4 Worpswede
4.1 Die Gemeinde im Teufelsmoor
Das Moor hat mit dem Teufel nichts zu schaffen. Aus dem "doven", also tauben, unfruchtbaren Land zwischen Wümme und Oste wurde im niederdeutschen Sprachgebrauch das "Düvelsmoor", hochdeutsch Teufelsmoor. Über alle Jahrhunderte prägte das Teufelsmoor nordöstlich von Bremen das harte Leben im Dorf um den 54 Meter hohen Weyerberg, der die flache Umgebung überragt. "Worps" bedeutet Hügel, "Wede" ist der Wald.

Worpswede wurde bereits 1218 erstmals urkundlich erwähnt, als es seinen halben Zehnten an das Kloster zu Osterholz abtrat. Noch Mitte des 16. Jh. wurden erst acht Siedlerstellen gezählt. 1751 begannen die Trockenlegungen mit Entwässerungsgräben unter dem "Königlichen Moorkommissar" Jürgen Christian Findorff, der später als "Moorvater" verehrt wurde.

Der Ort wäre unbekannt geblieben, hätte sich hier nicht eine Künstlerkolonie angesiedelt. Der Düsseldorfer Kunststudent Fritz Mackensen wurde 1884 zufällig mit der Kaufmannstochter Mimi Stolte aus Worpswede bekannt. Er war von der Landschaft und seinen Bewohnern begeistert. 1889 kehrte er mit seinen Kommilitonen Otto Modersohn und Hans am Ende zurück. Ihr Entschluss zu bleiben wurde zur Geburtsstunde der Malervereinigung. Mit ihren lyrischen Landschaftsauffassungen hatten die "Worpsweder", verstärkt um Fritz Overbeck und Heinrich Vogeler, große Publikumserfolge. Frauen hatten noch keinen Zugang zu Akademien; Paula Becker war die erste, die mit unsentimentalen und auf das Elementare reduzierten Menschendarstellungen Kunstgeschichte schrieb. 27

Die unübersichtliche, weit verzweigte Einheitsgemeinde ohne Kern umfasst im Halbkreis den Weyerberg und zählt mit den vor über drei Jahrzehnten eingemeindeten sieben Ortsteilen knapp 9.500 Einwohner. 28

4.2 Große Kunstschau
Etwa in der Mitte des Wegenetzes von Worpswede liegt das Hoetger-Ensemble. Der Maler, Bildhauer und Architekt Bernhard Hoetger errichtete den Gebäudekomplex 1924 - 27, zu dem ein Logierhaus mit Künstlerunterkunft, ein Restaurantbetrieb und Kaffeehaus sowie die Große Kunstschau als Ausstellungshalle gehören.

Das Roselius-Museum für Vor- und Frühgeschichte wurde 1971 rechts daneben gebaut. Seit Ostern 2005 ist die Kunstausstellung hierher umgezogen, nachdem die kreisrunde Lichtkuppel von 1927 im Dezember 2004 baufällig geworden war. Seitdem laufen Bauarbeiten. Mit Hilfe der Bundesrepublik Deutschland, des Landes Niedersachsen, der Niedersächsischen Sparkassenstiftung und des Landkreises wurden 1986 große Teile der Kunstsammlungen aus dem Nachlass von Ludwig Roselius angekauft und hier ausgestellt. Betreiber der Kunstschau in der Lindenallee ist seit Dezember 1999 die Kulturstiftung des Landkreises Osterholz.  
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4.3 Kaffeehaus mit Bonze
Dieses "Kaffee Worpswede" war immer ein Café, eben mit eingedeutschtem Namen. Das Bauwerk aus Fachwerk mit Klinkern wurde 1925 geschaffen. Wegen seiner geschwungenen Balken wird es auch "Kaffee Verrückt" genannt, wie die Einheimischen es auf Plattdeutsch ausdrückten: "Dei is verrückt, de Kerl".
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Mit dem Kerl meinten sie Bernhard Hoetger, den Architekt, Baumeister und Künstler. Dieser Künstler soll etwa 100.000 Reichsmark für das Gebäude aufgebracht und hier seine kreativen Schöpfungen angeboten haben. 30  Eine Skulptur macht sich im Kiefernwald gegenüber breit: der "Bonze des Humors", eine lachende Buddha-Statue (oben rechts). - Einige von uns nutzten das Haus gemäß seiner Zweckbestimmung und legten hier nach dem Kunstgenuss eine Kaffeepause ein (Foto links).

