Radenslebener Rastlosigkeit
Ferdinand von Quast stand zwischen dem Ideal des Adels und dem Bildungsbewusstsein des Bürgertums

NEURUPPIN (crs) "Er wich nie von der Wahrheit ab, strebte stets nach dem Höchsten und Besten. Jede Ungerechtigkeit brachte ihn in Zorn. Neid und Missgunst kannte er nicht. Zugleich war er wohlwollend, milde und gütig gegen Jedermann." So beschrieb 1888 der Kunstwissenschaftler Rudolf Bergau den Radenslebener Gutsherren Alexander Ferdinand von Quast in der "Allgemeinen Deutschen Biographie".

Ein wenig Ehrfurcht spielt in der Beschreibung sicherlich mit, aber auch der Vorteil, Quast selbst noch kennen gelernt zu haben. Denn die biografische Skizze, die Bergau entwirft, entstammt, so das Buch, "mündlichen Mittheilungen des Verstorbenen [also Quasts - Anm. d. Red.].
Ferdinand von Quast
Es hatte seinen Grund, warum Alexander Ferdinand von Quast, so sein voller Name, überhaupt in dem Buch stand: "Berühmter Archäologe" ist er, so liest man dort und außerdem "Generalkonservator der Kunstdenkmäler des preußischen Staates" - diese Funktionen haben ausgereicht, um ihn zu den berühmten Zeitgenossen von damals zu zählen.

Bergaus Artikel bringt allerdings schon z u Beginn eine Unsicherheit mit sich: Als Geburtsdatum notiert er den 23. Juli 1807. Aber kann sich der Steinmetz des Radenslebener Grabsteins irren, wenn er als Geburtstag den 23. Juni einmeißelte? Er wäre von den Verwandten wahrscheinlich zu einer neuen Ausgabe verklagt worden.

Geburtsort ist aber klar: Radensleben, das Dorf bei Neuruppin, in dem laut Adelshandbuch von 1904 die Quasts schon seit dem Ende des 16. Jahrhunderts "Herren" sind. Damals spaltete sich die aus dem Anhaltinischen kommende Aristokratenfamilie in zwei Zweige, die im Ruppiner Land ihr Auskommen hatten - eine in Garz, eine in Radensleben.

Ganz aristokratischer Spross erhielt Alexander Ferdinand, nachdem er dem Strampler entwachsen war, seine Ausbildung durch Hauslehrer. Allerdings schimmert beim weiteren Bildungsweg über das Plamannsche Erziehungsinstitut, dann dem Neuruppiner Gymnasium durch, dass auch Adlige ihren Sprösslingen das bürgerlich-humanistische Bildungsideal, nicht mehr vorenthielten.

So kam Ferdinand von Quast in jungen Jahren mit der Faszination für die Antike in Berührung. Besonders ein gewisser Professor Starke war "durch seine geistvolle Erklärung der griechischen Klassiker von großem Einfluss", diktierte der alte Quast später Bergau in die Notizbücher.

In jungen Jahren stand er im Zwiespalt zwischen adligern frommem Traditionsverständnis und dem bürgerlichen, an der Antike orientierten Ideal: Während seine Mutter aus ihm einen Theologen machen wollte, und er auch ein Studium in diesem Fach begann, ergriff ihn an der Hochschule die andere Leidenschaft. Es "drängte ihn ein Herz zur Kunst", so Bergau, genauer gesagt zur Architektur, die als Baukunst damals zweifelsohne dazu zählte.

Darin machte gerade ein anderer Neuruppiner Furore: Karl Friedrich Schinkel. An dessen Akademie machte Quast sein Examen, doch zwei Jahre -später musste er das Gut übernehmen. Sein Vater war gestorben. Doch nicht in die Acker kniete er sich. Bergau: "Das Herrenhaus in Radensleben war ein alter kunstloser Holzbau.  Quast machte einen Entwurf zu einem völligen Umbau desselben, dessen Ausführung er 1833 begann und in den folgenden Jahrzehnten nach und nach in einzelnen Theilen fortsetzte."

Ansonsten hielt ihn in Radensleben anfangs nicht viel. Die Welt der klassischen Architektur rief. So waren die 30er Jahre durch Reisen geprägt, von denen die durch Italien Quast am meisten beanspruchten. Theoderichs Grabmal in Ravenna, der Dom zu Florenz, das Forum Romanum in Rom, die Kirche San Lorenzo in Mailand - kaum eines der berühmten Bauwerke der Renaissance ließ er aus und hielt sie zeichnerisch im Notizbuch fest.

