3.5 Minden
Bis ins 3. Jh. zurück reichen die Siedlungsfunde im Stadtgebiet. Karl der Große errichtete an einer Weserfurt 798 auf einer Reichsversammlung einen Bischofssitz "Minda". 977 wurden der Stadt Markt-, Münz- und Zollrecht verliehen. Die Glanzzeit lag im 11. Jh., bezeugt durch zahlreiche Kaiserbesuche.

Minden blühte rasch auf und erhielt 1230 Stadtrechte. 1277 wurde hier die erste steinerne Brücke über die Weser gebaut. Im Mittelalter war Minden Mitglied der Hanse. Eine Besonderheit Mindens sind die Schiffsmühlen, die in der Weser verankert waren. Im 16. Jh. soll es 14 von ihnen gegeben haben.

Minden, nördlich der Westfälischen Pforte am linken Ufer, ist der nördlichste Weserhafen vor Bremen. Der Fluss verzweigt in mehrere Arme und erleichtert die Passage. Von Westen, aus dem Ravensberger Land kommend, überquerte hier ein nördlicher Strang des Hellweges den Fluss und führte nach Osten in das Leinetal nach Hannover. Der Aktionsradius der Mindener Kaufleute reichte von Flandern im Westen über Glasgow im Norden bis nach Riga, Smolensk und Nowgorod im Osten. Schon im Mittelalter gelang es, für Waren wie Getreide, Bau- und Floßholz, einen Stapelzwang durchzusetzen. Mit der sog. "Weddeordnung" von 1616 verschärfte Bremen seinen Stapelzwang und untersagte fremden Schiffen die Weiterfahrt die Weser aufwärts. Der Streit wurde schließlich vor dem Reichskammergericht ausgetragen und dauerte zwei Jahrhunderte; er endete 1769 in einem Vergleich.

Der doppelköpfige Reichsadler neben den Petrusschlüsseln im Wappen wurde der Stadt im Dreißigjährigen Krieg verliehen, als sie unter großen Opfern die kaiserlichen Truppen aufgenommen und versorgt hatte. Danach kam Minden mit dem säkularisierten Fürstbistum in den Besitz Brandenburg-Preußens. In der "Schlacht von Minden" besiegte Friedrich der Große mit seinen Verbündeten (Hannover und England) die Franzosen, die Minden zwei Jahre lang besetzt gehalten hatten.
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Von 1719 - 1807 war die Stadt Verwaltungssitz von Minden-Ravensberg und von 1816 - 1947 Sitz einer Bezirksregierung. Die Industrialisierung ging wegen der engen Festungsmauern an der Stadt nahezu ganz vorbei. Im Zweiten Weltkrieg wurde Minden schwer bombardiert. Der Sitz der Bezirksregierung wurde - als Preis für den Anschluss von Lippe an Nordrhein-Westfalen - nach Detmold verlegt. Bereits vorher waren es die Oberpostdirektion, die Oberfinanzdirektion und die Industrie- und Handelskammer. Später verlor es auch sein Arbeitsamt nach Herford. Nur eines von sieben Verwaltungsgerichten im Bundesland blieb Minden.

In den 1970er Jahren erlitt die Stadt weitere "Zerstörungen" durch die Altstadtsanierung. Ältere Häuser wurden durch neue ersetzt - vor allem durch zwei Warenhäuser. Ein neues Rathaus aus Beton wurde errichtet - und dabei die Sichtachse aus dem Laubengang des Rathauses auf das Westwerk des Doms gestört. Auch ein Teil der alten Fachwerkhäuser wurde abgerissen, was erst jetzt als Fehler der Stadtsanierung erkannt wurde. Wenige Tage vor unserer Reise beschloss der Stadtrat, ein riesiges Einkaufszentrum mit 17.000 m² bauen zu lassen. Dazu müsste das nicht einmal drei Jahrzehnte junge Rathaus abgebrochen werden. Die Planungen sind in der Bürgerschaft und bei den ansässigen Geschäftsleuten stark umstritten. 23

Minden gehört als "Große kreisangehörige Stadt" und Sitz des Kreises Minden-Lübbecke im Regierungsbezirk Detmold zu Nordrhein-Westfalen. Heute leben in 19 Stadtbezirken etwa 83.000 Einwohner.

