3.9 Boberstein/Bobrów
An einer Kehre des Bobers erhebt sich trutzig der aus Ziegelsteinen gemauerte Baukörper des späten 19. Jhs. über dem rauschenden Fluss. Sein pittoresker Turm, einer der höchsten im Tal, scheint seine Vorbilder an der Loire zu suchen. Von weitem entsteht der Eindruck eines "Dornröschen-Schlosses". Diese Anmutung täuscht zunächst nicht. Verfallen, von den Menschen scheinbar vergessen, ragt das mächtige Bauwerk ohne schützendes Dach über die dunklen Wipfel der Bäume. Und doch - es wird wieder gebaut. 44
Bildname
Um 1450 muss der befestigte Herrensitz entstanden sein, von dem möglicherweise noch die Böschungsmauern zeugen. Im 16. Jh. stand hier wohl ein Wohnturm und ein kleines "Festes Haus". Als Eigentümer war zunächst Nickel Freiherr von Zedlitz ab 1598 genannt. Das im Stil der Renaissance umgebaute Schloss, im Dreißigjährigen Krieg erheblich zerstört, blieb in der Familie bis zum Verkauf 1669. Das Schloss wechselte noch mehrmals seine Besitzer. Sogar eine Banknoten-Druckerei soll sich im 19. Jh. im Haus befunden haben.

Hans Rudolf Emil von Decker ließ das Herrenhaus 1894 von einem Berliner Architekten im Stil der Neorenaissance umbauen, verstarb aber schon zwei Jahre später. Der Hauptbau wurde erweitert, der Turm erhöht und mit einem markanten Zeltdach versehen. Um den eingeebneten Hof entstand ein Karree umfangreicher niedriger Nebengebäude, die von wehrhaften, an den römischen Limes erinnernden, Türmen begrenzt wurden. 1933 wurde das Schloss an den Staat verkauft, das Land nicht. Die Nationalsozialisten richteten 1934 eine "SA-Sportschule" ein. Vom September 1939 an diente das Gebäude zeitweilig als Lager für rund 300 polnische Zivilgefangene, danach für deutsche Umsiedler aus der Bukowina und bis zum Kriegsende als Deportiertenlager für Luxemburger, die sich aber eher frei bewegen und ihre Kinder ins Dorf zu Schule schicken durften.
Bildname
Nach dem Krieg nutzte die Rote Armee die Gebäude, später wurden hier Kader-Kommunisten als politische Flüchtlinge aus Griechenland untergebracht, von denen einige noch heute hier leben. Zuletzt war es Ferienlager und Sitz einer Landwirtschaftlichen Produktions-Genossenschaft. Ab 1970 stand das Schloss leer und verwahrloste. Die Dachsteine wurden 1972 zum Zweck der Materialgewinnung für eine neue Villa eines Kommunisten in Hirschberg geplündert. 45  Das Holz verfaulte, Bäume wuchsen, die Ruine war abrissreif. 1992 wollte die Gemeinde das Areal abstoßen. 1994 erwarb ein deutsch-polnischer Verein das Anwesen, dessen Hofgebäude überwiegend als Kinderferienheim genutzt werden. - Wir hatten Gelegenheit, an einer Kaffeetafel im sonnigen Hof teilzunehmen.

Der Besitzer, der Pole Günter Artmann, erzählte uns bei der Führung über die Baustelle und am Kaffeetisch über seine Pläne. Zum Schloss gehörten zuerst nur 4 Hektar Land; Artmann hat 20 hinzu gekauft, um fremde Wohnhäuser auf Abstand zu halten. Grund und Boden haben ihn 650 Tausend Euro gekostet. Ursprünglich hatte Boberstein 305 Hektar Land, davon 1/3 Gewässer, 1/3 Wald, 1/5 Acker und der Rest Wiesen.

Die Geldbeschaffung ist schwierig, Artmann hofft auf EU-Gelder, weiß aber, die polnische Zentralregierung möchte diese Mittel lieber Warschau und Krakau zuwenden statt ehemals preußischen Kulturgütern (links: Reste der Tapete mit Preußenadler).
Bildname
Bildname
Vorsichtig schätzt er die Kosten auf etwa 3,5 Mio. Euro. Bis jetzt wurden etwa 0,8 Mio. Euro investiert, "nach heutigem Geld gerechnet", wie Artmann sagte, denn die Löhne sind auf das 10- bis 20-fache gestiegen. Die Gelder anzusparen bringt bei 8 bis 10 % Guthabenzinsen nicht viel, sie müssen frühzeitig investiert werden. Über dem 1. und 2. Obergeschoss wurde inzwischen je eine stabile Betondecke gegossen (unten: Grundrisszeichnung, zu sehen im Museum Lomnitz).
Bildname

Günter Artmann, der in den 70er Jahren nach Deutschland ging und gut Deutsch spricht, stellt sich eine gastronomische Nutzung der unteren Etage vor, während das 1. Obergeschoss musealen und das 2. Obergeschoss sowie die Dachgeschosse wohnwirtschaftlichen Zwecken dienen könnten. Im 2. OG sollen vier Eigentumswohnungen an den Seiten und eine in der Mitte entstehen, ebenso im Dachgeschoss. Als Kaufpreis kalkuliert er 2.500 Euro pro Quadratmeter, wozu umfangreiche Gemeinschaftsräume zur Mitbenutzung beitragen.

