Backsteingotik
Hansestädte an der deutschen Ostseeküste
Reise mit Prof. Gottfried Kiesow, Deutsche Stiftung Denkmalschutz
vom 26. bis 29. April 2005
Reisebericht von Manfred Maronde

1 Hanse
1.1 Bündnisse

Hanse bedeutet auf althochdeutsch "Gruppe, Gefolge, Schar". Das Wort "Hansa teutonicorum", "dudische Hense", ist in einer Denkschrift vom lateinischen "ansa" abgeleitet. Es bedeutet in der Bibelübersetzung des Wulfila "bewaffnete Schar". 1 Sie meint eine vom 12. bis 17. Jh. bestehende Vereinigung deutscher Kaufleute, um ihre wirtschaftlichen Interessen besonders im Ausland besser vertreten zu können. Aus ihr entstand der Städtebund gleichen Namens, mit dem sich die Hansestädte auch gegenüber dem Kaiser verbündeten. 2

Ziele waren die Sicherung des Handels gegenüber fremden Machthabern und Schutz ihrer Mitglieder im Ausland, zumal eine starke Reichsgewalt fehlte, sowie Erhaltung und Erweiterung städtischer Freiheit, Entscheidung von Streitigkeiten zwischen ihren Mitgliedern durch eine eigene Gerichtsbarkeit, die von den Ältesten (Oldermännern) ausgeübt wurde, Wahrung des patrizisch-aristokratischen Regiments in den Städten sowie Hilfeleistungen im Kriegsfall durch Mannschaft und Schiffe. 3

Die erste deutsche Kaufmanns-Genossenschaft noch vor dem offiziellen Bündnis war 1157 von Kölner Kaufleuten mit dem Kauf des Stalhofs in London gegründet worden. Auf der Ostseeinsel Gotland entstand um 1190 ebenso eine Niederlassung wie im russischen Nowgorod mit dem Peterhof (Curia Sancti Petri) 1184. In Norwegen kam die Tyske Brygge in Bergen hinzu.
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Bilder vom Gestühl der Nowgorod-Fahrer in der Stralsunder Nikolai-Kirche, links Pelztierjagd, rechts Fellhandel.

Der Handel brachte Reichtum - und das Streben nach Unabhängigkeit, um die Abgaben in die eigenen Stadtkassen statt an die Fürsten zu leisten. Doch die Landesherren der stolzen Seehandelsstädte hatten nicht vor, auf ihre Steuern zu verzichten. Zwischen 1311 und 17 verbündeten sie sich gegen die Städte im sog. Fürstenbund. Bürger überfielen die Fürsten im Stralsunder Hainholz und forderten hohe Lösegelder und die Zusicherung von Privilegien. 4

Im Jahr 1356 schloss sich unter Leitung Lübecks der Bund "van der düdeschen hanse" zusammen. Diese Hanse blieb immer nur ein "handelspolitisches Eventualbündnis für den Notfall". Dieser Bund war eher frei organisiert, hatte keine Satzung oder Verfassung und keine Mitgliederlisten, keine dauerhafte eigenständige Finanzbasis oder Beamte. Einziges Organ der Hanse waren die unregelmäßig, meistens in Lübeck, statt findenden Hansetage der Städtevertreter, die niemals vollzählig zusammen kamen. Ihren Kern bildeten etwa 70 Städte, weitere 130 waren locker assoziiert, die mehr oder weniger unter der Gewalt verschiedener Herrschaften standen. Auch der Deutsche Orden war Mitglied. Als Sprache diente das Mittel-Niederdeutsche, das auch die skandinavischen Sprachen beeinflusste.

Das Einflussgebiet reichte von Flandern im Westen bis nach Reval am Finnischen Meerbusen. Die Städtehanse organisierte sich seit Mitte des 14. Jhs. in drei Dritteln, später vier Quartieren 5 bzw. fünf Gruppen 6 : der westfälischen mit Köln, der größten aller Hansestädte, (und Dortmund, Dorsten, Duisburg, Münster, Recklinghausen, Soest, Osnabrück, Wesel u.a.), der wendischen (lübischen) mit Lübeck (Rostock, Wismar, Stralsund, Greifswald u.a.), der sächsischen mit Hamburg (Bremen, Lüneburg, Groningen, Magdeburg u.a.), der preußischen mit Danzig (Elbing, Königsberg, Thorn, Kulm u.a.) und der baltischen (gotländisch-livländischen) mit Visby und später Riga (sowie Reval, Dorpat).