Die Stadt liegt auf dem westlichen Hochufer der Weser, das sich quer durch das Stadtgebiet zieht und sie in die Ober- und Unterstadt teilt. Die gotischen Pfarrkirchen St. Marien (2. Hälfte des 14. Jh.) und St. Martini (nach 1300) stehen auf der Oberkante und geben der Stadt weit ins Land ihr markantes Profil.
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Der Dom St. Peter und Gorgonius nimmt unter den abendländischen Baudenkmalen einen hohen Rang ein. Er gibt Aufschluss über Geist und Wesensart der westfälischen Menschen und ihrer Landschaft. Dem Patron des karolingischen Doms, dem Hl. Petrus, wurde 952 beim zweiten Dom der Hl. Gorgonius, Märtyrer der Verfolgung unter Kaiser Diokletian um 304, hinzu gesellt. Dieser Dom war schon eine Basilika mit dreitürmigem Westwerk. Nach dem Brand entstand 1072 der salische Dom, der Langhaus und Westwerk seines Vorgängers übernahm, jedoch ein romanisches Querhaus mit oktogonalem Chor hinzu bekam. In der vierten, staufischen Fassung bekam ab 1150 das Westwerk mit dem hoch gezogenen Mittelteil die Form eines Westriegels, was Hildesheimer Einflüsse erkennen lässt. Heinrich der Löwe wurde nach seiner Scheidung 1168 mit seiner zweiten Frau Mathilde im Mindener Dom getraut.

In spätromanischer Architektur bekam der Dom von 1230 - 50 ein deutlich größeres, dreijochiges Querhaus und einen dekagonalen Chorabschluss. Ende des 13. Jh. reichte die Kraft noch für eine "Gotisierung" des Querhauses und des Chorabschlusses über 5/8 im Jahr 1350. Danach endete die Bautätigkeit.

Diese machtvolle, frühmittelalterliche Architektur haben Bomben wenige Tage vor Ende des Zweiten Weltkrieges weitgehend zerstört. Lediglich Teile der Außenmauern, die Gewölbe des Querhauses, der Sakristei und der Vorhalle hielten Stand. In einer beispiellosen Anstrengung wurde 1957 ein Nachbau des Domes von 1250 - 90 fertig gestellt. Er stellt eine erstklassige architektonische, denkmalpflegerische und technische Leistung dar. Der Innenraum erstrahlt wieder in festlicher Majestät.

Das Bauwerk erscheint in seiner Gesamtheit breit gelagert, kraftvoll und geschlossen. Der westliche Turmriegel (Bild oben) gibt ihm in seiner eindrucksvollen Monumentalität den Charakter einer Gottesburg. Er zählt zu den hervorragendsten Zeugnissen norddeutscher romanischer Architektur und gilt als Wahrzeichen Mindens.

Die dreischiffige Halle beeindruckt durch ihre Weiträumigkeit und die edle Proportionierung ihrer Bauglieder. Die sechs aufstrebenden, meisterhaft gegliederten Bündelpfeiler wachsen in den Gewölben zueinander und werden wie ein Händefalten, ein steinernes Gebet zu Gott. Am südlichen Vierungspfeiler blieb ein um 1290 entstandenes Großfresko erhalten. Es zeigt ein über lebensgroßes Marienbild.

Der ehrwürdige Apostelfries an der Südseite aus der 2. Hälfte des 13. Jh. war ursprünglich der Lettner. Die Ausdruckskraft der 14 Skulpturen ist beeindruckend. Erst 2002 konnte durch den Dombau-Verein die Goldene Tafel des berühmten mittelalterlichen Flügelaltars nachgebildet werden. Die vielleicht größte Kostbarkeit des Mindener Doms ist das "Mindener Kreuz". Es ist ein seltenes Großkreuz und mehr als neun Jahrhunderte alt. Der Korpus ist 1,05 Meter hoch und aus sechs Teilen Bronzeguss zusammen gesetzt. Der etwas jüngere Eisenbalken ist durch eine ornamentale Schrift gegliedert. Das Kreuz zeigt Spuren byzantinischer Kunst, aber auch den Einfluss germanischen Denkens. 24