4.4 Käseglocke
Ob Käseglocke oder Teekessel - dieses Objekt aus einem halbkugelförmigen Dach mit Gauben erinnert nicht sehr an ein Haus. Der Schriftsteller Edwin Koenemann ließ diesen Kuppelbau 1926 am Weyerberg bauen. Die Idee stammt vom Architekt Bruno Taut und einer Ausstellung in Magdeburg. Inzwischen wurde das Holzhaus renoviert. - Wir umrundeten die "Käseglocke" mit ihrer skurrilen Grotte im Wald.
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4.5 Barkenhoff
Die auf Hochdeutsch "Birkenhof" heißende Bauernstelle liegt recht versteckt hinter tiefen Tälern und Wald. Heinrich Vogeler kaufte das Anwesen 1895. Das große Fachwerkhaus ist hinter einem Anbau im Jugendstil verdeckt. Der Schweifgiebel und die geschwungene Gartentreppe sind und bleiben ein begehrtes Mal- und Fotomotiv (unten das Gemälde von Vogeler, ausgestellt in der Großen Kunstschau).
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Der Barkenhoff etablierte sich schnell zum Mittelpunkt der Künstlerbewegung von Worpswede. Heinrich Vogelers zweite Ehefrau trug dazu bei, den Hof der kommunistischen "Roten Hilfe" zu überschreiben. Zwischen dem Ersten Weltkrieg und 1925 diente der Hof als Kommune und "Arbeitsschule", danach bis 1932 als Kinderheim. Später verfiel der Hof und ging an die öffentliche Hand über. 2003/04 grundlegend renoviert dient er heute als Museum sowie als Werkstatt und Atelier für internationale Stipendiaten der Barkenhoff-Stiftung.

Im Haus befindet sich das "Heinrich-Vogeler-Museum", seit einigen Jahren sehr modern und städtisch eingerichtet. Die Sammlung umfasst eine Vielzahl von Exponaten aller Genres. Neben Ölgemälden und grafischen Arbeiten gehören auch Werke aus der Angewandten Kunst wie Möbel, Porzellan und Schmuck zu seinem Bestand. Eigentümerin ist die Barkenhoff-Stiftung Worpswede, mit deren Gründung 1981 ein Großteil der Sammlung konzentriert wurde. Der Hauptanteil wurde durch die Erbengemeinschaft Vogeler und das Worpsweder Archiv eingebracht.

Der Rundgang beginnt mit einer kleinen Auswahl von Gemälden, Grafiken und Kunstgewerbe-Objekten, welche die frühe Schaffensphase dokumentieren. Ein weiterer Abschnitt widmet sich Vogeler als Buchkünstler und Illustrator. Im Dachgeschoss zeigen sich Originalmöbel, Entwürfe, Schmuck, Glas u.a. im Jugendstil. Der hintere Teil veranschaulicht mit Gemälden die Suche Vogelers nach seinem ganz eigenen Stil.
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Der Eintrittspreis für Gruppen ab 10 Personen liegt bei 25 Euro - für die Gruppe, was sich auch angehende Künstler leisten können. 31 Aus unserer Reisegemeinschaft fand sich - nach dem obligatorischen Gruppenfoto auf der Gartentreppe - eine zehnköpfige Schar Kunstsinniger zur Besichtigung des Museums, welche die hellen Räume des Erdgeschosses und die niedrigen Schlafräume unter dem Dach erkundete. (Foto: Gruppe des Historischen Vereins auf der berühmten Gartentreppe)

4.6 Haus im Schluh
Wie ein Haken schlagender Hase nähert man sich - am besten zu Fuß - auf einem rechtwinklig mal links, dann rechts abknickenden Sandweg dem Gehöft, etwa 20 Minuten vom großen Parkplatz entfernt. Der Weg lohnt sich - denn hier wirkt alles original, alt, eng und düster, wie man es am Rand des Moors erwartet.

Die einstige Moorkate aus Lüningsee wurde 1920 von Martha Vogeler hierher umgesetzt. Martha verließ mit ihren drei Töchtern den Barkenhoff und zog mit ihrem Freund Ludwig Bäumer in das "Haus im Schluh", auf Hochdeutsch "Sumpf".
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Inzwischen stehen hier drei Häuser: Das Moorhaus als Wohnhaus, die große Handweberei in einem mächtigen Vier-Ständer-Fachwerkbau, welcher 1937 aus Grasdorf versetzt wurde, und die Gästepension. Im Wohnhaus schaffen Möbel, Bilder, Porzellan und Hauhaltsutensilien eine Wohlfühl-Atmosphäre. Die drei Webstühle auf der großen Diele, einst Arbeitsbereich von Tochter Bettina, können noch heute betrieben werden (links). Ein kleines Café rundet diesen idyllischen Ort ab. - Ob außer mir andere Teilnehmer unserer Reise diesen verwinkelten Ort gefunden haben, bleibt dahingestellt.

4.7 Bahnhof
Für den "Moorexpress" von Bremervörde nach Osterholz-Scharmbeck wurde am unteren Ortsrand ein Bahnhof gebraucht. 1910 entwarf Heinrich Vogeler nicht nur das Gebäude, sondern auch dessen Einrichtung mit Mobiliar im Jugendstil. Nach der Streckenstilllegung wurde der Bahnhof 1978 renoviert. Heute wird in den Wartesälen von der I. bis III. Klasse und im "Dienstzimmer" ein gutes Restaurant betrieben. - Wir waren bereits in Gedanken auf der Heimfahrt und fanden keine Zeit zum Speisen. 31a

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