wie auch dem Adel. Auf seinen Wanderungen schuf Norbert mehrere Klöster.

Papst Honorius II. und König Lothar III. beriefen Norbert 1126 zum Erzbischof von Magdeburg. Die Leitung seines Ordens gab Norbert zur großen Enttäuschung seiner Anhänger ab. In Magdeburg musste er, ähnlich wie in Laon, gegen Widerstände ankämpfen: Er verlangte die Ehelosigkeit (das Zölibat) und stellte Besitzstände in Frage.

Nachdem er einen Aufstand mühsam überlebt hatte, wandelte er das bestehende Stift „Unser Lieben Frauen" in ein Prämonstratenser-Kloster um (siehe Kapitel 3.5). Norbert tat sich, stets auf der Suche nach dem richtigen Weg zum intensiv gelebten Christentum, als Erzbischof hervor, scheint aber weniger an individuelle Bekehrung als vielmehr an der Erweiterung seiner Machtbasis gedacht zu haben. 13

Mit dem sächsischen Kaiser Lothar III. unternahm Norbert als Kanzler für Reichs-Italien einen Zug nach Rom. Hier infizierte er sich mit Malaria und kehrte geschwächt nach Magdeburg zurück, wo er bald am 6. Juni 1134 starb. Er wurde in seiner Ordenskirche beigesetzt (ehem. Grabplatte). Seine Gebeine wurden 1627 (mitten im Dreißigjährigen Krieg) in das Kloster Strahov bei Prag überführt.

Norbert wurde 1582 durch Papst Gregor XIII. selig und 1621 von Papst Gregor XV. heilig gesprochen. Norberts Tag im Heiligenkalender ist der 6. Juni. In Deutschland sind ihm 26 Kirchen geweiht. 14
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1.5 Der Orden der Zisterzienser
Seit der Heilige Benedikt von Nursia sein Kloster Monte Cassino (bei Rom) um 529 gründete, blieben die Benediktiner der einzige Mönchsorden für ein halbes Jahrtausend, um in späterer Zeit zu verlottern, wie Prof. Matthée seinen Kurzvortrag einleitete. Die Geschichte der Zisterzienser beginnt 1098 mit dem Auszug des Abtes Robert von Molesme in die Einöde bei Dijon in Burgund.
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In der Einsamkeit „cis tertium millennium lapidem", „diesseits des dritten Meilensteins", auf Französisch Cîteaux, wollte er mit 21 Gefährten gemeinsam zur reinen Regel der Benediktiner, der „regula benedicti" von 540, zurück kehren. Das Stammkloster gab seinem neuen Orden den Namen: „ordo cisterciensis", Zisterzienser. Wirklich ins Reich der Legenden gehört die Ableitung von der Zistel, einer Schilfrohrpflanze (Foto oben rechts: Parsteiner See bei Kloster Chorin). 15 Zwar kehrte Robert auf Anordnung des Papstes Urban II. bald nach Molesme zurück, doch das neue Kloster übte starke Anziehungskraft aus. Alberich, dem zweiten Abt, gelang 1119 die Anerkennung des Ordens durch Papst Calixt II. 16

Schon unter dem dritten Abt, Stephan Harding, wurden zahlreiche neue Klöster gegründet. Mit den Gebräuchen von Cîteaux verfasste Harding die „charta caritatis", also die Verfassung der Nächstenliebe, die fortan in allen Zisterzienserklöstern galt. 1113 kam der Novize Bernhard in das Kloster. Schon zwei Jahre darauf wurde er Gründerabt von Clairvaux. Durch sein Charisma nahm der Orden einen enormen Aufschwung - nach ihm wird der Orden manchmal auch Bernhardiner genannt.

