3 Die Baustile 17
3.1 Romanik
Der Begriff „Romanesque" wurde vor rund zwei Jahrhunderten in Frankreich eingeführt mit dem Hinweis auf die römische Architektur, von der Quaderbauweise, Rundbogen, Pfeiler, Säule und Gewölbe übernommen worden waren. Mit Romanik bezeichnen wir die Epoche etwa vom Jahr 1000 bis 1200. Stilelemente werden jedoch oft bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts bei behalten. Voraus gingen die merowingische, karolingische (ab Karl dem Großen, „Zurück zu den alten Zeiten und Sitten gewandt, gebiert sich dem Erdkreis erneuert das goldene Rom") und ottonische (Sachsenkaiser) Epoche, deren Bauten noch gedrungener und archaischer sind. Ein Beispiel ist das Aachener Münster*. Die eigentliche Romanik begann in Deutschland mit St. Michael* in Hildesheim (1020/30) und dem Dom* zu Speyer (ab 1025, Grablege der Salierkaiser).
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Sakralbauten folgten vorwiegend dem Bauschema der altchristlichen Basilika, die einen lang gestreckten Kirchenraum mit längs gereihten Säulenarkaden in ein größeres Mittel- oder Hauptschiff und zwei niedrigere und schmalere Seitenschiffe teilte. Unter einer hölzernen Flachdecke oder dem offenen Dachstuhl lief der Raum auf die halbrunde Apsis mit dem Altar zu. 18 Die Art und Weise zeigte aber den Willen, jetzt aus eigener Kraft zu einer Kunstform zu finden, die dem Geist und Schönheitsempfinden der eigenen Zeit entsprach. Die Kaiserdome in Speyer*, Worms* und Mainz* bilden die Höhepunkte einer Bauleidenschaft mit ihren in stolzen Türmen gipfelnden, standhaft ruhenden burghaften Bauten. Ihre Raumteile, Langhaus mit Arkaden über Säulen oder Pfeilern, das Querschiff und der Chor, sind kreuzförmig um die Vierung angeordnet.

Typisch für die romanische Baukunst sind Rundbögen, dicke festungsartige Mauern mit kleinen Fenstern, und Würfelkapitelle über den Säulen. In der Frühzeit wurden Kassettendecken, später Kreuzgratgewölbe eingebaut (im Bild unten: Schottenkirche St. Jakob, Regensburg).

Skulpturen und Malereien zeigen oft drastische Motive. Zum Tafelbild kam die Glasmalerei. Aus allen Bildern wurde das Natürliche ausgetrieben, die Landschaft und das reale Menschenbild ausgemerzt. An ihre Stelle traten ins Übermenschliche gesteigerte, gewaltig und heilig wirkende Gestalten und eine deren Übernatur unterstreichende, unwirklich empfundene Farbigkeit. An dieser Bilderwelt ist abzulesen, dass das Heilige als etwas Fernes, Ehrfurcht und Scheu Gebietendes begriffen und das Christentum noch nicht als die Religion der göttlichen Liebe verstanden wurde. 19
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Die Frühromanik richtete sich von einem der größten je gebauten Kirchenbauten, der Abtei Cluny in Burgund, aus. In der Hochromanik spielte Bauschmuck in größere Rolle, auch aus Holz wie Triumphkreuze, Madonnenfiguren, Lettner, und Bronze wie der Braunschweiger Löwe*. Viel Bauschmuck zeigt die Stiftskirche* in Quedlinburg, die Klosterkirche* in Königslutter, St. Michael* und St. Godehard* in Hildesheim, sowie weitere Gotteshäuser in Goslar*, Braunschweig*, Magdeburg* und Halberstadt*. In der Spätromanik nahm die Vielseitigkeit noch zu. Kirchen wurden mit Doppeltürmen und prächtigen Vierungstürmen errichtet. 20