Artmanns Idee ist, jede der vier einst hier gewesenen Nationen könnten im 1. OG für sich einen Gedenkraum einrichten. Die Lage über dem Bober, mit Blick auf die Falkenberge und zur Schneekoppe, ist optimal, der Weg zur Großstadt Hirschberg nur wenige Kilometer kurz.
Bildname

3.10 Lomnitz/Lomnica
Lomnitz - schon der Name klingt märchenhaft. Lomnitz ist zunächst ein Flüsschen, welches wie der Bober vom Riesengebirge in Süd-Nord-Richtung der Oder entgegen plätschert. An diesem Flüsschen ruht ein sonnengelbes, barockes Schlösschen - und ein zweites gleich nebenan.

Ein Waldhufendorf namens Lomnitz wurde schon im 14. Jh. erwähnt. Im 15. und 16. Jh. waren die Freiherren von Zedlitz die Gutsbesitzer. Ab 1650 bis 1738 gehörte es den Freiherren von Tomagnini.
Bildname

Der mit Anna Elisabeth von Zedlitz verheiratete kaiserlich-österreichische Obrist-Leutnant Matthias de Tomagnini ließ das Barockschloss um 1720 erbauen. Danach erwarb der "Schleierherr", ein Leinenhändler, Christian Gottfried Menzel aus dem nur drei Kilometer entfernten Hirschberg das Anwesen, und zwar mit einer Ausnahmegenehmigung als Bürgerlicher. Er wird recht wohlhabend gewesen sein, denn er spendete für die Gnadenkirche in Hirschberg die Barockorgel. Christian Gottfried Menzel II. ließ ab 1803 das Witwenschloss bauen. Von den Erben seines Nachfolgers, Baron Moritz von Roth, kaufte der preußische Legationsrat und zeitweiliger Gesandter für Sizilien in Neapel Carl Gustav Ernst von Küster 1835 das Schloss. Er ließ es "in biedermeierlichen Formen" geringfügig umbauen.

Familie von Küster behielt das Schloss mit dem Dominium von 350 Hektar bis 1945, als sie in den Westen fliehen musste. Das Schloss wurde komplett geplündert und die Gegenstände vor dem Haus verbrannt. Der Grundbesitz wurde enteignet und verstaatlicht. Im Großen Schloss wurde eine Grundschule eingerichtet, im Kleinen Schloss die Leitung des Staatsgutes untergebracht. Der Park verwilderte und wurde als Müllkippe missbraucht. Ab 1980 verfiel das große Schloss zur Ruine.
Bildname

Das Bewusstsein für den verlorenen Besitz blieb jedoch wach. Wie die Familie in einem Dokumentarfilm berichtete, hing im "Exil" in Wiesbaden ein Bild an der Wand. Der junge Ulrich von Küster fragte seine Großmutter Constanze, was es zu bedeuten habe, und bekam zur Antwort: "In diesem Haus haben wir früher gewohnt." Er ungläubig: "Was, in einem Schloss?". Und wenn einmal ein Möbelstück auf den Sperrmüll sollte, wandte die Großmutter ein: "Stellt es besser auf den Dachboden, das könnt ihr vielleicht noch einmal für Lomnitz gebrauchen." 46

1991 kam das Gerücht auf, der neue polnische Staat wolle womöglich mehrere Schlösser abstoßen und es könne sein, dass auch Lomnitz zum Verkauf stehe. Die Fahrt führte den 30-jährigen Jura-Referendar Ulrich und seinen Bruder Matthias von Küster über Berlin und die "Hoppel-Autobahn" an einem stillen November-Morgen nach Niederschlesien. Ulrich von Küster traf fast der Schlag: "Das Dach war zur Hälfte eingebrochen - andererseits war es auf einem Turm noch drauf. Wir dachten, wir könnten es noch retten - und entschlossen uns zum Kauf", so der neue Schlossbesitzer (unten links: Großes Schloss, heute Museum, rechts Kleines oder Witwen-Schloss, heute Hotel und Restaurant).
Bildname
Durch unermüdliche Arbeit, mit Hilfe ungezählter privater Spender, verschiedener Stiftungen und Vereine, konnte das Große Schloss äußerlich wieder hergestellt werden. Von 1992 bis 94 wurden die Reste des Daches beräumt und ein neues aufgebaut. Zur Finanzierung der Dachbalken musste sogar altes Familien-Porzellan versilbert werden. 1994 wurde das Schlossgut aufgelöst, im Jahr darauf das Kleine Schloss dazu gekauft, das ebenfalls einer Totalsanierung bedurfte.