An den Bürgerhäusern der reichen Hansestadt sind zahlreiche alte Details erhalten (rechts, davor Prof. Matthée). Wir bestaunten einige Renaissance-Häuser wie das Haus Hill in der Bäckerstraße 45 und Haus Hagemeier, der frühere "Scharn". In der Oberstadt steht wuchtig und breit das Preuß. Proviant-Magazin, davor wird der Wochenmarkt abgehalten. In der Ritterstraße finden wir Häuser mit Utluchten, daran Darstellungen der Tugenden, auch von Kriegern. Das Minden-Museum ist auch außen ein Anschauungsobjekt vieler Renaissance-Baumerkmale.
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3.6 Stadthagen
Vor Bückeburg war Stadthagen lippesche Residenz. Die Stadt wurde als "Stadt am Hage", also am Walde, 1225 gegründet von Graf Adolf IV. von Schaumburg. Nach ihm wurde sie "Grevenalvenshagen" und "Graw-Adolfs-Hagen", ab dem 17. Jh. schließlich Stadthagen genannt. 25 Holsteiner merken auf: Ja, der Graf Adolf, der bei Bornhöved im selben Jahr die Schlacht gewann. Er leistete zuvor einen Eid: Sechs Klöster wollte er gründen, wenn er siegte. Und tat es: Drei gründete er in Hamburg, zwei in Lübeck und eins in Kiel.
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Die Stadt hat einen ovalen Grundriss; die Straßen sind im Schachbrettmuster angelegt. Bedeutendstes Bauwerk ist die Stadtpfarrkirche St. Martini, die auch zur Ausstellung "Erlebniswelt Renaissance" gehört. An den Chor der Kirche ist das Mausoleum für Fürst Ernst von Holstein-Schaumburg angebaut. Der Fürst war zwei Mal in Italien, unter anderem in Florenz, Siena, Lucca und Neapel. Ihm hatte die Grabkirche der Medici in Florenz beeindruckt. Ernst hatte eine gute Hand für Geld. Aus Italien brachte er den Architekt Giovanni Maria Nosseni mit, der schon in Sachsen gearbeitet hatte, wie uns der junge Führer kundig mitteilte. Statt achteckig wie geplant wurde das Mausoleum siebeneckig gebaut. Die Decke schmückt ein himmlisches Konzert. Eine Wand ziert ein Großgemälde "Die Auferweckung des Lazarus" von Adrian de Vries. Das Zentrum füllt ein Auferweckungs-Denkmal (Foto links) im Michelangelo-Stil aus. Es zeigt vier verschieden bewaffnete römische Legionäre schlafend - mit feinster Detailtreue. Wahrlich, ein eindrucksvolles Monument in einem herrlich hohen lichten Renaissance-Bau!

Ursprünglich an der Chorrückwand, seit gut 30 Jahren an der rechten Wand am Eingang, steht der prächtige Epitaph für Graf Otto IV. von Schaumburg (Foto rechs). Der Standepitaph für den 1576 an der Pest verstorbenen Graf ist mehrgeschossig aufgebaut. Über einer mit Tugend-Darstellungen verzierten Sockelzone erhebt sich zwischen schweren Säulen ein Geschoss mit drei tiefen Nischen. Sie nehmen an den Seiten die beiden Ehefrauen, links Maria von Pommern und rechts Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg, und in der Mitte Graf Adolf auf.
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Die lebensgroßen, vollplastischen Figuren sind kniend dargestellt. Der Graf in der Mitte trägt einen Harnisch mit den Insignien seiner Macht wie Marschallstab, Handschuhe, Turnierhelm und das lange Richtschwert. Bekrönt wird der Epitaph von Flachreliefs mit biblischen Darstellungen.

Im Bewusstsein der Zeitgenossen dokumentiert die Darstellung des Verstorbenen als betender Stifter mit biblischen Szenen der Heilsgeschichte dessen fromme Gesinnung. Er ist ein bleibender Beweis für dessen Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Gläubigen, der Lebenden und der Toten. Die Darstellung soll fortwährend zur Nachahmung des frommen Lebenswandels auffordern. Martin Luther sah ebenfalls so den pädagogischen Wert der Epitaphe, so dass auch nach 1559, der Einführung der Reformation in der Grafschaft Schaumburg, immer neue Grabdenkmäler bis ins 18. Jh. geschaffen wurden. 26

Über einem massiven Unterbau aus Obernkirchener Sandstein erhebt sich der hölzerne Altarschrein. Zwischen Säulen ist das kunstvoll geschnitzte Retabel des ursprünglichen Flügelaltars eingefügt. Es zeigt fünf Szenen aus der Passion Christi. Die beiden weiteren befinden sich im Aufsatz. Die einzelnen Gruppen erscheinen vor goldenem Hintergrund - als Hinweis auf ihre Zugehörigkeit zur göttlichen Sphäre. In dieser Kombination von Technik und Thema entspricht dieser Altar einem im 15. Jh. in den Niederlanden weit verbreiteten Muster. 27
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Beim Hinausgehen wurden wir auf eine der seltenen Predigt-Uhren aufmerksam gemacht: Martin Luther soll gesagt haben: "Ihr könnt über alles predigen, nur nicht über 40 Minuten."