Die ersten vier Klöster nach Cîteaux waren La Ferté (1113), Pontigny (1114), Clairvaux und Morimond (beide 1115). Damit gibt es fünf Primarabteien bzw. Mutterklöster. Alle anderen gelten als Tochterklöster, sog. „Filiationen". Morimond, übersetzt aus „mourir dans le monde", „sterben in der Welt", strahlte besonders nach Nordosten aus, nach Deutschland, Polen, Böhmen und Österreich. 17 Bis Mitte des 12. Jh. gab es schon über 300 Zisterzen, zum Ende des Mittelalters mehr als 700. Nicht alle waren Neugründungen, manche traten auch aus anderen Orden über. Auf deutschem Boden entstanden 91 Männerklöster; das erste war 1123 Kamp, heute Kamp-Lintfort am Niederrhein.

Die Primaräbte besuchten regelmäßig ihre Tochterklöster. Einmal im Jahr erschienen alle Tochteräbte zum Generalkapitel in Cîteaux, „der Mutter aller anderen".

Die Mönche lebten nach der Rodung von der Landwirtschaft und der Fischwirtschaft, betrieben aber, wo dies möglich war, auch Weinbau bzw. Bergbau oder Salzgewinnung. In den nahen Städten wurden später Wirtschaftshöfe eingerichtet, wo die Überschüsse vermarktet werden konnten.

Hauptaufgaben der Chormönche waren Gottesdienst und die sieben Stundengebete am Tag. Zu Priestern geweihte Mönche spendeten zusätzlich Sakramente wie Messen lesen, Beichten abnehmen. Für die Arbeit nahmen die Mönche einfache Leute als Laien auf, die sog. „Konversen". Sie hatten die Gelübde abzulegen, durften aber den Abt nicht mitwählen und bei den Beratungen nur zuhören. In der Kirche hatten sie eigene Sitze, im Kloster bewohnten sie meist den Westflügel.

Schon Abt Stephan Harding förderte einen Frauenkonvent in Tart bei Cîteaux. Um 1250 bestanden über 1.000 Frauenkonvente.

Die Regeln für den Klosterbau sahen den weitestgehenden Verzicht auf Bauzier vor. Eine Krypta und ein Turm wurden nicht gebaut, für die Glocke genügte ein Dachreiter. Der Chor wurde ohne Apsis flach geschlossen. Die Kirche wurde in der Form der Basilika mit hohem Mittelschiff und niedrigen Seitenschiffen gebaut. In die Westfront war oft eine offene Vorhalle einbezogen. Skulpturen an Portalen und Kapitellen sowie Bilder verbot Abt Bernhard. Ende des 12. Jh. kamen Kapellen um das Chorquadrat hinzu, so dass jetzt eine polygonale Apsis entstand.

In den übersetzten Regeln liest sich das so: „Wir untersagen die Anbringung von Skulpturen und Malereien in unseren Kirchen und im Kloster, denn bei ihrem Anblick vergisst man häufig die Nützlichkeit einer guten Meditation und die Disziplin des religiösen Ernstes." Weiter: „Gott erfreut sich nicht so sehr an poliertem Marmor als an tugendhaften Sitten und liebt die reinen Herzen mehr als vergoldete Wände." Und: „Die Verwendung von goldenen Kreuzen ist untersagt, man verwende Holzkreuze; ein einziger Kandelaber aus Eisen genügt." 18

Im Laufe der Zeit wurden auch viele Klöster der Zisterzienser reich. Die Konvente der Mönche konzentrierten sich auf geistige Arbeit und literarische Tätigkeit. Der soziale Gegensatz zwischen Mönchen und Konversen brach mehrfach auf. Mit den neuen Bettelorden der Franziskaner und Dominikaner in den Städten entstand eine Konkurrenz um junge Menschen für das Klosterleben. Fast das ganze abendländische, christlich-katholische Europa war erschlossen, so dass es keine Ausdehnung mehr geben konnte. Damit, wie auch durch die Überdehnung der Kräfte mit einem totalen Spannungsabfall, erlahmte und erstarrte der Orden, wie Prof. Matthée betonte. Die Reformation in Mitteleuropa, Kriege und die Französische Revolution löschten den Orden fast aus. Ende des 19. Jh. lebte der Orden wieder auf. Die Zisterzienser widmen sich heute vermehrt der Seelsorge und dem Unterricht. Ein kontemplatives Leben führen die Trappisten, die 1892 in La Trappe in der Normandie als Reformzweig „der strengen Observanz" entstanden.