Der Park wurde vom Schutt beräumt und rekonstruiert. Seit 1997 wird im Kleinen Schloss ein gemütliches Hotel mit zwölf Zimmern und einem Restaurant betrieben. Wir sahen darin und davor hoch zufriedene Gäste ihren Nachmittag verbringen - und beneideten sie ein wenig.

Das Große Schloss ist seit Mai 2005 mit seinen Festsälen im Erdgeschoss fertig gestellt. Aufwändig restaurierte Wandmalereien - bis zu fünf Farbschichten aus der Schulzeit mussten abgelöst werden - sowie Marmor-Imitationen und prächtige Kronleuchter oder Lüster schmücken die Säle und vermitteln einen lebendigen Eindruck vom Reichtum und der Pracht des wieder auferstandenen barocken Landschlosses (Foto: Wandfries).
Bildname
Bildname
Das Kultur- und Bildungszentrum nahm 2000 seine Arbeit auf; die ersten Ausstellungen, Seminare und Konzerte fanden 2003 im Schloss statt. Das halbe 1. Obergeschoss nimmt die Dauerausstellung "Das Tal der Schlösser und Gärten" mit diversen Fotos, alten Stichen und Karten ein, für die es einen vorzüglichen Katalog mit über 400 Seiten für nur 100 Zloty zu kaufen gibt. 47  Im Erdgeschoss werden die Besucher mit einem zwölfminütigen Film eingeführt, von dem eine Kurzfassung auch von der Internet-Seite herunter geladen werden kann. 48

Ulrich und Elisabeth von Küster - mit inzwischen fünf Kindern - verdienen unsere uneingeschränkte Bewunderung! Ihnen ist es gelungen, ein kleines Paradies im Grünen zu schaffen. Und: Sie fühlen sich zum Dorf Lomnitz gehörig.

3.11 Ruhberg/Ciszyca
Von der Straße von Hirschberg nach Schmiedeberg, kurz vor dem Ortseingang, führt ein Schotterweg über ein still gelegtes Bahngleis. Dahinter steht ein unscheinbares zweigeschossiges Wohnhaus mit für den Ostblock typischem grauem Spritzputz. Das Haus mit Mansarddach lässt nicht ahnen, welch bedeutende Leute darin einst verkehrten.

Um 1790 muss der schlesische Minister Karl Georg von Hoym das Gelände erworben haben. Er ließ das schlichte, siebenachsige klassizistische Herrenhaus errichten. Hoym ließ auch einen Landschaftspark anlegen, den "Ruhe-Berg", auch "Minister-Berg" genannt. Auf den Berg stelle er einen heute ruinösen Aussichtsturm. Nach Hoyms Tod gelangte 1807 das Schlösschen in den Besitz der Familie Malzahn. 1820 ging es an die zweite Tochter Hoyms, Fanny Biron von Kurland (im heutigen westlichen Lettland), über. 1822 mietete, 1833 kaufte die Fürstin Luise von Radziwill, eine geborene Prinzessin von Preußen, mit ihrem Gatten Anton Radziwill das Schlösschen als Sommersitz.
Bildname

Das Fürstenpaar hatte drei Mädchen und fünf Knaben, wie uns Prof. Matthée berichtete. Der Musenhof wurde Schauplatz vieler illustrer Gesellschaften - und der unglücklichen Liebe der Tochter Elisa mit dem heran wachsenden Prinzen Wilhelm von Preußen, dem späteren König und Kaiser Wilhelm I. Elisa, der "Engel vom Ruhberg", verlebte hier bis 1831 ihre Sommerfrischen. Die romantisch-tragische Liebesgeschichte fand mit der Heirat des Prinzen mit der von den Ministern erzwungenen "standesgemäßen" Auguste von Sachsen-Weimar und dem frühen Tod der Elisa 1834 ihr unglückliches Ende.
Bildname

Durch Erbe kam der Besitz in die Familie Czatoryski, die es 1923 verkaufte. Um 1936 wurde hier der UFA-Kinofilm "Preußenliebe" gedreht, für den das Herrenhaus etwas instand gesetzt wurde. Dann verfiel es nach und nach. Nach dem Krieg diente es als Ferienheim. Nach der "Wende" wurde es an eine junge Familie verkauft, die das Haus jedoch nicht als Denkmal pflegt. Englisch anmutende Kunststoff-Fenster aus dem Baumarkt wirken kitschig, das Grundstück ist ganz verwildert. Die junge Familie mit ihrer Löwenkatze und ihrem Schäferhund fühlte sich in der Morgensonne vor dem Haus wohl. Das einst schlichte, aber geschmackvolle Haus ist inzwischen kaum noch als herrschaftlicher Wohnsitz zu erkennen. 49

zurück   Übersicht   weiter