3.2 Gotik
Das Wort Gotik wurde aus dem Italienischen „Gotico" für „fremdartig, barbarisch" nach dem germanischen Stamm der Goten abgeleitet und heißt dort noch heute „Stilo tedesco". Seit der Mitte des 12. Jahrhunderts dauerte diese Epoche bis etwa 1500.
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Die Wandlungen in der Politik (Aufstieg Frankreichs zur größten Macht in Europa durch ein starkes, zentralisierendes Königtum), in der Gesellschaft (Aufstieg des städtischen Bürgertums) und der Philosophie (Scholastik) haben ein neues Weltbild geschaffen. Dieses fand seinen künstlerischen Ausdruck in Bau und Dekoration der Kathedralen. Der Austausch zwischen den Bauhütten führt zur stärksten Vereinheitlichung der Architektur in Europa. 21

Frühe Vertreter der Gotik sind die Pariser Kirche St. Denis* (älteste gotische Kirche der Welt, um 1140), die ostenglische Kathedrale von Canterbury (1175) und in Marbung St. Elisabeth* (älteste vollständig gotische Kirche auf deutschem Boden) sowie in Trier die Liebfrauenkirche* neben dem römischen Dom.

Die Gotik erkennen wir an Spitzbögen, schlanken strukturierten Säulen, aufgebrochenen hohen Wänden mit großen Fenstern mit Strebewerk außen und der Betonung der Vertikalen. Die Gewölbe wurden nicht mehr mit 4 Rundbögen über den Seiten eines Quadrates, sondern mit 2 diagonalen Rundbögen mit einem gemeinsamen Mittelstein gemauert. Die statisch nun weniger wichtigen Bögen über den 4 Seiten konnten spitz nach oben gebaut werden, um die gleiche Höhe wie die Rundbögen über den Diagonalen zu erhalten. Diese Kreuzrippengewölbe ermöglichten auch rechteckige Grundrisse. Das Gewicht der dünnen Steinschalen der Gewölbe wurde über die Rippen nicht auf die Wand, sondern auf Punkte gesammelt.

Innen trugen deren Last Pfeilerstützen, und außen traten die frei über die Seitendächer schwingenden Bogen des Strebewerkes als Widerlager an. (Im Bild: Portal im Kreuzgang von St. Emmeram, Regensburg)

Die Wände wurden von der tragenden Funktion befreit, ja entmaterialisiert zu durchlässigen Glasflächen. Der Stein konnte gleichsam gewichtslos über Himmel stürmende Blickbahnen aufsteigen, als wolle er die Erde flüchten. Die gotische Kunst, nicht nur die Architektur, ist einem Geist entsprungen, der nicht die Erde, sondern den Himmel sucht.

In der Spätgotik wurde das Maßwerk aus der einfachen Form des Kreises oder Dreipasses in rotierende Fischblasen- und Flammenmuster (Flamboyant) ausgebildet. Zur Dekoration wurden häufig Motive aus der Pflanzen- und Tierwelt verwendet, Giebel und Türme mit Kreuzblumen gekrönt.

Das bedeutendste gotische Bauwerk in Deutschland ist der Kölner Dom*, der erst Mitte des 19. Jahrhunderts fertig gestellt wurde, und in Österreich der Wiener Stephans-Dom*. Neben dem Basilika-Typ wie in der Romanik kennen wir die gotische Hallenkirche des 15. Jahrhunderts, in der alle Schiffe gleich hoch sind, wie das Ulmer Münster*.
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Hier steigt der Kirchenraum nicht in einem hoch ragenden Mittelschiff über die Seitenschiffe empor, sondern alle Schiffe sind auf gleiche Höhe gebracht. Aus schlichten Kreuzrippengewölben entwickelten sich komplizierte Gebilde der späteren Netz- oder Sterngewölbe mit ihren geradlinig oder kurvig verflochtenen Rippenteppichen. Eindrucksvoll sind die Hallen-Umgangs-Chöre von St. Sebald* und St. Lorenz* in Nürnberg. In der Gotik bilden sich Baumeister-Familien heraus wie die Parler (Ulm, Prager Veits-Dom*).