Hinter der Kirche, hinter dem Mausoleum, steht noch die alte Lateinschule, der Vorläufer der einstigen Universität Rinteln. Graf Ernst von Holstein-Schaumburg hatte neben der Stadtkirche 1610 die "Academia Ernestiana" eröffnet, die zehn Jahre darauf das Universitätsprivileg erhielt und nach Rinteln verlegt wurde, "um mehr Bequemlichkeit willen des Weserstroms".

Weitere Bauwerke der Kreisstadt mit rund 23.000 Einwohnern sind das Fachwerkhaus "Amtspforte" von 1553 und das Rathaus von 1595 - 1613. - Das Mittagessen in Stadthagen erwies sich als Problem: kein Platz, lange Wartezeit, keine Suppe. Rettung kam - aus der Prignitz. Auf dem Markt kauften wir den Stand der "Kyritzer Knatter-Krapfen" leer - und waren gut gesättigt.
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3.7 Apelern
Das sehr gepflegte Dorf Apelern mit etwa 2.700 Einwohnern und einer gesunden Infrastruktur liegt im Deister-Süntel-Tal bei Lauenau und Rodenberg im Landkreis Schaumburg. Der Ort wurde bereits 1162 urkundlich erwähnt, als die, für uns verschlossene, Archidiakonatskirche erbaut wurde. Der Name bedeutet etwa "bei den Äpfeln" oder "zu den Apfelbäumen". Zur Zeit der Sachsen war Apelern im Bukkigau Gerichts- und Thingstätte. 28

Die Archidiakonatskirche gehört zu den fünf Archidiakonaten des Bistums Minden, die nach der Christianisierung um 800 angelegt wurden. Sie war Haupt- und Taufkirche und zuerst aus Holz und Flechtwerk erbaut. Um die Jahrtausendwende muss hier eine romanische Steinkirche gestanden haben. Um 1150 wurde die zweite, heute gotische zweischiffige Hallenkirche mit den romanischen Säulen gebaut. Der rund 40 Meter hohe Turm diente als Beobachtungs-, Schutz- und Glockenturm. Der Chorraum entstand um 1300. Bis zur Reformation haben die Archidiakonate gewirkt, die Vertreter des Bischofs, Kantoren und Domherren zu Minden waren. 29

An die Kirche westlich angebaut ist im Stil der Weserrenaissance ein Mausoleum - für die Familie von Münchhausen. Seit Jahrhunderten prägen die zwei Edelhöfe derer von "Hammerstein" und "Münchhausen" den Ort. Während ersterer nur für wenige von uns im Eilmarsch erreichbar war, konnte letzterer bequem per Bus angefahren werden.

Münchhausen, der Lügenbaron? In der Tat waren die von Münchhausens eine verzweigte Familie, deren bekanntester Vertreter Karl Friedrich Hieronymus von Münchhausen (1720 - 1797 in Bodenwerder im Weserbergland) war. Der Baron diente u.a. in der Russischen Armee und nahm an zwei Türkenkriegen teil. Davon handeln auch seine berühmten Lügengeschichten. 30 Prof. Matthée, gebürtiger Ostpreuße, nennt ihn keinen Lügenbaron. Er hätte statt dessen die Kunst des Fabulierens, der Vermischung von Wahrheit und Dichtung in Osteuropa, gut verstanden.