Heute gibt es 88 Zisterzen, davon nur zwei in Deutschland, mit rund 1.500 Ordensbrüdern. Die etwa 900 Zisterzienserinnen 19 leben u.a. auch auf deutschem Boden in acht Klöstern, z.B. Seligenthal in Landshut, Marienthal und Marienstern in der Oberlausitz; wieder begründet wurde Helfta bei Eisleben. 20 Den Zisterzienserorden leitet nach der Aufhebung des Mutterklosters Cîteaux in der Französischen Revolution ein Generalabt von Rom aus. Am Generalkapitel nehmen alle Äbte und Äbtissinnen teil. Regional bestimmte Kongregationen haben seit dem 16. Jh. das Filiationsprinzip ersetzt.

1.6 Der Orden der Prämonstratenser
Der Reformorden wurde von Norbert von Xanten 1120 in der Diözese Laon in der nordfranzösischen Picardie gegründet. 13 Männer und später auch Frauen lebten im neuen Kloster nach dem Vorbild des Urchristentums: arm, gemeinsam und hilfsbereit. Auf der Basis der Augustinus-Regel werden Armut, Enthaltsamkeit, Gehorsam, Zurückgezogenheit, Beschaulichkeit und das Wander-Apostolat erwartet. Das Stundengebet und das gemeinsame Mahl im Refektorium sind üblich. Caritas, Seelsorge und Mission sind die Schwerpunkte. Anders als die Benediktiner verbinden die Prämonstratenser das kontemplative monastische Leben mit der nach außen gerichteten Seelsorge (sog. Vita Mixta).

An Weihnachten 1121 legten sie vor Gott ein feierliches Gelöbnis ab, die eigentliche Geburtsstunde des neuen „Candidus et canonicus ordo praemonstratensis", auch Norbertiner genannt. Das weiße Bußkleid wurde Ordenstracht, danach heißen die Priester und Laienbrüder Weiße Brüder. Eine weiße Tunika wird von einem Gürtel (lat. Zingulum) umfangen und darüber ein weißer Überwurf (lat. Skapulier) getragen. Auch im Gewand (allerdings mit schwarzem Skapulier) und in der Marienverehrung ist die Nähe zum Zisterzienser-Orden spürbar. Denn Norbert war mit Bernhard befreundet und von den Idealen der Zisterzienser beeinflusst; dennoch waren die Prämonstratenser eine sehr eigenständige Bewegung.

Papst Honorius II. bestätigte den neuen Orden aus inzwischen neun Häusern 1126. In nur einem Jahrhundert breitete sich dieser Orden über ganz Europa aus. Anfangs bestanden Doppelklöster, in denen Männer und Frauen gemeinsam lebten, die sich aus Gründen der Disziplin nicht halten konnten. Schon wenige Jahre später wurden Männer- und Frauenkonvente räumlich deutlich getrennt.

Nach Norberts Wahl zum Bischof von Magdeburg gab er die Leitung an seinen alten Weggefährten Hugo von Fosses ab. Erst durch dessen organisatorisches Wirken entstand der eigentliche Orden. Gemeinsam mit den Brüdern, den Canonici, leben für die praktische Arbeit Laienbrüder, die Conversi, im Kloster, wie es schon zuvor bei den Zisterziensern war. Die Prämonstratenser sind jedoch keine Mönche. Aus der Verbesserung der Landwirtschaft zog sich der Orden allmählich zurück. Das Schreiben und Kopieren von Büchern blieb aber, und die Lehrtätigkeit nahm zu.