Gotische Bilder kennen noch keine Perspektive, sondern wirken flächig mit großen Figuren in wenig realistischen Umgebungen. Es herrschen Gold und rot vor, um die Bedeutung der meist religiösen Motive hervor zu heben. 23 Das Tafelbild hatte seinen Ort zunächst als Antependium vor der Stirnseite des Altars, wurde seit etwa 1250 auf dessen rückwärtige Oberkante gestellt und so zum Retabel, aus dem sich schließlich die vielteiligen Flügelaltäre entwickelten. 24

Unter dem Einfluss mystischen, nach dem Jenseits strebenden Denkens bemächtigen sich seit etwa 1300 nacherlebbare Regungen und Gefühle der Figuren. Die unter faltenreichen Gewändern verborgenen Körper längen sich und scheinen in kurvigen Schwingungen der Erdschwere entfliehen zu wollen. Danben stehen Darstellungen wie die Maria mit dem tot im Schoß liegenden Jesus (Pietà), die über das Mitleiden der Andächtigen die Sehnsucht nach Erlösung von eigenem Leid vertiefen sollen (im Bild: Pietà in St Peter, Straubing).

3.3 Renaissance
Der französische Begriff bedeutet „Wiedergeburt" und wurde vor rund zwei Jahrhunderten aus dem italienischen „Rinascimento" abgeleitet. Die Renaissance steht für den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, und wird zu letzterer gerechnet. Die Wiederentdeckung der klassischen Antike - ihrer Bauten, Skulpturen, Philosophen und Schriften - war eines der Ideale jener Zeit. Wesentlich trug hierzu die Wanderung von griechisch sprechenden Gelehrten aus dem 1453 von den Türken eroberten Konstantinopel nach Italien bei. Die Entdeckungsfahrten der Portugiesen und Spanier öffneten den Blick auf andere Kontinente. Kopernikus erkannte die Sonne als den Mittelpunkt unseres Planetensystems und ließ das auf die Erde als Zentrum ausgerichtete alte Weltbild aus den Fugen geraten.

Der Humanismus war die wesentliche Geistesbewegung. Das Mittelalter mit der Romanik und Gotik wollte Gott und das Jenseits für den Menschen gewinnen. Mit der Renaissance galt es, den Menschen und seine Welt zu entdecken. Mit der Reformation lehnte sich der Mensch nicht gegen Gott, sondern gegen den Anspruch der Kirche auf, allein den Weg zu ihm bestimmen zu können.

Statt Gott rückte also der Mensch in den Mittelpunkt des Denkens. In der Kunst wurde danach gestrebt, die Natur so realistisch wie möglich abzubilden. Ideale Maße und Proportionen spielten sowohl beim Abbild des menschlichen Körpers in Malerei und Skulptur wie bei Bauwerken die zentrale Rolle. Mit der Zentralperspektive wurde mathematisch exakt eine Verkürzung in der Raumtiefe dargestellt.

Die Architektur orientierte sich an einfachen geometrischen Formen wie Quadrat und Kreis. Säulen, Pilaster, Kapitelle, Dreiecksgiebel, Palmetten, Figurenmedaillons, Putten und Grotesken u.s.w. werden direkt aus der Antike abgeleitet. 25 Die symmetrischen Baukörper sind waagrecht gelagert, aus Sims getrennten Geschossen aufgebaut und stehen schwer und erdfest. Die zahlreichen Bürger- und Rathäuser hingen oft der herkömmlichen Bauauffassung an und bekleideten sich lediglich äußerlich mit den Formen der Renaissance. 26

3.4 Barock mit Rokoko
Der Begriff „Barock stammt aus dem portugiesischen „barocco" für schiefrunde Perlen. 27 Auch vom italienischen „barocco" für „schiefrund, merkwürdig" und vom französischen „baroque" für „Auswucherung, Warze" ist er abgeleitet. Er bezeichnet die kunstgeschichtliche Stilepoche von etwa 1600 bis 1770. Barock gilt auch als das Zeitalter der Theatralik und Inszenierung. 28 Methodisch wurde in der Baukunst das Ganze nicht mehr als Summe der Einzelteile, sondern umgekehrt als ein ausdifferenzierter Organismus vom Ganzen zum Teil aufgebaut.