In Apelern lebte einer seiner Nachfahren, der Dichter Börries von Münchhausen. Er studierte Rechts- und Staatswissenschaften, belegte später Fächer wie Philosophie und  iteraturwissenschaft. Münchhausens Balladen behandeln ausschließlich historische Stoffe in traditionellen Formen und waren im Kaiserreich und der Weimarer Republik sehr populär. Nach der Machtübernahme von Adolf Hitler unterzeichnete er das "Treuegelöbnis" und wurde Mitglied der Deutschen Akademie der Dichtung. In dieser Zeit bekannte er sich auch zur antisemitischen Gesinnung und erklärte u.a., dass der Anteil der Juden an den "Deserteuren, Verbrechern, Zuchthäuslern etwa hundert- bis zweihundert Mal so stark wie der Anteil der Bevölkerungszahl" sei. Er machte energisch Front gegen zeitgenössische Autoren. In der NS-Literaturpolitik blieb er einer der meistgeförderten Autoren. Seine Haltung zum NS-Staat blieb ambivalent; er wurde von einigen Hardlinern kritisiert, als er sich 1937 für einige verfemte nicht-jüdische Autoren einsetzte. Mitte März 1945 nahm er sich das Leben, als alliierte Truppen sich seinem Gut näherten. 31

3.8 Hameln
Schon 802 oder 812 errichteten der sächsische Graf Bernhard und seine Frau Christina auf ihrem Gut eine Eigenkirche. Nach ihrem Tod 826 ging der Besitz an die Reichsabtei Fulda. Die Abtei gründete 851 am günstig gelegenen Weserübergang ein Benediktinerkloster. Der Ort wurde damals "Hamela" oder "Hameloa" genannt. Um das in ein Kollegiatsstift umgewandelte Kloster bildete sich eine Marktsiedlung, die um 1200 erstmals als Stadt genannt wurde; damit gehört Hameln zu den frühesten Städten im einstigen Königreich Hannover.
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Im Jahr 1209 wurde erstmals eine (Stifts-)Mühle erwähnt. Das Wappen zeigt auf rotem Felde einen bogenförmig geschärften silbernen Mühlstein, belegt mit blauen Mühleisen. Der Schild ist gekrönt von der Münsterkirche St. Bonifazius.

Zwischen Höxter und Minden an einer leicht zu passierenden Stelle der Weser gelegen verdankt Hameln seinen wirtschaftlichen Aufschwung seiner Brückenkopffunktion und der Bündelung des den Strom querenden Ost-West-Verkehrs. In Hameln, wo analog dem südlichen Strang bei Höxter ein nördlicher Zweig des Hellwegs verlief, entstand schon kurz nach 1000 die erste Weserbrücke, die zugleich eine der ältesten Flussbrücken Norddeutschlands war. Zwischen 1380 und 90 wurde sie durch eine Steinbrücke ersetzt. 32

1259 verkaufte der Abt von Fulda Hameln an den Bischof von Minden, worauf es zu einer Schlacht kam. 1268 erwarb Herzog Albrecht von Braunschweig die Vogtei über Hameln. Auf 1284 wird die weltberühmte Sage vom "Rattenfänger von Hameln" datiert. Während der Pest war der Pfeifer mit der Vertreibung der Ratten beauftragt. Jedoch blieb man ihm den Lohn schuldig. Daraufhin entführte er 130 "Hämelsche Kinder" aus der Stadt.

Von 1426 bis 1572 war Hameln Mitglied der Hanse. Die Reformation wurde 1540 eingeführt. Im 16. Jh. begann der wirtschaftliche Aufstieg, der bis zum Dreißigjährigen Krieg andauerte. Im Wettstreit der reichen Kaufmannschaft mit dem Landadel entstanden die prächtigen Bauten der Weserrenaissance, die das Stadtbild noch heute schmücken.

Quer zum Flussbett bestand seit dem 11. Jh. ein Stauwehr, zuerst um Wasser für Mühlen aufzustauen. Die sog. Hamelner Schlacht mit einem Höhenunterschied von 1,85 Meter führte zur Fahrtunterbrechung für die Schiffe. Pferde- und Ochsenkraft waren untersagt, und höchstens 20 Mann durften ein Schiff durch die sog. Fiehre, eine hölzerne Gleitbahn, ziehen. Auch ohne offizielles Stapelrecht entstand ein Stapelzwang, der den Hamelner Bürgern die Gelegenheit zum Warenkauf bot.

Im Dreißigjährigen Krieg besetzte König Christian IV. von Dänemark als Kriegsoberster des Niedersächsischen Reichskreises die Stadt. Ihm folgte der kaiserliche Feldherr Tilly. 1633 belagerte ihn Herzog Georg von Braunschweig-Lüneburg, bis Hameln kapitulierte. 1664 begann der Ausbau zu welfischen "Haupt- und Prinzipalfestung". Nach der Kapitulation vor Napoleon 1806 wurden alle Befestigungen geschleift.