Die „vita canonica", nach den „canones", den Richtlinien, legte der Hl. Augustinus als Bischof mit seinen Klerikern um 430 fest. Darin werden für die Geistlichen fest geschrieben: die gemeinsame Feier des Gottesdienstes, gemeinsames Gebet im Chorraum der Kirche (daher Chorherren), gemeinsame Arbeit und gemeinsame Mahlzeiten.

Mitte des 14. Jh. soll es rund 1.300 Männer- und 400 Frauen-Klöster gegeben haben. In der Reformation verlor der Orden etwa die Hälfte seiner Klöster, in der Französischen Revolution wurde er fast ganz vernichtet 21 nur acht Häuser in Österreich-Ungarn bestanden fort.

Heute hat der Orden etwa hundert Niederlassungen auf allen Kontinenten. Den Orden leitet der Generalabt von Rom aus, er vertritt den Orden nach außen und vor dem Papst. Den Generalabt wählt das Generalkapitel, das alle sechs Jahre tagt. 22 Die Landesverbände werden Circarien genannt.

1.7 Die Protestanten
Prof. Matthée gab einen Exkurs in die Reichsgeschichte, wie der Begriff der Protestanten entstand. Kaiser Karl V. herrschte nicht nur über das deutsche Reich, sondern auch über das spanische Weltreich. In Spanien, einem Zentralstaat, stand ihm als stehendes Herr die Infanterie, also die Truppe des Infanten, des Prinzen, zur Verfügung. Diese Infanterie war viel mehr wert als die Kontingente, die ihm die unzuverlässigen Fürsten der deutschen Gliedstaaten schuldeten. So setzte der Kaiser die Spanier auch als Waffe gegen die Reformation Martin Luthers ein.

Auf dem Reichstag in Speyer 1526 war der Kaiser in dreifacher Not: Der Krieg gegen Franz I. von Frankreich beschäftigte ihn sein Leben lang. Dazu kam der Streit mit dem Papst Clemens VII. um seine Kaiserkrönung. Zudem hatte der türkische Sultan Suleiman der Prächtige die Grenzfeste Belgrad besetzt; bei Mohácz waren nun die Ungarn und Böhmen unterlegen, so dass die Türken gegen Wien marschierten. Der Kaiser musste also Zeit schinden. So gab er die Erlaubnis, bis auf Weiteres die Reichsstände nach ihrem Gewissen vor Gott ihre Konfession selbst wählen zu lassen. Dies nennt man die Magna charta der evangelischen Kirche. Als erster machte Landgraf Philipp der Großmütige von Hessen von seinem neuen Recht Gebrauch, die föderative Partei stärkte sich. 23

Doch König Karl V. wollte die verlorenen Reichskompetenzen zurück, und zwar schnell, solange das Fenster der Geschichte offen stand. 1529 hatte sich die Lage entspannt: Die Türken waren von Wien abgezogen; der König war in Bologna zum Kaiser gekrönt, mit Franz I. kam es zum Frieden zu Cambrai und damit Italien an das Reich Karls. Die Offenhaltungsklausel, nach der ein Weltkonzil entscheiden sollte, wurde vom Kaiser zurück gezogen, auf dem II. Reichstag zu Speyer wollte Karl alles vom I. Reichstag rückgängig machen. Wer dagegen protestierte? Fünf Fürsten und 14 Reichsstände: a) Kurfürst Johann der Beständige von Sachsen, b) Landgraf Philipp von Hessen, c) Herzog Ernst der Bekenner von Braunschweig-Lüneburg, d) Markgraf Georg von Brandenburg-Ansbach und e) Graf Wolfgang von Anhalt. Die Reichsstände waren insbes. Augsburg, Kaufbeuren, Kempten, Memmingen, Nürnberg, St. Gallen, Straßburg. Das sind die Protestanten. Lübeck trat später hinzu unter Bürgermeister Jürgen Wullenwever, der sich gegen Nikolaus Brömse durchsetzte.