Wie schon die Renaissance kam auch der Barock verzögert aus Italien nach Deutschland. Seit der Reformation sah sich die katholische Kirche angegriffen und leitete unter Einsatz aller Mittel des Geistes und der Macht die Gegenreformation ein, mit ihren gerade für Deutschland so verheerenden, im Dreißigjährigen Krieg sich schrecklich vollendenden Folgen. Der vertieften Religiosität und der zurück gewonnen Macht wollte die katholische Kirche in ihren Barockbauten Ausdruck geben.
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Im Kirchenbau in den katholischen Landschaften Süddeutschlands wollten die Baumeister den Weg zwischen Eingang und Chor zu einer unruhig belebten, wogenden Phantasie aus einer Vielzahl sich durchdringender und ineinander verfließender Raumteile machen. Mit ihren geschwungenen Wänden, gebrochenen Gesimsen und ovalen Kuppeln wollten sie dem Auge immer neue Blickerlebnisse aufzwingen. Um so mehr, als über diese komplizierte Architektur von Malerei, Plastik und Stuckatur ein wahrer Rausch an Farben und Formen ausgeschüttet wurde: mit Gold glänzend aufschäumenden Kapitellen, Marmor prunkenden Säulen und Pilastern, zuckenden Rocaillen, Blumengehängen, mit dem Getümmel der Putten, den verzückt sich verrenkenden Gestalten der Heiligen an Altären und Kanzeln und den Volk reichen heiligen Scharen an den Deckengemälden, welche mit ihren kühnen Architektur-Kulissen und Himmelsblicken die schließenden Gewölbe optisch ins Unendliche verströmen lassen. 29

Gleichzeitig wuchs das Fürstentum aus seiner Beengung durch das Bürgertum (oben rechts: Portal am Rathaus von Regensburg, mit typisch bayrischer Lüftlmalerei über den Fenstern) heraus und kam zu einer kaum zuvor erreichten Gewaltfülle, die im Absolutismus gipfelte.

Um dem feierlich-theatralischen Hofzeremoniell den Rahmen zu geben, wurden Schlösser geschaffen, in denen sich Malerei, Plastik und Architektur zu Schöpfungen von gewaltiger Größe, unbeschreiblichem Glanz und prahlender Pracht zusammen fanden.

Die kunstgeschichtliche Spätphase des Barock, das Rokoko, von etwa 1730 an, wird häufig als eigener Stil betrachtet. Dies ist jedoch problematisch, da es sich lediglich um eine Dekorationsmode handelt. Sie ist vielmehr eine zuckrig süße, verweichlichte Form des Barock. Stiltypisch sind überbordende Verzierungen an Bauten, Möbeln, Geräten, und vor allem die Aufgabe jeglicher Symmetrie. An Stelle fester Formen traten leichte, zierlich gewundene Linien und häufig Ranken förmige Umrandungen. Die Rocaille, französisch für „Muschelwerk", soll Namen gebend gewesen sein mit ihrem C-Schwung, der aus der Arkantus-Ranke entwickelt wurde (im Foto oben: Regensburg, Alte Kapelle, Apokalyptische Frau im Sonnengold).
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3.5 Klassizistik und Historismus
Mit der ganz Europa erfassenden Französischen Revolution schüttelte das Bürgertum nicht nur das knechtende Joch absolutistischer Willkür ab, sondern auch die Einengung der freien geistigen Entscheidung durch die Bindung an fest stehende theologische Glaubenslehren. Die schon früher einsetzende Aufklärung hob, gestützt auf die Erkenntnisse der Naturwissenschaften, das Recht der Vernunft, nach den ihr eigenen Gesetzen zu denken, und den gesunden Menschenverstand als den Wegweiser des Lebens auf den Thron. Die Religion wurde zur Privatsache erklärt und damit dem Christentum die Bedeutung als geistige Mitte des Menschen genommen.

Am Anfang der historischen Baukunst stand der Wille zum Anschluss an die Antike. 1748 wurde die unter den Lavamassen des Vesuvs versunkene Stadt Pompeji entdeckt. Man wandte sich bald der griechischen Baukunst als dem Ursprung der römischen zu. Die flach giebelige Säulenfront des griechischen Tempels wurde zur Zierde an zahllosen Bauwerken, die mit sakralen Inhalten nichts zu tun haben, sondern Museen, Theater, Ruhmeshallen, Justizbauten und sogar Börsen sein konnten. 30

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