Nach 700-jähriger Oberhoheit der Welfen wurde Hameln 1866 preußisch. Von 1923 - 73 war es kreisfreie Stadt; seit 1885 ist Hameln Sitz der Kreisverwaltung. Heute leben etwa 59.000 Einwohner in Hameln und seinen zehn Stadtteilen.

In unserer Zeit wird oft über die Nachnutzung nicht mehr benötigter Kirchenbauten nachgegrübelt. In Hameln fand ich als Lösung erstmals - eine Filiale der Stadtsparkasse in der ehemaligen Garnisonskirche.

Hameln bietet ein nahezu geschlossenes mittelalterliches Stadtbild mit einer großen Zahl prächtiger Fachwerk- und Steinhäuser, viele davon aus der Renaissance. Repräsentativer Mittelpunkt sind
Osterstraße und Markt.

Das Stiftsherrenhaus von 1558 trägt an den Fachwerk-Konsolen reichen Figurenschmuck und ist eines der wenigen Häuser mit der Traufe zur Straße. Das Leistsche Haus Foto rechts) in der Osterstraße 9 von 1585 - 89 wurde in feinsten Renaissance-Formen mit einem Relieffries der sieben Tugenden und Lukretia im Erkergiebel geschmückt. Erstaunlicherweise waren auf die Putzfläche einst rote Backsteine und weiße Fugen aufgemalt. Darin ist heute das Heimatmuseum.
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Gegen Ausgang des 16. Jh. wurde die Bauzier immer plastischer, der Umriss der Volutengiebel durch frei ausschwingende Enden und hohe Obelisken immer bewegter. Das Rattenfängerhaus (Foto oben links) in der Osterstraße 28 hat einen reich geschmückten Renaissance-Giebel von 1603 und eine gut gegliederte Fassade mit Erker. Hier handelt es sich schon um ein Werk des Manierismus, einer Stilform zwischen Renaissance und Barock.

Das nach einem Bürgermeister benannte Demptersche Haus am Markt 7 von 1607 - 08 trägt an seinem Fachwerk eine Überfülle an Renaissance-Schmuck. 33 Wie stark der Fachwerkbau vom späten 16. Jh. an seine gestalterische Eigenständigkeit zu Gunsten einer Nachahmung von Steinhäusern aufgegeben hat, zeigt sich hier. Von den beiden unteren Steingeschossen mit ihren Kerbschnittquadern geht die Gliederung nahtlos in das zweite Obergeschoss und den Giebel aus Fachwerk über, wo die Ständer aussehen wie Pilaster und die Brüstungsfelder mit ihren Beschlagwerk-Ornamenten aus Stein zu sein scheinen. 34

Das sog. Hochzeitshaus (1610 - 17) wurde neben dem nicht mehr stehenden Rathaus errichtet, nachdem dieses nicht mehr genügend Platz bot. Der monumentale, in die Osterstraße vor springende, Baukörper ist prägend für das Stadtbild. Das Monument ist nur noch Fassade. In seinem Hohlraum wurde ein Betonneubau platziert - und darin eine Multimediaschau. Sie wird mit großem Werberummel vermarktet, ist aber noch nicht ganz fertig - und stark auf junges Publikum ausgerichtet. Ihr Name: "Erlebniswelt Renaissance". - Das Ausstellungprojekt musste bereits im Jahr 2009 aufgrund zu geringer Besucherzahlen und zu hoher Kosten eingestellt werden. 35

Gemeinsam mit den Standorten Bevern, Bückeburg, Stadthagen, Rinteln und Höxter kann hier virtuell die Reise vier Jahrhunderte tief in die Vergangenheit angetreten werden. Im Comic-Stil werden Persönlichkeiten und einfache Leute von damals wieder lebendig und erzählen aus ihrem Leben. Wir blieben, mit Kopfhörern ausgestattet, etwa zwei Stunden im Haus und arbeiteten uns über drei Geschosse von oben nach unten vor. Eins gilt: Anfassen und ausprobieren, dies ist eine Mitmachausstellung, die ohne Original-Gegenstände aus der Zeit auskommt. Insgesamt kann man sich hier mit den Themen "Alltag", "Kultur" und "Erfindungen und Entdeckungen" das Zeitalter der Renaissance recht gut erschließen, wenngleich Schleichwerbung (z.B. für Bier) stört. 35

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