Die Hanse war ein friedliebender Bund, der alles unternahm, um Krieg zu vermeiden; er unterhielt weder ein stehendes Heer noch eine ständige Flotte, wie Prof. Kiesow betonte. Grundsatz hansischer Politik war, Konflikte möglichst durch Verhandlungen bei zu legen, wie sie auch innere Gegensätze stets durch Schlichtung bereinigt hat. 7 Wenn es nicht anders ging, führte die Hanse dennoch Krieg: 1361 gegen den Dänenkönig Waldemar, der zuvor die für den Ostseehandel so wichtige Insel Gotland erobert hatte, und erneut von 1367 an im Bündnis mit Norwegen und Schweden. Der Frieden von Stralsund 1370 brachte der Hanse eine ungewöhnliche Machtstellung, als Dänemark für 15 Jahre 2/3 seiner Einnahmen aus den Sundschlössern ausliefern musste. 8 Die Hanse bewährte sich auch gegen den Seeräuberbund der Vitalienbrüder, der 1402 mit der Enthauptung von Klaus Störtebecker ("stürz den Becher") endete. Sogar das Mittel des Boykotts kannte man schon: Ein Hafen oder ein Land konnte "verhanset" werden.
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Doch ab der Mitte des 15. Jhs. ging es bergab. Flandern und die Niederlande erstarkten, und mit Antwerpen erwuchs dem Hansekontor Brügge ein mächtiger Konkurrent. Der endgültige Niedergang begann 1494 mit der Schließung und Zerstörung des Kontors in Nowgorod durch Iwan III. Die großen Handelsströme verlagerten sich nach der Eroberung Amerikas auf den Atlantik. Die Zahl der Hansestädte ging immer mehr zurück. 1669 hielten die verbliebenen Städte Lübeck, Hamburg, Bremen, Danzig, Rostock, Braunschweig, Hildesheim, Osnabrück und Köln den letzten Hansetag ab. - Einerseits nahmen die einzelnen Länder (ausländische Herrscher und deutsche Landesfürsten) den Handel selbst in die Hand und behinderten den hanseatischen Handel, andererseits erwiesen sich die kombinierten Waren- und Geldgeschäfte der großen Handelshäuser (Fugger, Welser) als bei weitem einträglicher und flexibler als der hauptsächlich auf Waren beschränkte Hansehandel. 9

Am Schluss blieben nur die drei Städte Hamburg, Bremen und Lübeck von der Hanse übrig. Diese drei übernahmen den Schutz der Kontore im Ausland. Das Kontor in Bergen wurde 1775, der schon 1598 geschlossene Stalhof in London 1858 und das 1540 von Brügge nach Antwerpen verlagerte Kontor 1863 verkauft. In der neuesten Zeit wird seit 1980 der Städtebund wieder belebt, insbesondere für den Tourismus, aber auch, um zur wirtschaftlichen, kulturellen, sozialen und staatlichen Einigung Europas beizutragen. 10

Die Macht in den Städten ging zu den Vögten, später Schultheißen, über, welche mit sechs bzw. zwölf Schöffen regierten. Später übernahm sie ein Rat mit einem Bürgermeister an der Spitze. Die Hansestädte an der Ostsee haben keine Oberbürgermeister. Hier sagt man: "Ober sind bei uns nur die Kellner", wie Kiesow anmerkte. Man könnte sie eher als "Bürgerobermeister" bezeichnen.

1.2 Handel
Gehandelt wurde vor allem entlang der Linie Nowgorod - Reval - Lübeck - Hamburg - Brügge - London. Handelsgüter waren vor allem: 11

  • Salz aus Lüneburg (Salinensalz, zur Hälfte über Lübeck - Bild: Salzspeicher - und zu einem Drittel über Hamburg ausgeführt) und später auch Frankreich (Baiensalz aus dem Meer) als Nahrungs- und Konservierungsmittel für den salzarmen Osten,
  • Fisch aus Skandinavien (Stock- und Klippfisch aus Norwegen, Salzheringe aus Schonen, für die ein Drittel des Lübecker Salzes diente),
  • Pelze (bis zu mehr als 200.000 im Jahr, insbes. Zobel und Hermelin) aus Russland und Osteuropa,
  • Wachs, auch aus Russland, insbesondere zur Beleuchtung, wie auch Pech, Teer, Holzkohle und Pottasche,
  • Tuch aus Flandern (wertmäßig vom 14. - 16. Jh. an erster Stelle), meist aus englischer Wolle her gestellt,
  • Getreide aus Ostdeutschland und Polen (hauptsächlich über Danzig nach Nordeuropa und Flandern),
  • Holz auf den gleichen Wegen, sowie
  • Wein aus dem Rheinland und Frankreich, aber auch Bier als Grundnahrungsmittel.
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Von entscheidendem Vorteil für die Hanse waren ihre bis zu 100 Tonnen fassenden, seetüchtigen Schiffe, die so genannten Hanse-Koggen, die an Größe und Tragfähigkeit alle bisherigen Schiffstypen übertrafen. Noch bis zum Dreißigjährigen Krieg war die Lübecker Flotte größer als die Englands, nur die Niederländer besaßen mehr Schiffe. 12