Zu den Protestanten im weiteren Sinne zählt neben der Reformation Luthers von Wittenberg auch die Bewegung Ulrich Zwinglis in Zürich, der politische Macht lustvoll ergriff und die Reformation per Erlass durchsetzen wollte. Beim Marburger Religionsgespräch zwischen Zwingli und Luther blieb letzterer in der Abendmahlsfrage unversöhnlich. Das dritte Zentrum war Genf, wo Jean Cauvin, bekannter als Johannes Calvin, zunächst die französisch sprechende Westschweiz (Urheimat der Familie Matthée) reformierte. Da Zwingli im Kampf bei Kappel fiel, gibt es im Protestantismus als Weltkirche neben den Lutheranern die sog. Reformierte Kirche nach Calvin.

Calvin und Zwingli verstanden sich übrigens als Alttestamentler, ihre Bethäuser nannten sie Tempel, während Luther sich als Neutestamentler verstand und seine Gotteshäuser Kirchen nannte. Der Unterschied der beiden Testamente liegt vor allem im Gottesbegriff: Im Alten Testament ist Gott streng, strafend, fordernd; im Neuen Testament dagegen milde, gnädig und barmherzig. Auch die häufigsten Vornamen deuten heute noch die Zugehörigkeit zu einer der Lehren an: So hießen Matthées Vorfahren u.a. Adam, Isaac, Josua und Jakob; er zitierte auch das Wappenmotto seiner Familie von vor vier Jahrhunderten. 24

Calvinistische Lebenshaltung ist also lebenslanges Arbeiten und Sparen - eine Folge der doppelten Prädestination. Der Platz beim Jüngsten Gericht ist vorbestimmt, ob Gnade oder Ungnade. Denn Calvin fragte, wer wisse schon, wozu Gott ihn erwählt habe? So bleibt nur der Weg in harte, lebenslange, ergebnisorientierte Arbeit. Der Mensch muss der Versuchung widerstehen, sein Geld im Luxus zu vergeuden; er muss sein erworbenes Geld statt dessen in den Güterkreislauf zurück führen, um Rendite zu erzielen - so wird Geld zu Kapital.

Vier Konsequenzen ergeben sich laut Matthée: 1. die Idee der permanenten Bewährung (jeder Tag ist Examen), 2. die Idee der Rationalisierung der Lebensführung (Zeit ist eine knappe Ressource), 3. die Idee der innerweltlichen Askese (statt Eremitendasein), 4. die Idee des Berufes als Berufung (Tätigkeit wie von Gott gewollt). Nach dieser Ideenlehre sind als Staaten erfolgreich: die Schweiz, die Niederlande, die USA (und war früher das weiße Südafrika).

Luthers Kampf um die Reformation entzündete sich vor allem am Ablasshandel. Ablass ist quasi der Erwerb von Wertpapieren zum Ausgleich der weiter bestehenden Sünden. Albrecht II., Erzbischof und Kurfürst von Mainz, Markgraf von Brandenburg, wurde 1518 Kardinal. Er hatte hohe Schulden beim Bankhaus Fugger, für deren Tilgung er die eine Hälfte, die andere für den Bau des Petersdoms in Rom von den Einnahmen aus dem Ablassbriefverkauf durch Johannes Tetzel verwandte. Bei Treuenbrietzen, zwischen dem sächsischen Wittenberg und dem brandenburgischen Potsdam, blühte der Handel: Katholisch gebliebene Sachsen kauften in der brandenburgischen Kleinstadt die Briefe. Brandenburgs Kurfürst Joachim I. blieb Katholik, erst sein Sohn Joachim II. vollzog 1539 die Reformation. In Spandau, in der Nikolaikirche, nahm er das Abendmahl in beiderlei Gestalt: als Priester- und als Laienkelch. 25

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