Als er heimkehrte, heiratete er Marion von Dienst, mit der er vier Söhne und drei Töchter hatte. Mit ihr kehrte er aber anfangs nicht aufs Gut zurück, sondern lebte in Berlin.

Sein Auskommen war das von der Reise mitgebrachte Wissen, das er in zahlreichen Vorträgen weitergab, und architektonische Aufträge, so die Restaurierung der Berliner Klosterkirche.

Doch im Revolutionsjahr 1848 ging es zurück zum Gut, das Zeit seines Lebens die wichtigste Einkommensquelle bleiben sollte, selbst wenn er ab 1843 das neue Amt als "Conservator der Kulturdenkmäler" bekleidete.

Die Anregung dazu ging laut Bergau auf den Kunstgeschichtler Franz Theodor Kugler zurück, der 1841 "eine Reise durch die Rheinprovinz zum Studium der Baudenkmäler gemacht und in seinem Bericht hervorgehoben  hatte, nach französischem Muster einen besonderen Conservator der Kunstdenkmäler anzustellen", wie Bergau schreibt. Gemeint ist damit jemand, der Bauten konservierte, also bei Arbeiten an ihnen darauf achtet, dass einerseits ihr ursprüngliches Aussehen bewahrt, andererseits das Bauwerk auf Dauer erhalten bleibt. Quast nahm seine neue Aufgabe sehr ernst.

Auf Dienstreisen bis in die zu Preußen gehörenden Rheinprovinzen nahm er zahlreiche Baudenkmäler in Augenschein. Kaum ein Fachgenosse kannte später so viele erhaltenswerte Gebäude wie er, schildert Bergau, kritisiert Quast allerdings in einer Stelle scharf: "Doch ging Quast in dieser seiner wichtigsten und einflußreichsten Thätigkeit nicht systematisch zu Werke.

Quast habe sich buchstäblich verzettelt, so Bergau. Zu viel Material habe er gesammelt, um es selbst bearbeiten zu können. So "ist die Zahl seiner wissenschaftlichen Arbeiten verhältnismäßig nicht groß". Auch ein Fragebogen, den Quast entworfen und zur Erfassung von Baudenkmälern an Regierungsbezirksämter geschickt hat, blieb laut Bergau ziemlich unbeachtet.

Bergau konnte 1888 freilich noch nicht ahnen, dass dieser Fragebogen bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts als "in seinen Grundsätzen noch immer unbestritten gültig" bestehen blieb. So konnte es 1994 jedenfalls jeder lesen, als eine von der TU Berlin und dem Heimatmuseum Neuruppin organisierten Quast-Ausstellung in Neuruppin eröffnet wurde.

Freilich muss auch Bergau die Leistungen Quasts zu dessen Lebzeiten anerkennen: Der Radenslebener Gutsherr entwarf neue Türen für die Schlosskirche in Wittenberg - ein Prestigeobjekt, war das doch der Ort, an dem Luther seine 95 Thesen angeschlagen haben soll. Außerdem entwarf er den Ausbau der Basilika in Trier (Fotos unten links: Ehem. römische Palastaula hinter dem barocken Bischofs-Palais, unten rechts: nach dem 2. Weltkrieg wieder hergestellter Innenraum ohne Bänke und mit Kassettendecke statt offenem Dachstuhl wie zu Quasts Zeiten), leitete die Umbauarbeiten an der Liebfrauenkirche in Halberstadt oder an der Peterskirche bei Halle/Saale.
Trier, Palastaula außenTrier, Palastaula innen

Am längsten beanspruchte ihn die Tätigkeit an der Stiftskirche in Gernrode/Harz - von 1858 an sieben Jahre lang (Fotos unten links: Westwerk, unten rechts: bemalte Apsis). Immer soll er laut Bergau seinem Prinzip treu geblieben sein: "daß das Gebäude in seiner Gesammterscheinung als historisch gewordenes Baudenkmal erhalten und vor weiterem Verfall geschützt werden" muss.

Davon profitierte letztlich auch das eigene Gut in Radensleben. Dort starb er am 11. März 1877.

Text: 30.12.2006, Ruppiner Anzeiger, Christian Schönberg
Farbfotos: 1992, Trier; 1993, Gernrode, Manfred Maronde
Gernrode, WestwerkGernrode, Apsismalerei

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