Im Mittelalter wurde unter offenem Himmel gehandelt. Warum? So waren Kaufmann und Käufer ständig unter Beobachtung, Betrug wurde erschwert. Schließlich waren damals fast alle Menschen Analphabeten, denn außer den Geistlichen waren nur die Kaufleute des Lesens, Schreibens und Rechnens kundig.
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2 Der Backstein
Weil es in der norddeutschen Tiefebene kaum Natursteine gibt, besann man sich auf eine bei Handelsreisen in Norditalien kennen gelernte Technik - aus Ton und Wasser wurden Backsteine geformt und gebrannt. Übereinander geschichtet wuchsen schließlich mächtige Bauwerke heran. Über fünf Millionen Backsteine brauchte man für eine einzige Stadtkirche. Dabei waren auch speziell geformte und glasierte Steine, mit denen die Baumeister den Fassaden ein Gesicht gaben. 13 (Foto: Türgewände an St. Nikolai in Wismar)

Backstein gibt ein viel kleinteiligeres Modul vor als Haustein, das anders auf Druck und Zug reagiert und andere Detailformen erzwingt. Jeder Stein hat zwei Lagerflächen (unten und oben), zwei (lange) Läuferseiten und zwei (kurze) Binderseiten. Beim gotischen oder Kloster-Verband wechseln in jeder Schicht ein Binder (mit der kurzen Seite nach vorn) mit zwei oder seltener drei Läufern. Beim wendischen oder Wechsel-Verband folgt auf jeden Binder ein Läufer. Dabei liegt stets ein Läufer mittig über dem Binder der unteren Schicht. 14

In Wismar, vor dem Turm der Marienkirche, kann jeder selbst Hand anlegen: Einen Tonklumpen kneten, mit Schwung in einen nassen Holzrahmen werfen, glatt streichen und den Rahmen abheben. Der Grünling muss dann trocknen, bei Formsteinen bis zu einem halben Jahr. Durch das Brennen im Ofen wird er schließlich zum Backstein und wetterfest. Doch das Mauern ist nicht leicht - wiegt doch ein Backstein im Klosterformat bis zu 7 kg. Die Formate unterscheiden sich von Ort zu Ort; beim Lübecker Dom z.B. 29 x 14 x 10 cm.

Die Orden der Zisterzienser und Prämonstratenser sowie die Bischöfe verbreiteten die Backsteinbaukunst.

3 Die Gotik
In der Romanik wurde im sog. "gebundenen System" auf der Basis von ganzen Zahlen und ohne Zeichnungen gearbeitet. In diesem Baustil sind nur sehr wenige Großbauten in Norddeutschland errichtet worden. Maßstäbliche Bauzeichnungen kamen wohl im zweiten Viertel des 13. Jhs. in Nordostfrankreich auf; der Zirkel wurde zum Attribut des Baumeisters. Hinzu kam ein Zeitplan, Uhren kamen an die Türme und so ins Leben. Rechnen - messen - aufteilen - planen - organisieren, dies mussten die Baumeister leisten.

Das Maßwerk gestaltet die Gotik - sowohl zur Aufteilung der nun riesigen Glasflächen als auch zum Schmuck großer Wandflächen. Maßwerkfenster, Spitzbögen, Gewölbe und Strebewerk zogen in Nordeuropa ein. Bei der Idee gotischer Kirchen geht es immer um Licht, das die Anwesenheit Gottes vergegenwärtigen und einen Eindruck von der jenseitigen, himmlischen Schönheit vorweg nehmen soll. 15

Der Denkmalsbestand - nicht nur der Gotik - litt unter vier großen Verlustphasen:
  • die Reformation, insbes. wo Calvinisten wirkten
  • der Dreißigjährige Krieg
  • der Reichsdeputationshauptschluss 1803
  • der Zweite Weltkrieg.

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